Zur Diskussion

Eine Ausstellung als Aufarbeitungsprojekt? Im Gespräch mit den Kurator*innen der Ausstellung „Gemeinsam sind wir unerträglich“

Ulrike Rothe ist Historikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Agentur für Bildung, Geschichte und Politik e.V. Zur Frauen- und Geschlechtergeschichte der DDR hat sie mehrere Essays und Fachbeiträge veröffentlicht. Sie ist Initiatorin und leitende Kuratorin des Ausstellungsprojekts „Gemeinsam sind wir unerträglich. Die unabhängige Frauenbewegung in der DDR“.

Rebecca Hernandez Garcia studierte Geschichte, Philosophie und Archivwissenschaften. Sie ist Archivleiterin der Robert Havemann Gesellschaft – Archiv der DDR-Opposition. Sie beschäftigte sich in den letzten Jahren verstärkt mit der Quellenlage und der Aufarbeitung der ostdeutschen Frauenbewegung und wirkte an verschiedenen Projekten mit, u.a. als Kuratorin der Ausstellung „Gemeinsam sind wir unerträglich. Die unabhängige Frauenbewegung in der DDR“.

Judith Geffert, geboren 1989 in Magdeburg, ist freie Radio-Autor*in und Kulturwissenschaftler*in. In ihrer Masterarbeit forschte sie zu lesbischer Gegenöffentlichkeit in der späten DDR und der Umbruchszeit. Sie produziert Features und dokumentarische Podcasts für Deutschlandradio, den rbb und freie Radios und ist eine von drei Kurator*innen der Wanderausstellung „Gemeinsam sind wir unerträglich. Die unabhängige Frauenbewegung in der DDR“.

Begleitend zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog erschienen. Über ihn sind u.a. Quellenausschnitte in Ton und Bild abrufbar: Rothe, Ulrike/Garcia Hernandez, Rebecca (Hrsg.): „Gemeinsam sind wir unerträglich“. Die unabhängige Frauenbewegung in der DDR, Halle 2023. Weitere Infos und Termine, wann die Ausstellung wo zu sehen ist, unter: https://agentur-bildung.de/wanderausstellung-frauenbewegung-in-der-ddr/

LaG: Was hat den Anstoß dazu gegeben, eine Ausstellung über die unabhängige Frauenbewegung in der DDR zu konzipieren?

Ulrike Rothe: Rebecca Hernandez Garcia und ich engagieren uns schon seit einigen Jahren in der Aufarbeitung frauenspezifischer DDR-Geschichte. Zum 30. Jahrestag des Mauerfalls 2019 wurde das Thema Frauen in der DDR in den Medien verstärkt diskutiert. Unser Beitrag dazu war es, auf die Frauen zu schauen, die am Rande der DDR-Gesellschaft standen, die aus verschiedenen Gründen und Konstellationen heraus marginalisiert waren und untypische Lebensentwürfe verfolgten. Dazu haben wir, die Agentur für Bildung, Geschichte und Politik e.V. und die Robert-Havemann-Gesellschaft/Archiv der DDR-Opposition e.V., über zwei Jahre hinweg eine Veranstaltungsreihe angeboten, die auch in zwei LaG-Magazinen dokumentiert ist. Zu den unangepassten Frauengruppen gehörten auch diejenigen, die sich systemkritisch positionierten und als oppositionelle Gruppen aktiv waren. In diesem Feld gab es so viele Leerstellen, dass wir schon damals das Bedürfnis verspürten, die Aufarbeitung dazu voranzutreiben.

In unserem Nachfolgeprojekt von 2021, der „Forschungswerkstatt zu unangepassten Frauen in der DDR“, haben wir uns in einem Workshop den Ost-Berliner Lesben in der Kirche gewidmet. Unsere Fragen an die Geschichte dieser Gruppe waren, was eigentlich ihre Ziele und Forderungen waren und welche wichtigen Dokumente etwas über die Programmatik dieser Gruppe aussagen. Dieser Blickwinkel war dann auch entscheidend, als kurz darauf die Idee des Ausstellungsprojekts entstand. Bekannt war, dass es nicht wenige Frauengruppen in der DDR gab, dass sie sich trafen und schließlich im Herbst 1989 den Unabhängigen Frauenverband gründeten. Aber wie kam es dazu, was war die Vorgeschichte dieses aufregenden Ereignisses? Und wenn Frauen unter dem Dach der Kirche oder in Wohnungen zusammenkamen, was problematisierten sie? Welche frauenpolitischen Forderungen artikulierten sie? Wie schauten sie auf ihr Leben und das der anderen Frauen in der DDR?

