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Von der Ost-Berliner Umweltbibliothek zu Fridays for Future. Zeitzeugenbericht eines Aktivisten der DDR-Umweltbewegung

Tim Eisenlohr war Ende der 1980er Jahre jüngstes Mitglied der Umweltbibliothek und wurde im Rahmen der „Aktion Falle“ 1987 zusammen mit anderen Mitgliedern der UB verhaftet. Später im wiedervereinigten Deutschland als Schüler aktiv bei amnesty international. Seit 2012 als Zeitzeuge aktiv in der politischen Bildung und Demokratiebildung. Nach einem Einsatz auf der griechischen Insel Lesbos im Winter 2016, im Jahr 2017 Gründung der internationalen Hilfsorganisation ResCO international e.V. Heute ist Eisenlohr dort Vorsitzender und unabhängiger politischer Referent.

von Tim Eisenlohr

UMWELTPROBLEMATIK IN DER DDR

Die Umweltprobleme der DDR waren mannigfaltig: Der saure Regen, der ehemals bewaldete Gipfel in den Wäldern kahl werden ließ, was den Begriff „Waldsterben“ unmittel­bar erlebbar machte. Verantwortlich dafür, dass seine Aus­wirkungen in unserem Land ungleich stärker zu spüren wa­ren, waren fehlende Filteranlagen in den Kohlekraftwerken und das Fehlen von Katalysatoren in den in der DDR und im Ostblock produzierten Kraftfahrzeugen. Während man im Westen auf ähnliche Probleme mit Smog-Alarm und ei­nem Zurückfahren der Produktion reagierte, wurde in der DDR munter weitergemacht. Eine bis zu fünffach stärke­re Belastung der Luft und daraus resultierende Haut- und Atemwegskrankheiten waren die Folge.

Hinzu kamen verseuchte Flüsse, verursacht durch das Ein­leiten unbehandelter Abwässer der chemischen Industrie. Industrieabfälle lagerten in unzulänglich abgesicherten Mülldeponien. Dieses Thema bekam für uns eine beson­dere Bedeutung, als die Bundesrepublik die chronisch an Geldmangel leidende DDR als geeignete Abnehmerin für Sondermüll entdeckte und diesen gegen Devisen (D-Mark) günstig auf Ost-Deponien zu entsorgen begann. Mit dieser Praxis erlebten wir am eigenen Leib, was für die sogenannte „Dritte Welt“ längst Alltag war und bis heute Praxis in einer globali­sierten Welt ist.

GENERATION NO FUTURE

Ich bin nicht nur DDR-Jugendlicher, son­dern ebenso Teil einer Generation, die in Ost wie West unter dem Eindruck verschie­denster massiver menschengemachter Be­drohungen aufwuchs: Da war das Ozonloch, welches sich unaufhaltsam über dem Südpol auszudehnen drohte, und damit die UVB-Strahlungen ungefiltert auf Lebewesen tref­fen ließ, mit den bekannten krebsfördernden Folgen. Es gab Dünnsäure-Verklappung in den Weltmeeren, mit ka­tastrophalen Konsequenzen für Fische und andere Lebe­wesen. Weit entfernt waren zwar die oberirdischen Tests von Atombomben auf Pazifikinseln, aber sie hielten uns anschaulich das Vernichtungspotenzial sol­cher Waffen vor Augen: Die allgegenwärtige Bedrohung eines möglichen Atomkrieges traumatisierte letztlich eine ganze Genera­tion.

