Ulrike Quentel ist Mitbegründerin der 1983 in Eisenach gegründeten Frauen für den Frieden. Heute ist sie Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Eisenach. Auszüge aus Interviews mit ihr sind in der Wanderausstellung „Gemeinsam sind wir unerträglich. Die Unabhängige Frauenbewegung in der DDR“ zu sehen und zu hören. 

von Ulrike Quentel

Frauen in der DDR gründeten in den 1980er Jahren oppositionelle Gruppen zu unterschiedlichen Themen und Anliegen: Frauenfriedensgruppen wehrten sich gegen die zunehmende Militarisierung aller Lebensbereiche und gegen die atomare Rüstungsspirale. Gleichzeitig suchten Frauen Antworten auf Umwelt- und Menschenrechtsfragen. Die in der DDR scheinbar gewährte Gleichberechtigung wurde hinterfragt, Willkür und Repression angeprangert. Einige der Gruppen trafen sich in kirchlichen Räumen, andere im nichtkirchlichen Kontext. Die Frauengruppen entstanden in Großstädten, aber auch in kleineren Orten. Teilweise gab es eine Vernetzung untereinander. Und vieler der aktiven Frauen beteiligten sich an der Friedlichen Revolution 1989.

Frauen für den Frieden in Eisenach

Auch in Eisenach gab es eine Gruppe: Frauen für den Frieden. Von 1983 bis 1989 trafen wir uns regelmäßig einmal wöchentlich in den Räumen des damaligen Landesjugendpfarramtes der evangelischen Thüringer Landeskirche. Was führte mich im Jahr 1983, jung verheiratet, zwei kleine Kinder, geboren 1981 und 1982, ein drittes kam 1986, zu den Frauen für den Frieden in Eisenach? In meiner Schulzeit lernte ich, dass eigenes Denken, Hinterfragen des alltäglichen Lebens im realen Sozialismus von Staats wegen nicht erwünscht ist. Meine Eltern waren evangelisch, aber nicht religiös. Wir besuchten keine Gottesdienste, doch Taufe, Konfirmation, Trauung und kirchliche Bestattung waren wichtig. Ich wurde konfirmiert und war aktives Mitglied in der Jungen Gemeinde (JG). Dort war Raum für Gespräche, ich fand Antworten auf Fragen, die mich bewegten. Während meiner Ausbildung zur Krankenschwester waren die offenen Treffen am Samstagabend im Gemeinderaum ein Ankerplatz. Hier lernte ich Menschen kennen, mit denen ich viele Jahre, teilweise bis heute, verbunden bin.

Später bildeten sich in Eisenach eine Umweltgruppe und ein Hauskreis, der sich mit Friedensfragen befasste. Ich war einige Male dort, kam aber kaum zu Wort. Dort redeten Männer. Was Frauen sagten, war nicht wichtig. Im Herbst 1983 hörte ich, dass die Frau des neuen Landesjugendpfarrers, Margot Friedrich, andere Frauen zu einem wöchentlichen Treffen ins Pfarramt in der Barfüßerstraße 22 einlädt. Ich ging zu einem Treffen und blieb dabei.

Aktionen und Reaktionen

Eine der ersten Aktionen, an der wir uns als Gruppe beteiligten, war der Protest gegen die Wehrpflicht von Frauen im Kriegsfall, also dem Dienst an der Waffe. Es war aber jeder Frau freigestellt, ob sie eine entsprechende Eingabe beim Staatsrat machte. 1984 beteiligten wir uns an den Umwelttagen der Umweltgruppe im Gemeindezentrum „Hinter der Mauer“ und thematisierten, wie man weniger Reinigungs- und Waschmittel verwendet, welche Alternativen es gibt, und befassten uns auch mit Fragen der Ernährung, z.B. dem hohen Fleischkonsum. An den jährlichen Friedensdekaden in der Kirchgemeinde beteiligten wir uns ebenfalls. Die Angst vor einem Atomkrieg brachte weitere Frauen in die Gruppe; zeitweise kamen auch Frauen, die einen Ausreiseantrag gestellt hatten.