LaG: Was sind wichtige Meilensteine bei der Konzeption einer solchen Ausstellung?

Rothe: Unabdingbar ist es, ein erstes überzeugendes und fundiertes Konzept zu entwickeln, das sich an der zuvor identifizierten Leerstelle orientiert. Denn dies ist die Voraussetzung dafür, dass Stiftungen überzeugt werden können, das Projekt zu finanzieren. Dazu gehören die Definition der Zielgruppen der Ausstellung, die erschöpfende Recherche des Forschungsstands und der Quellenlage (welche Archive und Sammlungen sind relevant und welche Quellen werten wir überhaupt aus?), die Aspekte Begleitband/Katalog und das ausstellungsbegleitende Bildungsprogramm. In der Phase vor dem eigentlichen Projektbeginn ist es außerdem wichtig, Expert*innen und Unterstützer*innen im Feld anzusprechen und für das Projekt zu gewinnen. Der erste Meilenstein ist geschafft, wenn die Förderzusagen kommen.

Mit Projektbeginn und dem Start der Recherchen war es für das Kurator*innenteam essenziell, sich grundlegend über den inhaltlichen Rahmen und die Grenzen der Darstellung zu verständigen. Dazu gehörte etwa: Welche Kontexte müssen geliefert werden, um das Thema an die breite Zielgruppe verständlich zu vermitteln? Welche Rolle spielen Oral-History-Quellen? Wie definieren wir zentrale Begriffe: Wer gehörte zur informellen Frauenbewegung und wer nicht? Wie gehen wir mit dem Begriff „Feminismus“ um? Wie bringen wir den Begriff der sozialen Bewegung ein?

Herausfordernd war sicher auch die Entwicklung des Feinkonzepts vor der Erstellung des Drehbuchs. Ziel ist hierbei die Entwicklung eines Ausstellungsnarrativs, einer gut vermittelbaren Geschichte, die sich als roter Faden durch alle Ausstellungstafeln zieht und gleichzeitig die These darlegt. Für unsere Ausstellung ist es die Botschaft: Ostdeutschland hat eine feministische Tradition. Es gab eine Bewegung der Frauen, die schon vor 1989 entstand und sich dann auf der politischen Bühne der Wendezeit hörbar und selbstbewusst zu Wort meldete.

LaG: Nach welchen Kriterien wurden die dargestellten Themenfelder, die zeitlichen Abschnitte und spezifischen Akteur*innen ausgewählt?

Rebecca Hernandez Garcia: Es ist uns wichtig gewesen, die drei wesentlichen Strömungen der unabhängigen DDR-Frauenbewegung darzustellen, die Samirah Kenawi bereits 1995 in ihrer Dokumentation zu Frauengruppen in der DDR ausgearbeitet hat: die Gruppe Frauen für den Frieden, die kirchlichen Frauengruppen einschließlich der feministischen Theologinnen sowie die Lesbengruppen. Wir wollen zeigen, dass diese Strömungen zwar unabhängig voneinander existierten, sie aber durchaus Schnittstellen hatten und sich im gegenseitigen Austausch befanden. Ab Mitte der 1980er Jahre vernetzten sich die Frauengruppen auf verschiedenen Kirchentagen, Seminaren und Friedenswerkstätten. Bei näherer Betrachtung der Themen der Frauengruppen wird zudem deutlich, dass viele Themen gruppenübergreifend behandelt wurden, wie zum Beispiel Friedenserziehung oder sexuelle Selbstbestimmung. In der Ausstellung haben wir gezielt Frauen zu Wort kommen lassen, die aus unterschiedlichen Bewegungsströmungen kommen. Uns war es wichtig, die unabhängige DDR-Frauenbewegung in ihrer Bandbreite und Vielfältigkeit darzustellen.