Da wir in der DDR größtenteils auch West­fernsehen empfangen oder Radio aus der freien Welt hören konnten, wussten diejenigen, die es wis­sen wollten, dass unsere Welt mehrfach nur knapp der atomaren Vernichtung entging. Entsprechend war unsere Zukunftsangst nicht vorrangig mit den Folgen einer sich immer mehr erwärmenden Atmosphäre verbunden, son­dern wir sahen uns der deutlich akuteren Bedrohung eines atomaren Winters ausgesetzt. Ausgelöst von atomaren Ex­plosionen, welche durch ihre Wucht Tonnen von Staub in die Atmosphäre gewirbelt und gemeinsam mit dem Rauch flächendeckender Waldbrände die Welt für längere Zeit verdunkelt hätten. Vor diesem Hintergrund geisterten dys­topische bis romantische Fantasien durch unsere Köpfe, wie wir in der zerstörten, verstrahlten Welt um unser Über­leben würden kämpfen müssen. Der dann tatsächlich eintretende Super-GAU im Atomkraft­werk in Tschernobyl 1986 bestätigte unsere Befürchtungen hinsichtlich der atomaren Bedrohung auf andere Weise. Während im Westen faktenbasiert berichtet wurde, wiegel­te die Staatsführung der DDR über ihre ge­lenkten Medien ab und verharmloste das Problem. Diese Informationspolitik, welche die Gesundheit der eigenen Bevölkerung so fahrlässig aufs Spiel setzte, empörte viele. Denn dass eine atomare Wolke in unsere Richtung zu ziehen drohte, entging trotz der Informationsbeschränkung den Wenigs­ten und monatelang beschäftigte uns, was noch unbedenklich gegessen werden konn­te und wovon wir besser die Finger lassen sollten. Die Gefährdungslage schuf in vielen Köpfen auch in der DDR eine Hoffnungslosigkeit, welche uns als No-Fu­ture-Generation in die Geschichte eingehen ließ.

WIDERSTAND IN EINER DIKTATUR

In einem Land, in dem eine Partei (in der DDR die SED – Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) den alleinigen Führungsanspruch hat und für sich beansprucht, immer Recht zu haben, gestaltet sich Widerstand gegen Proble­me wie Umweltzerstörung naturgemäß schwierig. So wa­ren Engagement und Aktionen immer ein Balanceakt zwi­schen dem Versuch, eine breitere Öffentlichkeit über die tatsächliche Umweltsituation zu informieren – mit dem Ziel, Druck auf die Staatsführung auszuüben –, und dem Bestreben, nicht für längere Zeit im Gefängnis zu landen. Deshalb wurden Formate geschaffen wie etwa die Baum­pflanzaktion von 50 Schüler*innen im Schweriner Platten­baugebiet Großer Dreesch, in deren Verlauf über 5000 Bäu­me gepflanzt wurden. Hier hatte der Staat keine Handhabe einzuschreiten und vordergründig ließ sich aus der Aktion auch nichts Staatskritisches ableiten. Allerdings begannen die Jugendlichen nun, sich regelmäßig zu treffen und da­bei heiklere Themen zu besprechen, wie den Uranabbau der Wismut oder das Waldsterben im Erzgebirge. Ihrem Vorbild folgten junge Menschen republikweit; sie hielten Umweltseminare ab und gründeten daraus nicht selten Umweltgruppen. Diese Aktionen lassen sich als Vorläufer der in den 1980er Jahren immer vielfältiger werdenden Umweltbewegung der DDR be­zeichnen.

Wie man an Radsternfahrten und Fahr­raddemos anlässlich selbst ausgerufener „autofreier Tage“ sieht, waren die Protest­formen und -aktionen, trotz Verboten und Behinderungen durch Volkspolizei und Sta­si (Staatssicherheit), gewaltfrei. Ziviler Wi­derstand fand nur in sehr engen Grenzen statt – wobei in einer Diktatur die Teilnah­me an einer in der Regel nicht genehmigten Demonstra­tion oder Mahnwache bereits als ziviler Widerstand zu be­zeichnen ist.

UMWELTBIBLIOTHEK BERLIN

Gruppen, welche sich für Umweltbelange engagierten, ta­ten dies oftmals im Schutz von Gemeinden der evangeli­schen Kirche. Hier hatte der Staat nur begrenzten Zugriff, da es seit den 1970er Jahren eine informelle Vereinbarung gab, die darauf hinauslief, dass sich der Staat nicht in Kir­chenbelange einmischte und die Kirche als solche unpoli­tisch blieb.

