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Thüringen und Sachsen – die Zentren der DDR-Frauen- und Lesbenbewegung

Judith Geffert, geboren 1989 in Magdeburg, ist freie Radio-Autor*in und Kulturwissenschaftler*in. In ihrer Masterarbeit forschte sie zu lesbischer Gegenöffentlichkeit in der späten DDR und der Umbruchszeit. Sie produziert Features und dokumentarische Podcasts für Deutschlandradio, den rbb und freie Radios und ist eine von drei Kurator*innen der Wanderausstellung „Gemeinsam sind wir unerträglich. Die unabhängige Frauenbewegung in der DDR“.

von Judith Geffert 

Als Kurator*in der Wanderausstellung „Gemeinsam sind wir unerträglich. Die unabhängige Frauenbewegung in der DDR“ hatte ich in Bezug auf meinen Rechercheschwerpunkt Thüringen und Sachsen die Qual der Wahl. (Anmerkung: Die DDR war nicht in Bundesländer, sondern in Bezirke aufgeteilt. Nach der Wiedervereinigung wurden die Bundesländer neu gegründet – die heutigen Grenzen Thüringens und Sachsens entsprechen daher nicht den damaligen Zuordnungen. Im Kurator*innenteam haben wir unsere Zuständigkeiten an den Grenzen der heutigen Bundesländer orientiert.) Während meine Kolleginnen monatelang nach Kontakten zu Frauengruppen in Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern suchten, war ich zunächst wie erschlagen von der Vielfalt an Frauengruppen, die sich mir für meinen lokalen Fokus bot.

Denn der dicht besiedelte Süden der DDR entwickelte sich in den 1980er Jahren neben Ost-Berlin zum Zentrum der Frauen- und Lesbenbewegung. Für diejenigen, die aus eher spärlich besiedelten Gebieten und kleineren Städten kamen, stellten die zahlreichen Feste und Frauenforen in Städten wie Dresden, Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz), Leipzig, Erfurt, Jena und Weimar sowie die von dort in die ganze DDR versandten Samisdat-Zeitschriften Lila Band, Das Netz und frau anders wichtige Kontaktmöglichkeiten dar. In vielen Städten gründeten sich gleich mehrere Frauen- und Lesbengruppen. In Thüringen waren die Gruppen Ende der 1980er Jahre untereinander so gut vernetzt, dass sie bereits im September 1989 ein erstes DDR-weites Frauenkoordinierungstreffen in Erfurt organisierten. Die daraus hervorgegangene Bürgerinneninitiative Frauen für Veränderung erarbeitete als erster Zusammenschluss feministischer Gruppen ein politisches Positionspapier zur politischen Umbruchszeit. Beim nächsten Vernetzungstreffen am 2. Dezember beschlossen die versammelten Frauen, ein überregionales Frauennetzwerk zu gründen. Dass sich nur einen Tag später der Unabhängige Frauenverband (UFV) als ebensolches in der Ost-Berliner Volksbühne gründete, sahen viele von ihnen kritisch – sie fürchteten, dass der UFV ihre lokalen Interessen nicht angemessen vertreten könnte.

Aus dieser Vielfalt auszuwählen und ihr dennoch gerecht zu werden, stellte uns bei der Konzeption vor Herausforderungen. In der Ausstellung wollen wir die Frauenbewegung anhand von Geschichten greifbar machen. Oft haben wir uns also an den folgenden Fragen orientiert: Zu welcher Gruppe haben wir interessante Quellen? Zu welcher Quelle können wir eine Geschichte erzählen, die es den Besucher*innen ermöglicht, die Gruppe und ihre Themen kennenzulernen? Welche Gruppe wurde noch nicht so oft in den Fokus gerückt, obwohl es interessante Forschung zu ihr gibt? Welche Zusammenschlüsse haben wichtige feministische Erfolge für die Frauenbewegung der DDR erstritten? Ein gutes Beispiel hierfür ist die Gruppe Frauen für den Frieden Eisenach. Sie stand bisher kaum im Fokus der überregionalen Aufarbeitung, obwohl sie eine sehr aktive Gruppe war. Das fünfseitige Gedächtnisprotokoll eines Gesprächs mit dem Amt für Strahlenschutz, das sie nach dem Super-GAU von Tschernobyl 1986 eingefordert hatte, ist ein wichtiges Zeugnis für das umweltpolitische Engagement der Frauengruppen, die dafür auch aktiv in den Austausch mit staatlichen Akteuren gingen.