Es gab auch schon in den 1970er Jahren vereinzelt Frauengruppen, allerdings lässt sich die Existenz von Frauengruppen anhand der vorhandenen Quellen erst ab Anfang der 1980er gut nachweisen. Ab Mitte der 1980er Jahre vernetzten sich diese Frauengruppen zunehmend und man kann von einer Frauenbewegung sprechen. Unsere Ausstellung beschäftigt sich mit der unabhängigen Frauenbewegung der DDR, allerdings schien es uns nicht richtig, die Ausstellung mit dem Ende der DDR schließen zu lassen, da diese Bewegung ja über diese Zäsur hinweg weiterlief. Zu interessant sind die Ereignisse in den 1990er Jahren. Natürlich konnten wir hier nur einen Ausblick geben. Die Betrachtung der Frauenbewegung mit ihren Akteur*innen nach der Friedlichen Revolution ist sicher ebenfalls noch eine weitere Ausstellung wert.

LaG: In die Ausstellung sind Statements von Zeitzeug*innen integriert. Was macht Zeitzeug*innen für das Konzept unersetzbar?

Judith Geffert: Zeitzeug*innen haben maßgeblich zur Aufarbeitung der so lückenhaft überlieferten Geschichte der DDR-Frauenbewegung beigetragen: Sie haben selbst geforscht und zu dem Thema publiziert. Gleichzeitig sind sie oft die Einzigen, die uns wertvolle Informationen zu den sehr persönlichen Dokumenten geben können, die wir in den Archiven finden. Wir haben es hier außerdem mit einer Geschichte zu tun, die noch nicht so lange vergangen ist. Die damals Aktiven sind heute noch politisch unterwegs, wir können sie fragen und mit ihnen in den Dialog kommen. Das finden wir sehr wertvoll, um über die Anschlussfähigkeit ans Heute nachzudenken.

Hernandez Garcia: Uns war es auch wichtig, die Geschichte der Frauen bzw. Frauenbewegungen aus der Perspektive der Zeitzeug*innen zu erzählen. Sich rein auf die vorhandenen Quellen in den Archiven zu stützen, hätte nicht ausgereicht. Die vorhandenen Ego-Dokumente, wie zum Beispiel Briefe oder Tagebuchaufzeichnungen, bieten sicherlich eine gute Grundlage für die nähere Betrachtung der unabhängigen Frauengruppen. Aber welche Aussagekraft hat der Bericht eines Inoffiziellen Mitarbeiters über die Aktivitäten einer einzelnen Frau oder ein Bericht über ein Frauengruppentreffen? Eine kritische Sichtweise auf diese Dokumente ist unabdingbar und die Zeitzeug*innen tragen maßgeblich dazu bei.

LaG: Gab es auch widersprüchliche Narrative unterschiedlicher Zeitzeug*innen? Wie seid ihr damit umgegangen?

Geffert: Unsere Ausstellung schaut aus einer heutigen, historisierenden Perspektive auf die Bewegung und nimmt sie als großes Ganzes in den Blick. Deshalb kann es passieren, dass wir anderen Narrativen folgen als denen, in denen sich die einzelnen Zeitzeug*innen selbst sehen. Die Bewegung war vielfältig und breit gefächert: Manche verorten ihre Gruppe eher in der Frauenfriedensbewegung, andere sehen sich in der feministischen Theologie oder in der Lesbenbewegung. Unsere Interviews haben wir dementsprechend mit verschiedensten Akteurinnen geführt, in verschiedenen Regionen und mit verschiedenen thematischen Schwerpunkten. In den Erzählungen an sich haben sich daher kaum Widersprüche ergeben können, im Gegenteil: Sie haben sich gegenseitig ergänzt und bestätigt. Manche Details wurden unterschiedlich erinnert, schließlich liegen die Ereignisse über 35 Jahre zurück – dann hat uns der Abgleich mit anderen Quellen weitergeholfen.

LaG: Die Statements der Zeitzeug*innen werden unter anderem durch schriftliche Quellen ergänzt, auch aus Privatarchiven. Was ist das Besondere an einem solchen Quellenkonvolut?