Deswegen nutzte auch die Gruppe der Umweltbibliothek Berlin (UB) die privaten Kellerräume des mutigen Pfarrers der Gemeinde der Zionskirche, Hans Simon, um eine Bi­bliothek aufzubauen. Diese bot die Möglichkeit, sich jen­seits der kontrollierten Staatsmedien, vor allem mit Hilfe der aus der Bundesrepublik ins Land geschmuggelten Li­teratur, zu Umwelt- und Politikthemen zu informieren. Zu­dem veröffentlichten die Mitarbeiter*innen der UB eine eigene, regelmäßig erscheinende Zeitschrift namens Um­weltblätter. Das wurde möglich, weil die Gruppe geschickt eine Lücke in der Gesetzgebung nutzte: Sie vermerkte auf jeder Ausgabe „Nur zum innerkirchlichen Dienstgebrauch“ – was die Umweltblätter quasi zu einer Gemeindezeitschrift machte. Die Publikation konnte in einem Kellerraum über ein Verteilerregal, in dem viele Oppositionsgruppen ihr eigenes Fach hatten, direkt abgeholt und der kontrollierte Postweg so umgangen werden. Die UB veranstaltete zu­dem Umweltseminare und diente als Treffpunkt für ver­ schiedenste Oppositionsgruppen. Später entstand hier das ökologische Netzwerk Arche, welches sich später von der UB emanzipierte und im Gegensatz zu deren breiterer politischer Arbeit ökologische Themen in den Vordergrund stellte. Rückblickend lässt sich die UB in ihrem Anliegen der Aufklärung und Vernetzung, in ihrem Bedürfnis, Raum für Kultur zu schaffen und in der Gewährung der Möglich­keit, sich frei zu informieren, als so etwas wie ein analoges Internet ihrer Zeit beschreiben.

Anfang 1987, im Alter von 14 Jahren, hörte ich zum ersten Mal von der Umweltbibliothek auf einer Veranstaltung der Kirche von Unten, einer Vereinigung von Christen, die ihr Christsein im Gegensatz zur Amtskirche sehr politisch de­finierten. Als ich dann die Kellerräume der UB zum ersten Mal betrat, begegnete mir eine bunte Mischung von jun­gen Erwachsenen und Jugendlichen, die sich als chao­tisch und links bis anarchistisch beschreiben lassen. Was uns in all unserer Unterschiedlichkeit verband, waren das Bewusstsein für die Herausforderungen unserer Zeit sowie die Bereitschaft, gegen erhebliche Widerstände und sich ausbreitende Hoffnungslosigkeit, uns für den Wandel hin zu einem besseren Land und letztlich auch hin zu einer ge­rechteren Welt einzusetzen, angelehnt an die Ideen eines demokratischen Sozialismus. Aus dem ersten Misstrauen dem Neuling gegenüber wurde bald freundliches Interes­se und die Bereitschaft, mich an den täglichen Arbeiten zu beteiligen. So übernahm ich Ausleihdienste oder half beim Druck der Umweltblätter. Meine gesamte Freizeit verbrach­te ich bald ausschließlich in der UB.

Im November 1987 versuchte der Staat, uns mithilfe so­genannter Inoffizieller Mitarbeiter*innen der Stasi, welche auch die UB unterwandert hatten, eine Falle zu stellen. Während einer Razzia sollten wir dabei erwischt werden, wie wir die – im Gegensatz zu den quasi legalen Umwelt­blättern – verbotene Zeitschrift grenzfall der Gruppe „Frie­den und Menschenrechte“ drucken.

Ohne auf die Details der „Aktion Falle“ in der Nacht vom 24. zum 25. November eingehen zu wollen, lässt sich zusam­menfassend sagen, dass die Razzia für die Stasi ein Schlag ins Wasser war. Statt der Ost-Berliner Oppositionsszene einen Enthauptungsschlag zuzufügen, wurde es eine der größten Niederlagen der Staatssicherheit und ein Triumph der Opposition. Die UB erlangte durch die Berichterstat­tung der Westmedien schlagartig DDR-weite Bekanntheit und es misslang dem Staat, der sich rechtsstaatlich hatte geben wollte, die Bibliothek zu schließen. Sie hatte Be­stand bis über das Ende der DDR hinaus und die Aktion wurde zu einem Fanal der Ermutigung für die in Folge er­starkenden oppositionellen Kräfte im Land.

