Liebe Leserinnen und Leser,
in dieser Ausgabe unseres LaG-Magazins zu „Aktuellen Strömungen im Antisemitismus“ widmen wir uns einer Problematik, mit der viele Lehrkräfte und Pädagog/innen der außerschulischen Bildung in ihrem beruflichen Alltag konfrontiert sind. Wegen der besonderen Relevanz ist diese Ausgabe auch umfangreicher als gewohnt.
Als Träger antisemitischer Einstellungen werden häufig Jugendliche mit einem Migrationshintergrund ausgemacht. Diese Beobachtung ist richtig und falsch zugleich. Jugendliche mit Migrationshintergrund äußern sich teilweise problematisch im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt. In diesem Fall gilt es, zwischen antisemitischen Äußerungen und politischer Kritik zu trennen. Beidem kann man begegnen und selbstverständlich gilt es, antisemitischen Äußerungen klar entgegenzutreten. Ebenso notwendig ist eine differenzierende pädagogische Haltung.
Teilweise solidarisieren sich Jugendliche mit Migrationshintergrund vor dem Hintergrund eigener Ausgrenzungserfahrungen in Deutschland mit der vermeintlich schwächeren Seite im Nahostkonflikt. Zugleich verfügen sie in der Regel über wenig historische und politische Kenntnisse über die Situation in Israel und in den palästinensischen Gebieten.
Auch die schlichte Annahme einer „automatischen“ Koppelung von Antisemitismus und muslimischer Religion greift zu kurz. Häufig sind Faktoren wie Bildung und Schichtzugehörigkeit von größerem Einfluss als die Religionszugehörigkeit. Mit sinkender Bildung steigt allerdings die Faszination, die eine Religion mit einem absoluten Wahrheits- und Überlegenheitsanspruch verbindet. Diese Koppelung lässt sich ebenfalls für christliche Milieus feststellen und scheint – bei aller Vorsicht wegen der mangelhaften Datenlage – auch für Gruppen von Zugewanderten und im Blick auf ihre Religionen zu gelten. Jugendliche aus eingewanderten Familien gehören häufig bildungsbenachteiligten Unterschichten an; das ist keine Frage der Genetik, sondern verweist viel mehr auf die Migrationsgeschichte sowie auf eine Unwilligkeit der Mehrheitsgesellschaft zum eigenen Wandel im Zuge von Migrationsprozessen.
Umfragen zeigen außerdem, dass antisemitische Einstellungen mit zunehmendem Lebensalter ansteigen. Diese Einschätzung gilt vor allem für klassische antisemitische Stereotype und für solche, die sich um eine Erinnerungs- und Verantwortungsabwehr für den Holocaust gruppieren, wie Andreas Zick und Beate Küppers feststellen. Der Judenhass ist also keine Domäne der Jugend, er äußert sich bei Jugendlichen allenfalls direkter und unter Umständen gewalttätiger als bei Erwachsenen.
Dennoch ist der Antisemitismus, der sich eben auch unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund äußert, ernst zu nehmen. Glaubhaft wird die Kritik der Mehrheitsgesellschaft nur, wenn sie sich gleichzeitig mit den eigenen antisemitischen und xenophoben Strukturen auseinandersetzt.
Unsere Gastautor/innen widmen sich dem Problem aus unterschiedlichen Perspektiven und mit verschiedenen Schwerpunktsetzungen.
Juliane Wetzel gibt einen Überblick über die aktuellen Erscheinungsformen des Antisemitismus und über seine Trägerschichten.
Stephan Bundschuh geht der Frage nach Übereinstimmungen und Unterschieden zwischen Islamfeindlichkeit und Antisemitismus nach und sieht es als eine Aufgabe der politischen Bildung an, im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt die Verknüpfung zwischen politischer Kritik und antisemitischem Gerücht aufzulösen.
Günther Jikeli beschäftigt sich länderübergreifend mit dem Antisemitismus unter jugendlichen Muslimen. Dabei analysiert er Argumentationsmuster und Begründungszusammenhänge von Jugendlichen aus muslimischen Milieus in Deutschland, England und Frankreich.
Heike Radvan hat Sozialpädagog/innen aus Jugendeinrichtungen befragt. In ihrem Beitrag geht sie Möglichkeiten nach, wie die Logik einer antisemitischen Argumentation im Gespräch durchbrochen werden kann.
Zwei praktische Projekte für Jugendliche, die sich gegen aktuelle Erscheinungsformen von Antisemitismus richten, beschreiben Tatjana Glampke und Daniel Kauffmann in ihren Beiträgen.
Die „Task Force Education on Antisemtism“, ein bildungspolitisches Netzwerk von Initiativen und Einzelpersonen, stellt schließlich Hanne Thoma vor.
Wir bedanken uns bei allen Beiträger/innen für ihre anregenden Texte und Essays. Wir möchten Sie auch auf unser Magazin „Die Kulturalismusfalle im (historisch-)politischen Lernen am Beispiel des Nahost-Konflikts“ hinweisen.
Wir bitten Sie auch um Beachtung unseres "Call for Paper" für das erste Halbjahr 2011.
Das nächste LaG Magazin erscheint am 8. Dezember. Es trägt den Titel „Besatzung und Kollaboration während des Zweiten Weltkriegs in Westeuropa“.
Ihre LaG-Redaktion