Geffert: Wir haben es größtenteils mit privaten Quellen zu tun: Briefe, Notizen, Artikel in Samisdat-Zeitschriften, die nur für eine kleine Öffentlichkeit gedacht waren, private Fotos, Adresslisten. Oder mit gewaltvollen Quellen, wie Stasi-Akten und Überwachungsfotos. Bei jeder Quelle haben wir sorgfältig abgeklärt, ob wir sie heute zeigen können – manche, die wir sehr mochten, mussten wir schließlich aus rechtlichen Gründen wieder streichen. Gleichzeitig müssen wir mit dem arbeiten, was wir haben – und viele Quellen gelangen gar nicht erst in ein Archiv. Dass wir überhaupt so viele Quellen über die unabhängige Frauenbewegung der DDR haben, liegt daran, dass die Akteur*innen von damals diese Quellen selbst gesammelt und ehrenamtlich eigene Archive aufgebaut haben, wie zum Beispiel das Archiv GrauZone, das Samirah Kenawi gegründet hat. Und auch solche Sammlungen können keine umfassende Dokumentation aller aktivistischen Perspektiven und Tätigkeiten aus der Zeit leisten – dafür braucht es mehr Ressourcen und Strukturen.

Hernandez Garcia: Eine besondere Herausforderung stellte das Auffinden von diesen privaten Quellen dar. Der größte Teil dieser privaten Zeugnisse befindet sich noch bei den Akteurinnen selbst. Oft sind sich die Frauen auch nicht über die Bedeutung dieser Unterlagen bewusst. Daher hier auch noch mal ein kleiner Appell an alle Zeitzeug*innen: Gebt eure Dokumente und Fotos in den Archiven ab. Nur so kann dieser wichtige Teil der DDR-Geschichte weiter aufgearbeitet werden!

LaG: Was war die größte Überraschung im Arbeitsprozess?

Hernandez Garcia: Wir wussten bereits bei Beginn unserer Arbeit, dass es viele spannende Geschichten zu entdecken gibt. Allerdings hat mich die Vielfalt dann doch überrascht. In so vielen Städten der DDR gab es mutige Frauen und Frauengruppen, die sich gegen die kommunistische Diktatur aufgelehnt haben. Man fragt sich im Nachhinein: Wie konnte die Aufarbeitung diesen wichtigen Aspekt bis jetzt so wenig beleuchten?

Rothe: Auch mich hat erstaunt, wie groß dieses Thema eigentlich ist. Es gab in vielen Städten Frauengruppen und die Bewegung sowie ihr Vernetzungsgrad wuchsen Ende der 1980er Jahre an. Aber der Grad der Aufarbeitung dessen steht in keinem Verhältnis dazu; es gibt zu wenig Forschungsarbeiten, zu wenige Zeitzeuginnen sind interviewt worden, auch die archivalischen Sammlungen sind noch nicht gesättigt. Insofern war es eine riesige Herausforderung, dieses Thema in der Recherchephase zu bewältigen und dann auf 24 Tafeln angemessen zu vermitteln. Thematisch ähnliche Ausstellungen, die diese Geschichte nur für einen Ort aufgearbeitet haben, hatten im Gegensatz zu unserem Projekt mehrere Jahre Forschung vorgeschaltet. Wir hatten nicht diese Möglichkeit, profitierten allerdings von einigen Vorgängerprojekten. Wir sammelten so viel „Stoff“ zusammen, dass wir am Ende wieder viele Gruppen, Details, Geschichten und Informationen weglassen mussten. Deshalb bleibt eine systematische wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas dringend notwendig.

LaG: Vielleicht ist das nicht eure Lieblingsfrage, aber woraus man oft am meisten lernt, sind die Fehler anderer. Was würdet ihr rückblickend im Arbeitsprozess anders machen und was waren kritische Momente?

Rothe: Ein Ausstellungsprojekt ist in seinen einzelnen Prozessen und Vorgängen sehr arbeitsintensiv. Daher braucht das Kurator*innenteam zwingend eine assistierende Unterstützung, sowohl in der Recherche als auch im späteren Produktionsprozess. Ein Beispiel: Von Beginn an sind die Recherchen und die Akquiseergebnisse, auch die Rechteverhandlungen etwa zu Abbildungen akribisch zu dokumentieren. Das akquirierte Material wiederauffindbar abzulegen und zu speichern, zu verzeichnen, die Rechte früh zu klären, erspart später viel Arbeit und Nerven.

