Magazin vom 2.Oktober 2017 (08/17)

Verflechtungen - Widersprüche – Diskontinuitäten – Möglichkeitsräume. Von Rassismus- und Antisemitismuskritik in Bildung und Forschung

Liebe Leserinnen und Leser,

wir begrüßen Sie zur Oktobernummer des LaG-Magazins. Die Ausgabe wurde in Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland und dem Projekt Roma Respekt der Heinrich Böll Stiftung Sachsen erstellt.

Thematisch steht dieses Mal die Auseinandersetzung mit Antisemitismus, Rassismus und insbesondere mit Antiziganismus und Fragestellungen rund um ein Empowerment der betroffenen Minderheiten im Mittelpunkt.

Die Ergebnisse der Bundestagswahl zeigen die Notwendigkeit und Dringlichkeit auf, sich mit diesen Ideologien zu befassen. Der Einzug von Personen in den Bundestag, die für ein völkisch-nationalistisches Denken eintreten, rassistische und antisemitische Weltbilder verbreiten sowie geschichtsrevisionistische Positionen vertreten, stellt eine Zäsur dar. Eine breite gesellschaftliche Antwort auf diese bereits länger absehbare Entwicklung steht noch aus. Bildungsarbeit kann hierzu nur einen Teilbeitrag leisten. Dieser ist weder zu unterschätzen, noch überzubewerten, stammen doch die Ressentimentstrukturen aus der häufig angeführten Mitte der Gesellschaft. Anders gesagt werden Rassismus und Antisemitismus gesamtgesellschaftlich produziert und reproduziert. Durch Empowermentkonzepte können die Ressourcen und Potenziale der von durch Antisemitismus und/oder Rassismus betroffenen Menschen gestärkt werden und so zu erweiterten Handlungsspielräumen der Minderheiten gegenüber der Dominanzgesellschaft führen. Empowerment bedeutet aber auch, nicht allein aus einer gesellschaftlichen Mehrheitsposition heraus über die Situation von Minderheiten zu arbeiten, denn gerade Selbstermächtigung ist ein wichtiger Bestandteil des Konzepts.

Die hier versammelten Aufsätze zeigen auch die Notwendigkeit einer antisemitismusmuskritischen Analyse auf Grundlage einer psychoanalytischen Sozialpsychologie auf, die einen Ansatz repräsentiert, der auch eine Grundlage zur Reflexion der gesellschaftlichen Gebundenheit von (historisch-)politischer Bildung ermöglicht.

Marina Chernivsky weist auf unterschiedliche Mechanismen hin mit denen Antisemitismus gesellschaftlich de-thematisiert wird, weil er fälschlicherweise als überwunden gilt. Dies findet seinen Niederschlag auch in der Pädagogik und in der scheinbar selbstverständlichen Ausblendung jüdischer Präsenz. Aus diesen Befunden leitet die Autorin die Notwendigkeit von Empowermenträumen ab.

Astrid Messerschmidt setzt sich mit dem Antisemitismus als „Gerücht über die Juden“ (Adorno) vor dem Hintergrund der Migrationsgesellschaft auseinander. Sie zeigt die Abwehrmechanismen auf, die eine Thematisierung des pathischen Judenhasses mit sich bringt; auch und gerade dort, wo es um den Nahostkonflikt geht. Die Autorin verweist auf den kontraproduktiven Effekt, dass dominanzgesellschaftliche Perspektiven in Bildungskontexten reproduziert werden, solange sie nicht benannt und problematisiert werden.

In seinem wissenssoziologisch fundierten Beitrag untersucht Max Czollek die Entstehung des frühen christlichen Antijudaismus/Antisemitismus. Czollek geht davon aus, dass die Produktion eines Wissens über ‚die Juden’ bereits im ersten Jahrhundert einsetzte und mit der Festigung des Christentums ein Bestandteil einer umfassenden und universellen Weltanschauung wurde. Dieses ‚Wissen’ blieb über die Jahrhunderte strukturell verfüg- und abrufbar und wurde beständig aktualisiert.

Das Thema von Meron Mendel und Tom David Uhlig ist Antisemitismus in der postkolonialen Theorie und den dazugehörigen Zusammenhängen. Der Aufsatz macht deutlich, dass Selbstermächtigung, wenn sie alleine partikular gedacht wird, deutlich antiemanzipatorische Effekte zeitigen kann. Die Autoren markieren die Grenze der postkolonialen Kritik, die in erster Linie kolonialrassistische Konstruktionen thematisiert und an der Besonderheit des modernen Antisemitismus als umfassender Welterklärung vorbeizielt. Vonnöten wäre nicht nur ein stärkerer Austausch zwischen Kolonialismus- und Antisemitismusforschung, sondern auch eine Pädagogik, die auf beiden Feldern arbeitet, ohne die jeweiligen Besonderheiten von Antisemitismus und Rassismus einzuebnen.

Die Arbeitsdefinition zu Antiziganismus, die von der Allianz gegen Antiziganismus aufgestellt wurde, stellt selbst ein Dokument von Empowerment dar. Die Arbeitsdefinition geht auf den sozialen Konstruktcharakter der Bilder ein, die von denjenigen existieren, die mit dem Stigma „Zigeuner“ belegt werden und verweist auf die strukturellen Diskriminierungen wie auf die gewaltförmigen Praxen, die aus dem antiziganistischen Weltbild der Mehrheit resultieren.

Wir bedanken uns bei allen Autor_innen, die uns ihre Texte für diese Ausgabe zur Verfügung gestellt haben.

In eigener Sache

In den Monaten November und Dezember wird kein LaG-Magazin erscheinen. Wie wir bereits zu Jahresbeginn schrieben, haben wir Förderausfälle, die sich nicht in Gänze kompensieren ließen. Wir arbeiten daran und möchten nebenher auf die Möglichkeit zu Spenden und Fördermitgliedschaften verweisen.

Für den Januar planen wir ein Magazin, dass ausgewählte Texte zur Tagung „Lernen mit Sachquellen“ präsentiert. Diese Ausgabe wird in Kooperation mit der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten erscheinen.

In der Zwischenzeit bemühen wir uns, einzelne Texte und Rezensionen auf „Lernen aus der Geschichte“ zu veröffentlichen. Wir kündigen diese wie üblich über Facebook, twitter und Google+ an.

Ihre LaG-Redaktion

Beiträge

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Marina Chernivsky weist auf unterschiedliche Mechanismen hin wie Antisemitismus, auch in der Bildungsarbeit, de-thematisiert wird und jüdische Präsenz ignoriert wird. Daraus leitet sie die Notwendigkeit von Empowermenträumen ab.

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Das Thema von Meron Mendel und Tom David Uhlig ist Antisemitismus in der postkolonialen Theorie und den dazugehörigen Zusammenhängen. Die Autoren markieren die Grenze der postkolonialen Kritik, die in erster Linie kolonialrassistische Konstruktionen thematisiert und an der Besonderheit des modernen Antisemitismus als umfassender Welterklärung vorbeizielt.

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