Feste und Treffen: Zeit zum Feiern und Diskutieren

Zwei Schwerpunkte meiner Arbeit, die sich auch in der Ausstellung wiederfinden, waren die Frauengruppentreffen und die Samisdat-Zeitschriften. Beispielhaft sind die Dresdner Frauenfeste, die 1985–1987 von Lesben aus dem Arbeitskreis Homosexualität Dresden veranstaltet wurden. In der DDR war das Wort „Lesbe“ ein Schimpfwort, Lesbischsein war tabuisiert und es gab weder Beratungsstellen noch einen öffentlichen Diskurs darüber. Die daraus resultierende Isolation und Einsamkeit war für viele Lesben schmerzhafte Lebensrealität. Vor diesem Hintergrund lässt sich besser verstehen, wie überlebenswichtig solche Feste vor allem für Lesben waren. Aber auch heterosexuelle Frauen nahmen teil. Dort wurde nicht nur gebührend gefeiert, es wurden auch feministische Themenschwerpunkte gesetzt. Beim dritten Dresdner Frauenfest 1987 beispielsweise gab es Vorträge und Gesprächsrunden über Gewalt an Frauen, aus denen für mehrere Frauengruppen der Wunsch resultierte, Frauenschutzhäuser zu gründen. Mit den neuen Möglichkeiten nach dem Mauerfall war das oft eines der ersten Anliegen, welche die neu gegründeten Fraueninitiativen und -vereine umsetzten.

Das Frauenforum im Erfurter Augustinerkloster, 1988. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft/ Mechthild Ziegenhagen/ RHG_Fo_GZ_1201

Dafür, dass viele Frauen- und Lesbengruppen in der DDR unbequeme Themen ansprachen, drohten ihnen staatliche Sanktionen. In der evangelischen Kirche fanden sie zumindest einen halböffentlichen Raum, in dem sie sich austauschen und organisieren konnten. Vor diesem Hintergrund war das von mehreren Erfurter Gruppen initiierte Frauenforum während des Erfurter Kirchentages 1988 ein weiteres wichtiges Treffen. Darauf folgend begannen die Beteiligten in verschiedenen Quellen von einer „Frauenbewegung“ zu sprechen. Auch in Erfurt wurde thematisch gearbeitet: Auf einer Podiumsdiskussion sprachen Betroffene, Krankenschwestern und Psychologinnen offen über Schwangerschaftsabbrüche, die in der DDR zwar legal, aber dennoch tabuisiert waren. Von dieser Diskussion gibt es eine gut erhaltene Tonbandaufnahme, die wir in der Ausstellung präsentieren. Anhand solcher Themensetzungen lässt sich erkennen, dass die vermeintliche Gleichberechtigung der Frau in der DDR – die von der DDR-Regierung und dem staatlichen Demokratischen Frauenbund Deutschlands propagiert wurde und sich bis heute recht hartnäckig im Mythos der emanzipierten „Ostfrau“ hält – viele Themen ausklammerte. Feministische Forderungen zu Gewalt an Frauen und reproduktiven Rechten, von denen viele bis heute aktuell sind, waren in der DDR kaum öffentlich thematisierbar. Genau das wollten wir als Kurator*innenteam aufzeigen.

Feministischer Samisdat made in Sachsen und Thüringen

Vernetzung fand nicht nur auf den Treffen statt, sondern auch über die drei Samisdat-Zeitschriften der Bewegung, die alle in Sachsen und Thüringen vertrieben wurden: das Lila Band, das 1986 als erste Samisdat-Zeitschrift von zwei Gruppen aus Karl-Marx-Stadt mit christlich-feministischem Fokus gestaltet und herausgegeben wurde, Das Netz, das der Arbeitskreis Feministische Theologie ab 1988 von Dresden aus verschickte, und die Lesbenzeitschrift frau anders, die ab 1989 von der Lesbengruppe in der Evangelischen Studentengemeinde Jena herausgegeben wurde und für eine Vernetzung der immer zahlreicher werdenden Lesbengruppen in der DDR sorgte. Auch diese drei Zeitschriften konnten nur dank der Infrastruktur der evangelischen Kirche vertrieben werden. Diese konnte nicht nur unabhängig von der staatlichen Kontrolle Infoblätter in kleiner Auflage und „nur zum innerkirchlichen Gebrauch“ herausgeben, sondern auch die Logistik zur Vervielfältigung bereitstellen. 

