Liebe Leser*innen,
interaktives Erinnern mit Hilfe von Digitalen Spielen – wie kann das gelingen? Diese Frage ist grundlegend für das Team, welches aktuell das Digital Remembrance Game „Erinnern. Die Kinder vom Bullenhuser Damm“ entwickelt, das als Ergänzung zum Angebot der Gedenkstätte Bullenhuser Damm in Hamburg konzipiert wird. Diese erinnert an 20 jüdische Kinder und mindestens 28 Erwachsene, die am 20. April 1945 im Keller eines leerstehenden Schulgebäudes von der SS ermordet wurden. Vor ihrer Ermordung wurden die Kinder zu pseudomedizinischen Versuchen im KZ Neuengamme missbraucht.
Das Spiel soll in die Perspektive von fünf Schüler*innen der Schule Bullenhuser Damm in den späten 1970er-Jahren versetzen. In deren Rolle begehen Spielende unterschiedliche Pfade des Erinnerns. Durch die Interaktion mit anderen Menschen und die Integration verschiedener Zeitebenen entsteht aus Sicht der spielenden Protagonist*innen ein persönliches Erinnerungsnarrativ.
Das Spiel wird von der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen gemeinsam mit Paintbucket Games für die Hamburger Gedenkstätte Bullenhuser Damm entwickelt und durch die Alfred Landecker Foundation gefördert. Das vorliegende LaG-Magazin wurde gemeinsam mit dem Projektleiter Markus Bassermann konzipiert und nimmt die Frage zum Ausgangspunkt, wie eine ansprechende und respektvolle Gesichtsvermittlung mit Hilfe von Digitalen Spielen gestaltet werden kann.
Steffen Jost, Programmdirektor der Alfred Landecker Foundation, skizziert in seinem Vorwort, wieso und in welchem Rahmen die Stiftung Digitale Spiele fördert.
Akteure der historisch-politischen Bildung greifen gerne auf Spiele zurück, die unter dem Etikett „Serious Game“ eine angemessene Thematisierung ernster historischer Themen versprechen. Doch ist diese Etikettierung mit ihren Implikationen nicht unumstritten, wie die einleitenden Beiträge diskutieren. Felix Zimmermann bietet einen Überblick über die Entstehungsgeschichte von Serious Games und verortet sie in ihrer Funktion im Spannungsfeld zwischen Unterhaltung und Wissensvermittlung. Nico Nolden wirft die Frage auf, wie eine sinnvolle Kategorisierung von Digitalen Spielen, die Geschichte thematisieren, aussehen könnte und was unterschiedliche Spiele jeweils zur Erinnerungskultur beitragen können.
Da in der vorliegenden Ausgabe ausgehend vom Spiel „Erinnern. Die Kinder vom Bullenhuser Damm“ grundlegende Aspekte diskutiert werden sollen, geben Markus Bassermann, Iris Groschek und Nicole Mattern in ihrem Werkstattbericht zunächst Einblicke in die Konzeption und Entwicklung dieses Digital Remembrance Games.
An seinem konkreten Beispiel diskutierten am 25. September 2023 Markus Bassermann, Mona Brandt, Lucas Haasis, Rüdiger Brandis, Tabea Widmann, Florian Fischer, Mathias Herrmann, Nadine Cremer, Aska Mayer und Christian Günther an einem digitalen Roundtable über die Vermittlungsmöglichkeiten und -grenzen von Digitalen Spielen in der historisch-politischen Bildung. Die wichtigsten Diskussionsstränge werden in ihrem Beitrag dokumentiert. Die Organisation, Koordination und Zusammenstellung der Beiträge haben Lucas Haasis und Peter Färberböck vom Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und Digitale Spiele übernommen.
Da immer mehr Akteure der historisch-politischen Bildung ausloten, inwiefern Digitale Spiele das Repertoire der eigenen Gedenkstätte erweitern könnten, ist ein Austausch untereinander wichtig: Iris Groschek trägt die Ergebnisse eines Vernetzungstreffens zusammen, das im Sommer 2023 in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme stattfand. Sie zeigt auf, welche Problemfelder gemeinsam herausgearbeitet wurden – und skizziert erste Ansätze für einen produktiven Umgang mit diesen.
Dass es bereits erfolgreiche Digitale Spiele gibt, in denen Antworten auf die in diesem LaG-Magazin diskutierten Fragen gefunden wurden, illustrieren drei Beispiele:
Anne Sauer und Hannah Sandstede berichten über die Entwicklung des Digitalen Spiels „Spuren auf Papier“ zur NS-„Euthanasie“ als investigative Detektivgeschichte – und über die Herausforderungen für Gedenkstätten und Game-Designer*innen, die diesen Prozess begleitet haben.
Christoph Kreutzmüller präsentiert mit „#lastseen“ ein Suchspiel, das sich auf historische Fotos als Ausgangspunkt der Spielentwicklung fokussiert.
Timo Hellmers erörtert mit einem Beispiel aus der Bildungspraxis des Europäischen Hansemuseums in Lübeck, wie es gelingen kann, museale Angebote mit Hilfe von Digitalen Spielen zu erweitern.
Abschließend geben wir allen, die auf der Suche nach Tipps für den Einsatz von Digitalen Spielen in der schulischen und außerschulischen Bildung sind, einen Überblick über wichtige Zugänge und Materialien: Sabrina Pfefferle rezensiert fünf Handreichungen, die in der Praxis unterstützen können.
Christian Huberts und Malte Grünkorn stellen die Datenbank Games und Erinnerungskultur der Stiftung Digitale Spielekultur vor, die Interessierten bei der Auswahl und Erprobung Digitaler Spiele behilflich sein kann.
Wir bedanken uns herzlich bei Markus Bassermann und vom Arbeitskreis Geschichtswissenschaft und Digitale Spiele insbesondere bei Lucas Haasis für Ihre Mitgestaltung, sowie bei der Alfred Landecker Foundation für die Förderung dieser Ausgabe!
Das nächste LaG-Magazin erscheint voraussichtlich am 28. Februar 2024 und fokussiert „Gender im Diskurs“.
Wir wünschen allen Leser*innen eine (zum Spielen) anregende Lektüre und einen guten Jahreswechsel!
Ihre LaG-Redaktion