DAS ENDE EINER BEWEGUNG

Die in Folge der Wende am 18. März 1990 stattfindenden ersten und letzten freien Wahlen zur Volkskammer der DDR begruben dann einerseits viele unserer idealistischen Vor­stellungen vom Wandel, waren aber andererseits der Weg zu Demokratie und Freiheit in einem wiedervereinigten Land. Das Bündnis 90, Träger der DDR-Opposition, erreich­te bei diesen Wahlen bei 2,9%; die Allianz für Deutschland, ein Bündnis aus CDU-Ost, Demokratischem Aufbruch (DA) und Deutscher Sozialer Union (DSU), erhielt hingegen – mit dem Versprechen eines schnellen Angleichens an die Lebensverhältnisse im Westen – 48% der Stimmen. Wir mussten einsehen, dass wir mit unseren Vorstellungen kei­ne Mehrheiten in der Bevölkerung erreichen konnten. Die Prioritäten für die meisten Menschen waren schlicht ande­re zu dieser Zeit. Im Nachhinein betrachtet wäre vieles von dem, was wir anstrebten, in diesem heruntergewirtschafte­ten Land auch nicht umsetzbar gewesen.

UNTERSCHIEDE UND GEMEINSAMKEITEN MIT DEN AKTIVIST*INNEN HEUTE

In der Gegenwart, im Austausch mit jungen Aktivist*innen von Fridays for Future oder Ende Gelände, stelle ich defi­nitiv Gemeinsamkeiten zwischen meinen Motiven damals und ihren heute fest: Zunächst in der Gewaltfreiheit der Aktionen und grundlegender im Bewusstsein, in einer Zeit zu leben, die uns zum Handeln auffordert und dazu, Ver­antwortung zu übernehmen. Die Klimakrise als Bedrohung besitzt eine Dimension, welche viele Menschen überfordert und die Notwendigkeit, einen Teil unseres Wohlstandes für eine bessere Zukunft für alle aufzugeben, war schon zu un­seren Zeiten nicht unbedingt populär.

Doch sehe ich auch Unterschiede: Während wir gegen den Widerstand einer Diktatur für unsere Ziele gekämpft haben, kämpft die heutige Generation vor allem auch um Akzep­tanz und darum, ernst genommen zu werden von Regie­rungen und Konzernen, und nicht zuletzt auch von einer Gesellschaft, die zunehmend aggressiv und mit Ablehnung auf die Überbringer*innen der schlechten Botschaft re­agiert.

Die heutige Zeit hat lei­der vieles, was mich an die Situation in den 1980er Jahren erinnert. Sei es, dass Hungersnöte, die Verschmutzung der Weltmeere und Kriege, die nicht enden wollen, wieder zunehmen, dass flüchtende Menschen keine Heimat finden oder die Klimakrise unsere Welt als Ganzes bedroht. Nicht zuletzt durch einen rasanten technischen Fortschritt, mit dem die gesellschaftliche Entwicklung nicht immer Schritt halten kann, ist vieles seitdem deutlich komplexer und herausfordernder geworden. Gleichwohl gibt es – obwohl die Kulturpessimist*innen unter uns dazu neigen, sie zu übersehen – heute wie damals, mutige Men­schen mit Leidenschaft, Kreativität, Erfindungsreichtum, Durchhaltevermögen und einer guten Portion Resilienz, die alte Wege verlassen und neue finden.

Versammlung in der Umwelt-Bibliothek in der Zionskirche, Zentrum der Bürgerrechtsbewegung, Berlin, DDR, 1988. © Bundesstiftung Aufarbeitung, Ostkreuz, Harald Hauswald, 8910000hh3

Wenn ich beginne, daran zu zweifeln, schaue ich mir ein Foto an: Prenzlauer Berg, ranziger Keller, versammelt sind eine Handvoll Menschen, die Teil einer sehr kleinen DDR-weiten Bewegung sind, denen es letztlich aber gelingen wird, im richtigen Moment einen mächtigen Apparat unter Druck zu setzen. Sie bringen dabei Dinge mit in Bewegung, von denen die Wenigsten zu diesem Zeitpunkt glaubten, dass sie sich bewegen ließen. Ein Teil oder Zeuge dieses überwältigenden Gefühls von Selbstwirksamkeit gewesen zu sein, ist eine mächtige Erfahrung, welche einige von uns bis heute trägt. Der Versuch, diese Erfahrung heute mit jun­gen Menschen zu teilen, ist für mich persönlich eine Form von Dankbarkeit.

 

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