Erstes Cover der Lesbenzeitschrift frau anders, 1989. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft RHG_GZ_S_01_191

Eine Gruppe, der ich in der Ausstellung gerne mehr Aufmerksamkeit gewidmet hätte, ist die Lesbengruppe der Evangelischen Studentengemeinde Jena. Sie gründete sich Mitte der 1980er Jahre aus dem Arbeitskreis Homosexuelle Liebe heraus. Die Beteiligten trieb der Wunsch an, als Lesben unter sich zu sein – sie arbeiteten aber trotzdem weiterhin mit den schwulen Männern des Arbeitskreises zusammen. 1987 organisierten sie ein überregionales Lesbentreffen in Jena, in Kontinuität zu den Dresdner Frauenfesten. Der daraus erwachsene Kreis traf sich wöchentlich in der Wohnung des Paares Bärbel Klässner und Kerstin Rösel, wo sich die Teilnehmenden gegenseitig ihre Lebensgeschichten erzählten, die sie protokollierten und anonymisiert auf Frauengruppentreffen vortrugen. Daraus entstand das Bedürfnis, eine eigene Zeitschrift für Lesben herauszugeben (vgl. Klässner 2015: 66ff.). Im Januar 1989 erschien die erste Ausgabe der frau anders in einer Auflage von 100 Stück, hergestellt mit Material, das die Frauen teilweise aus Westdeutschland organisieren mussten. Für viele isoliert lebende Lesben war sie ein augenöffnendes Medium, das es ihnen ermöglichte, Worte für das eigene Begehren zu finden. Die Themen reichten von Alkoholismus über sexualisierte Gewalt bis hin zu feministischer Linguistik; auch feministische Rätsel und sehr ehrliche Berichte von verschiedenen Frauengruppentreffen waren zu finden. Die Magdeburgerin Carmen P., die Ende 1988 zur Unabhängigen Frauengruppe Magdeburg stieß, erinnert sich an den Moment, in dem sie frau anders das erste Mal las: „In der Ausgabe war auch ein Artikel drin mit einer Prozentrechnung, wieviel Lesben und Schwule es rein prozentual geben müsste. Und dann fand ich diese Idee berauschend, die frau anders da aufgemacht hatte, dass wenn das so stimmt, prozentual, dass es mehrere hunderttausend Lesben in […] der DDR geben müsste, und die würden […] genau die Einwohnerzahl von Rostock ausmachen. Und dann habe ich mir so in meinen Träumen vorgestellt: Stell dir mal vor, wir könnten Rostock besetzen, und es wäre alles unsers!“ (zit. nach Geffert 2021: 45). Daraufhin versuchte sie, in Stendal eine eigene Lesbengruppe zu gründen – leider erfolglos. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie wichtig die frau anders für die Lesbenbewegung in der DDR und darüber hinaus war. Bis 1993 gab das Redaktionsteam sie heraus. Blättert man durch die Ausgaben, kann man die Stimmungen und Diskurse der Umbruchszeit in der Zeit ab 1989 förmlich greifen.

Es ist schmerzhaft, solche Details und weitere eindrückliche Geschichten in einer Überblicksausstellung nicht abbilden zu können. Uns Kurator*innen trägt die Hoffnung, dass die Besucher*innen der Ausstellung sich von einigen Gruppenvorstellungen oder Randnotizen dazu inspiriert fühlen, weiterzurecherchieren, in feministische Archive zu gehen und sich zu informieren. Im Archiv GrauZone, das heute im Archiv der Robert-Havemann-Gesellschaft untergebracht ist, im Digitalen Deutschen Frauenarchiv oder im Lesbenarchiv Spinnboden in Berlin-Mitte gibt es genug spannende Dokumente, die noch entdeckt werden wollen.

 

Literatur:

Geffert, Judith: Lesbisch-feministische Räume und Gegenöffentlichkeit im Magdeburg der späten DDR und Umbruchszeit zwischen 1989 und 1990, unveröffentlichte Masterarbeit, 2021.

Klässner, Bärbel: „Als frau anders war“, in: Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt (Hrsg.): „Das Übersehenwerden hat Geschichte“ – Lesben in der DDR und in der friedlichen Revolution“, 2015, URL: https://www.gwi-boell.de/sites/default/files/pdf_das_uebersehenwerden_hat_geschichte._tagungsdokumentation_final.pdf  [eingesehen am 10.4.2024]

 

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