Clara Marz, Jahrgang 1995, ist studierte Medien- und Kulturwissenschaftlerin und seit 2022 Projektmitarbeiterin im Bereich Jahresausstellungen und Kommunismusgeschichte der Bundesstiftung Aufarbeitung.

von Clara Marz

Der 17. Juni war für mich lange Zeit nur ein Frühsommertag. Ich wurde in den 1990er Jahren in Rostock geboren. Die DDR war damals schon Geschichte, die friedliche Revolution hatte bereits stattgefunden. Besagtes Datum besaß für mich während meiner Jugend und selbst während meiner Schulzeit keine historische Bedeutung. Wenn ich heute an den 17. Juni denke, denke ich an das Jahr 1953, an die DDR und an einen Aufstand, der nahezu die gesamte Bevölkerung eines Landes erfasste.

Mit meinem langjährigen Unwissen um das historische Datum bin ich nicht allein. Erzähle ich heute vom 17. Juni 1953, schlägt mir in meiner Generation oft Erstaunen entgegen. „Normerhöhung“, „Neuer Kurs“, „Arbeiteraufstand“… klingelt da etwas? Häufig lautet die Antwort: Nein.

Im Jahr 2023 liegt der Volksaufstand in der DDR siebzig Jahre zurück. Die Zahl der Menschen, für die die DDR nur noch in Erzählungen existiert, wird größer. Die Zahl der Zeitzeug*innen, die den Aufstand 1953 miterlebt haben, wird kleiner. Umso dringlicher ist es, ihre Geschichten zu hören, weiterzugeben und die Erinnerungen zu bewahren.

Der 17. Juni 1953

Am 17. Juni 1953 gehen im Osten Deutschlands die Menschen auf die Straße. In den großen Industriezentren Mitteldeutschlands ruht die Arbeit. In Halle werden politische Gefangene befreit. Was als Protest der Bauarbeiter begonnen hatte, wird zum Volksaufstand.

In über 700 Städten und Gemeinden der DDR gehen die Menschen am 17. Juni auf die Straße. © Bundesstiftung Aufarbeitung, Clara Marz

Mehr als eine Million Bürger*innen fordern: „Wir wollen freie Menschen sein!“. Ihre Wut richtet sich gegen die kommunistische Partei SED, die angeblich in ihrem Namen regiert. Und der sonst so allgegenwärtige Staat schaut den Demonstrationen an diesem Tag zunächst tatenlos zu. Erst in den frühen Mittagsstunden greift die sowjetische Besatzungsmacht ein: Überall in der DDR rücken sowjetische Panzer in die Innenstädte vor. Der Ausnahmezustand wird ausgerufen. Vielerorts fallen Schüsse; der Aufstand fordert 54 Menschenleben. Tausende werden in den folgenden Tagen und Wochen verhaftet. Der Schock sitzt tief – bei den Herrschenden und den Beherrschten.

Der 17. Juni 1953 war der erste in einer ganzen Reihe von Aufständen gegen die kommunistischen Diktaturen in Osteuropa. „Ist es so, dass morgen der 17. Juni ausbricht?“, fragt Stasi-Chef Erich Mielke Ende August 1989, als die Menschen in Ostdeutschland erneut auf die Straße gehen. Doch diesmal bleiben die sowjetischen Panzer in den Kasernen und der Fall der Mauer wird schließlich zum Dominostein, der das gesamte Herrschaftsgebäude des Ostblocks zum Einsturz bringt.

16 Divisionen werden am 17. Juni gegen die Aufständischen mobilisiert. Der Ausnahmezustand wird verhängt, es gilt das Kriegsrecht. © Bundesstiftung Aufarbeitung, Clara Marz

Die Ausstellung

Grundsätzlich behandeln die Ausstellungen der Bundesstiftung Aufarbeitung zeithistorische Themen, Ereignisse sowie Entwicklungen in Plakatform und mit dem Anliegen, eine fundierte Grundlage für die Auseinandersetzung mit Zeitgeschichte zu bieten. Kern unseres Konzepts ist es, unsere reich bebilderten Plakatsätze mit möglichst geringem Aufwand in Einrichtungen der Kultur- und Bildungsarbeit und an öffentliche Orte zu bringen.