Ein kritischer Moment für mich war, als sich herausstellte, dass insgesamt zu wenig Bildmaterial vorhanden ist. Eine Ausstellung lebt davon, das Thema bildhaft zu vermitteln, und kann Geschichten nicht nur über Texte erzählen. Doch bei vielen Fotos war die Urheber*innenschaft nicht geklärt. Oder es existieren zu einer Gruppe überhaupt keine Fotos, weil es auch ein Sicherheitsrisiko war, die eigene Arbeit fotografisch festzuhalten. Schwierig kann es auch werden, wenn ehemalige Akteurinnen für Interviews oder Gespräche nicht zur Verfügung stehen oder plötzlich nicht mehr auf Anfragen antworten. Dies kann unterschiedliche Gründe haben, die zu respektieren sind. Für Regionen wie Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg, wo der Wissensstand denkbar gering ist und wir Grundlagenforschung betrieben, kann eine solche Situation entmutigend sein. Hier hat sich bewährt, dass wir drei Kurator*innen waren und uns gegenseitig beraten und unterstützen konnten. So konnte zum Glück aus jeder schwierigen Situation ein Ausweg gefunden werden. Allerdings kann nicht genug betont werden, dass ein solches Projekt ohne die Kooperation der Zeitzeug*innen nicht realisierbar ist.

LaG: Die Ausstellung trägt den Titel „Gemeinsam sind wir unerträglich“. Ist das, was damals unerträglich war, es heute immer noch oder gibt es Veränderungen?

Geffert: Ich würde sagen, vieles ist anders unerträglich. Dass es zum Beispiel bis 2022 gedauert hat, bis vor dem KZ Ravensbrück eine Gedenkkugel für lesbische Opfer des Nationalsozialismus aufgestellt wurde – das Ergebnis einer Bemühung, die in Kontinuität zu den Ravensbrück-Besuchen der Ost-Berliner Gruppe Lesben in der Kirche in den 1980er Jahren steht. Oder dass mit der Wiedervereinigung in den ostdeutschen Bundesländern Schwangerschaftsabbrüche wieder illegalisiert wurden und es bis heute sind. Auch die kürzliche Verschärfung der Asyl-Gesetzgebung und dass rassistische Gewalt in ganz Deutschland wieder zunimmt, so wie in den 1990er Jahren. Oder dass Errungenschaften, die auf den damaligen Bewegungen aufbauen, wie die Einführung geschlechtergerechter Sprache in Institutionen und eine vielfältige feministische, queere und antirassistische Vereinslandschaft in Ostdeutschland heute wieder in Frage gestellt, abgeschafft oder weggekürzt werden.

Rothe: Bei den Führungen, die ich bisher durch die Ausstellung gegeben habe, ist es schon fast ein Automatismus, dass eine der Zuhörer*innen zu den Forderungen der Frauengruppen meint, das sei heute nicht viel anders. Ob es um die Darstellung von Geschlechtern in Schulbüchern geht, um Gewalt an Frauen und queeren Menschen, um die fehlende Repräsentanz von Frauen in Führungspositionen – diese Liste lässt sich weiter verlängern. Allerdings besagt dieses ironische Zitat der Ost-Berliner Lesben in der Kirche ja noch etwas anderes. Nämlich dass Frauen, die sich öffentlich zu den feministischen Themen äußern, die die Missstände beim Namen nennen und Änderungen einfordern, gesellschaftlich als „unerträglich“ empfunden werden. Unübersehbar ist, dass (queer-)feministische Themen gesellschaftsfähiger, dass feministische Kämpfe legitimer geworden sind, etwa wenn man an die #MeToo-Bewegung denkt und daran, dass diese, trotz aller Ambivalenzen und Misserfolge, zu einer gesteigerten Sensibilität für sexuelle Belästigung in bestimmten Branchen geführt hat. Aber nach meiner Einschätzung sind wir bestenfalls in die richtige Richtung aufgebrochen und haben noch einen langen Weg vor uns. 

LaG: Welche Fragen sind am Schluss für euch offengeblieben, die ihr vielleicht gerne stärker aufgegriffen hättet, die in der Ausstellung aber weniger Raum gefunden haben?

Geffert: Ich hätte dem politischen Samisdat gerne noch mehr Raum gegeben, den drei Zeitschriften der Bewegung frau anders, Lila Band und Das Netz. Und wohl wissend, dass das ein eigenes Ausstellungsthema ist, hätte ich gerne noch viel mehr von den 1990er Jahren erzählt. Von der Vielfalt neuer Bündnisse, queerer, antirassistischer, jüdischer, migrantischer Organisationen, die auch von ostdeutschen Aktivist*innen mitgetragen wurden. Von den gescheiterten Versuchen der Verständigung zwischen Ost- und Westfeminist*innen. Von Frauenzentren, Frauenhäusern und Frauenbibliotheken, die sich überall in Ostdeutschland gegründet haben. Von Gleichstellungsbeauftragten, die teilweise bis heute tätig sind und sehr viel für die Schaffung feministischer Strukturen getan haben.