Die Treffen brachten Aufmerksamkeit, zum einen in der Kirchgemeinde: positive Resonanz, aber auch Misstrauen – was machen denn die Frauen da, allein, ohne Pfarrer, fragte man sich. Von den „wilden Weibern“ aus der Barfüßerstraße war die Rede. Und wir fragten uns: Was ist hier los, warum werden wir mit unseren wichtigen Themen nicht ernst genommen und niedergemacht? Plötzlich waren Feminismus, Gleichberechtigung und die Rolle von Frauen in der DDR und in der Kirche wichtige Themen für uns. Zum anderen wurde aber auch die Staatssicherheit auf uns aufmerksam. Das war uns bewusst, wir konnten damit mehr oder weniger gut umgehen. Weniger gut dann, wenn wir plötzlich merkwürdigen Situationen ausgesetzt waren, z.B. am Arbeits- oder Ausbildungsplatz oder in der Schule unserer Kinder. Einige Frauen wurden zu Gesprächen in die Kaderabteilung ihrer Arbeitsstellen geholt. Nach der Friedlichen Revolution konnten wir Einsicht in die Stasiakte unserer Gruppe nehmen. In den Maßnahmeplänen sind Ziele zur Auflösung der Gruppe formuliert, vor allem durch Zermürbung und Diffamierung. Eine Inoffizielle Mitarbeiterin (IM) war auf unsere Gruppe angesetzt, aber nicht direkt bei uns dabei, außerdem gab es mehrere IM im Umfeld einiger Frauen. Eingebunden in das System Stasi waren auch Funktionäre auf verschiedenen Ebenen. Die Staatssicherheit meinte, dass wir Frauen die Themen in unserer Gruppe nicht eigenständig bestimmten. Das könne nur ein Mann sein, namentlich wurde ein Pfarrer genannt. Das sagt sehr viel über das Frauenbild der Staatssicherheit aus.

Die Überwachung und ihre möglichen Folgen hielten uns jedoch nicht von unserem Engagement ab. Wir tauschten uns per Post und durch Besuche von West nach Ost mit Frauen in Hamburg und mit einer Friedensgruppe in Kassel aus. 1986 machten wir eine Eingabe gegen die verharmlosende Informationspolitik der DDR-Regierung nach der Katastrophe von Tschernobyl. Es folgte eine Einladung zum Gespräch ins Amt für Strahlenschutz nach Berlin, an dem mehrere Frauen aus unserer Gruppe teilnahmen. Diese Einladung hat uns sehr überrascht. Was uns da gesagt wurde, haben wir bei kirchlichen Veranstaltungen und in unserem Umfeld weitergegeben. Unsere Meinungen und Haltungen in einem gewissen öffentlichen Rahmen äußern zu können, das war für uns ein Erfolg. In weiteren Aktionen nahmen wir Kontakt zum Kreisverband des Demokratischen Frauenbunds Deutschlands (DFD) auf. Bei dem Gespräch kamen wir uns vor, als wären wir Gäste aus einem anderen Land: Die DFD-Frauen berichteten, was der DFD ist und wofür er steht, dass Frauen in der DDR gleichberechtigt seien, und erklärten uns die sozialpolitischen Maßnahmen in der DDR – also alles Dinge, die wir selbst kannten. Unsere Argumente wurden mit den uns ebenfalls bekannten Parolen wie „die DDR ist ein Friedensstaat“ usw. beantwortet. Ein Austausch, z.B. zu Themen wie sexuelle oder häusliche Gewalt, kam nicht zustande. 1988 gestalteten wir eine Gesprächsrunde zum Thema Gentechnik beim Frauenforum des Kirchentags in Erfurt. 1989 schrieben wir an den Kreisarzt und protestierten gegen die desolaten Zustände in der gynäkologischen Versorgung der Frauen im Kreis Eisenach. Der Brief blieb unbeantwortet, wurde in der Stasiakte dokumentiert. 

Beständiges Engagement

Dann kam die Friedliche Revolution 1989. Nun gab es so viele neue und andere Möglichkeiten, Mitarbeit in Parteien, Initiativen, neu gegründeten Vereinen. Unsere Gruppe Frauen für den Frieden in Eisenach zerfiel schnell. Doch wir trafen uns an verschiedenen Orten immer wieder, einige gründeten zusammen ein Frauenzentrum, später den Trägerverein für das Frauenhaus in Eisenach. Die Erfahrungen, Erlebnisse und Freundschaften in der Frauengruppe haben mich für mein weiteres Leben und Engagement stark geprägt und führten mich auf meinen beruflichen Weg als Gleichstellungsbeauftragte in Eisenach.

Die Berichte von Zeitzeuginnen sind heute eine wichtige Quelle. Von unserer Gruppe gibt es nur wenige Dokumente und Fotos. Zum einen hatten wir keine Möglichkeit, Kopien anzufertigen, zum anderen hätten Schriftstücke und Fotos uns im Ernstfall auch belasten können. Angst hatten wir davor, dass die Staatsmacht uns über unsere Kinder erpresst, also droht, uns die Kinder wegzunehmen. Unsere Berichte tragen dazu bei, dass das Engagement von Frauen nicht im „Dunkel der Geschichte“ verschwindet, so wie es zum Teil mit den Frauen geschah, die sich z.B. im 19. und 20. Jahrhundert für die Emanzipation von Frauen in vielen Bereichen, etwa in der Bildung, im Erwerbsleben und im Kampf um das Frauenwahlrecht, aktiv einsetzten. 

 

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