Mit „17. Juni kompakt“ erproben wir ein neues Ausstellungsformat: Auf sechs Ausstellungstafeln wird der Volksaufstand in der DDR kompakt und leicht verständlich erklärt. Damit rücken wir vom üblichen Ausstellungskonzept im Umfang von zwanzig Plakaten ab, sowohl, um die inhaltliche Rezeption zu erleichtern, als auch, um den Aufwand für die ausstellenden Institutionen niederschwellig zu gestalten. Die Ausstellung richtet sich an alle, denen die Demokratiegeschichte und die Vermittlung demokratischer Werte am Herzen liegt – egal, ob im Rathaus, im Museum, in der Stadtbibliothek, in der Schule oder Volkshochschule, in einem Verband, einer Kirchgemeinde oder einem Amt. Mit den sechs Plakaten kann leicht und unkompliziert ein Stück Geschichte an weiße, leere Wände gebracht werden. Illustrationen, zeithistorische Fotos und leicht verständliche Texte sowie audiovisuelles Begleitmaterial zeichnen die Ereignisse rund um den 17. Juni nach. Ergänzt wird die Schau durch umfangreiches didaktisches Material, das von der Bildungsagentur Eduversum erstellt wurde. Die Ausstellungstafeln sind, nebst Titelbild, in fünf Kapitel gegliedert, die sowohl die Tage und Monate vor dem Aufstand in den Blick nehmen, als auch seine kurz- und langfristigen Folgen beleuchten:

  1. Der Aufstand – Wir wollen freie Menschen sein!
  2. Die Vorgeschichte – Alle Räder stehen still
  3. Die Niederschlagung – Zuckerbrot und Peitsche
  4. Der Widerstand – Rebellionen im Ostblock
  5. Das gute Ende – Bricht morgen der 17. Juni aus?
 

Über den QR-Code sind alle relevanten Informationen zur Ausstellung verfügbar.

Das Konzept

Im siebzigsten Jahr nach dem Volksaufstand widmet sich die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur im Besonderem den Protesten, dem Aufbegehren sowie den Aufständen gegen autoritäre Herrschaft und Diktaturen. Als Illustratorin und Entwicklerin der Ausstellung „17. Juni kompakt“ habe ich mich dem Thema mit dem Blick einer nach 1990 Geborenen genähert. Bei der Konzeption der Ausstellung war mir wichtig, gerade jener mir bekannten Ratlosigkeit zu begegnen, die sich oft einstellt, wenn vom 17. Juni 1953 die Rede ist – und nicht mit erhobenem Zeigefinger ein ausgeprägteres Geschichtsbewusstsein anzumahnen. Deshalb setzt die Ausstellung kein Wissen über den Aufstand voraus. Sie nimmt die Besucher*innen an die Hand und leitet sie entlang der Ereignisse durch die Geschichte. Der Tag des Volksaufstandes führt uns die Macht und Ohnmacht der Menschen vor Augen und erinnert uns zugleich an die Bedeutung demokratischer Werte. Dieses Bewusstsein wollen wir als Stiftung mit der Ausstellung vor allem auch für junge Menschen zugänglich machen. Dazu haben wir die Ereignisse rund um den Volksaufstand aufgearbeitet, verdichtet und mit viel Liebe zum Detail in zahlreichen handgezeichneten Illustrationen dargestellt. Ausgewählte Textbausteine in einfacher Sprache, Fotoaufnahmen und Videos, die über QR-Codes verlinkt sind, komplettieren unsere Ausstellung. „17. Juni kompakt“ stellt Geschichte nicht nur schwarz auf weiß in Buchstaben dar. Wir sind der Meinung: Geschichte darf bunt sein, ins Auge springen und mit Bildern im Kopf bleiben.

So wollen wir zur Auseinandersetzung mit einem Datum einladen, das als Symbol für die deutsche Einheit durch das offizielle Datum der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 (als neuem Feiertag) abgelöst wurde – eine Entscheidung, die bis heute umstritten ist. Doch wer aufmerksam durch deutsche Städte geht, stellt fest, dass der 17. Juni nicht vergessen ist. Straßen und Plätze tragen das Datum in ihren Namen. Der Volksaufstand ist in den Lehrplänen der Schulen verankert. Der bevorstehende Jahrestag bietet die Chance, das Bewusstsein für die Ereignisse des 17. Juni zu schärfen und das Datum als Teil der deutschen Freiheits- und Demokratiegeschichte stärker in der gesamtdeutschen Erinnerungskultur zu verankern.

 

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