LaG: Wo seht ihr noch Forschungsbedarf in diesem Bereich?

Geffert: Es gibt einzelne Projekte, die die 1990er Jahre aus bewegungsgeschichtlicher Sicht aufzuarbeiten begonnen haben. Hier gibt es aber noch so viel zu tun, so viele spannende Quellen, so viele Geschichten zu entdecken. Ich hoffe, die Besucher*innen unserer Ausstellung fühlen sich inspiriert, sich mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen.

Rothe: Mein Eindruck ist, dass die Geschichte der Frauengruppen in Thüringen und Sachsen noch auf eine systematische Aufarbeitung wartet. Die umfassende Studie von Jessica Bock zur Frauenbewegung in Leipzig hat viele, auch überraschende Details zutage gebracht. Was würden wir wohl erfahren, wenn die Bewegungsszenen in Dresden, Erfurt, Weimar, Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) oder auch in Magdeburg ebenso eingehend erforscht würden? Welches neue Bild und welche neuen Gewichtungen ergäben sich für die gesamte Frauen- und Lesbenbewegung? Auch die Erforschung der Repressionen gegen die Frauengruppen durch das Ministerium für Staatssicherheit und weitere Sicherheitskräfte stellt ein Desideratum dar. Zu diesem Teilthema ein zwar nicht erschöpfendes, aber doch aussagekräftiges Bild in der Ausstellung zu vermitteln, war eine Herausforderung. Sie wäre nicht zu bewältigen gewesen ohne die Vorleistung der Berliner Frauen für den Frieden, namentlich Almut Ilsens, die einen ausführlichen Fachtext dazu geschrieben hat. Grundsätzlich ist dieses Thema nicht genügend aufgearbeitet und wäre Gegenstand einer eigenen Ausstellung.

LaG: Welchen Tipp könnt ihr anderen Personen, die eine Wanderausstellung konzipieren wollen, mit auf den Weg geben?

Rothe: Ein guter Rat ist sicher, ein passendes, haltbares und praktikables Trägersystem für die Ausstellungstafeln zu wählen. Es wird viele Male auf- und abgebaut werden, oft von Menschen, die nicht darauf spezialisiert sind. Daher muss das System einfach zu handhaben sein und sollte sich nicht zu schnell abnutzen. Auch sollten die Ressourcen bei der leihgebenden Einrichtung vorhanden sein, den Ausstellungsverleih zu gewährleisten. Hier macht es durchaus Sinn, sich mit anderen Akteur*innen auszutauschen, die auch Wanderausstellungen verleihen und über Erfahrungen verfügen. Grundsätzlich kann eine Wanderausstellung bis in alle Ecken des Landes, potenziell überall hingelangen. Sie erreicht also auch Zielgruppen, die selten in ein Museum gehen, etwa aufgrund eines Wohnortes außerhalb der größeren Städte. Es bedarf einer Initiative „von unten“, wie die der Agentur für Bildung, Geschichte und Politik e.V., um marginalisierte Geschichte wie die der Frauenbewegung sichtbar zu machen – so dass sie in unser Blickfeld kommt. Und nicht nur das: Eine Wanderausstellung funktioniert wie eine Diskursplattform. Ihre Stärke liegt darin, das Thema in die öffentliche Diskussion vor Ort zu bringen. Dies ist das Potenzial von Wanderausstellungen, wie sie von Vereinen entwickelt werden, die nicht die Ressourcen für umfängliche stationäre Ausstellungen mit Objekten, Medientischen und kostspieligen Begleitprogrammen haben. Macher*innen von Wanderausstellungen sollten sich des Potentials eines solchen Mediums bewusst werden. 

Eröffnung der Ausstellung im Dezember 2023. © Anna Witzel

 

Kommentar hinzufügen

CAPTCHA
Diese Frage dient der Spam-Vermeidung.
Image CAPTCHA
Enter the characters shown in the image.