APuZ-Heft „Antisemitismus“ der Bundeszentrale für politische Bildung
Von Dorothee Ahlers
In der Reihe „Aus Politik und Zeitgeschichte“ der Bundeszentrale für Politische Bildung ist im Juli 2007 eine Ausgabe zum Thema Antisemitismus erschienen. Das 40 Seiten umfassende Heft konzentriert sich dabei auf verschiedene Ausprägungen des aktuellen Antisemitismus.
Ausgehend von der Feststellung, dass Antisemitismus meist verdeckt auftritt und hinter unterschiedlichen Argumentationsmustern versteckt wird, behandeln sechs Beiträge verschiedene Ausprägungen von Judenfeindlichkeit.
Zur Einführung beschäftigt sich Philipp Schwenke zunächst mit der Frage, wie sich Antisemitismus heute eigentlich zeigt. Er betont dabei zunächst, dass Straftaten mit antisemitischem Hintergrund ein internationales – und nicht nur ein deutsches – Problem seien. Er warnt jedoch davor, dass Antisemitismus gerade in Deutschland versteckt in der Form eines „Man wird ja wohl mal sagen dürfen“ auftrete und damit noch schwerer fassbar sei. Eine Annäherung an Erscheinungsformen des Antisemitismus bietet der Soziologe Klaus Holz, der vier antisemitische Argumentationsmuster identifiziert: postmoderne Kritik an der heutigen Welt, mit einem Verweis auf die jüdische Verantwortung an dieser Welt daran, der Vorwurf einer jüdischen Weltverschwörung und eines negativ verstandenen Universalismus sowie die Gleichsetzung des Staates Israel mit der jüdischen Religion.
Eine systematische und chronologische Übersicht über ideologische Erscheinungsformen des Antisemitismus bietet Armin Pfahl-Traughber. Er geht dabei auf religiöse, soziale, politische, rassistische, sekundäre und antizionistische Ideologieformen ein.
Andreas Zick und Beate Küpper beschäftigen sich in ihrem Beitrag mit Antisemitismus in Deutschland und Europa. Sie verweisen auf eine Studie von 2006 zum Antisemitismus, die auf den ersten Blick auf ein Verschwinden antisemitischer Einstellungen unter Jugendlichen hinweisen würde. Dieser Eindruck täusche allerdings: Antisemitismus zeige sich heute in versteckteren Formen wie sekundärem Antisemitismus oder Israelkritik und sei somit nicht mehr so leicht zu erkennen. Laut Beobachtungen von Human Rights Watch sowie einer Studie von Werner Bergmann und Juliane Wetzel sei außerdem die Zahl antisemitischer Straftaten in Europa in den letzten Jahren gestiegen. Facetten des Antisemitismus stellen die Autoren dabei als legitimierende Mythen dar. Diese Mythen, d.h. Vorurteile, die kollektives Wissen zur Erklärung von Alltagsphänomenen bereit halten, würden bestehende oder angestrebte soziale Hierarchien rechtfertigen. Antisemitismus sei dabei ein „legitimierender Mythos par excellence“. Ausgehend von verschiedenen Studien identifizieren die Autoren unterschiedliche Facetten des Antisemitismus. Diese werden abschließend für einzelne europäische Länder näher betrachtet. Ihr abschließendes Urteil lautet, dass Antisemitismus in allen europäischen Ländern ein verbreitetes Phänomen sei.
Ein weiterer Beitrag von Rainer Erb zeigt, wie deutsche Rechtsextremisten – vor allem im Wahlkampf – verschiedene „Umwegstrategien“ nutzen, um antisemitische Inhalte zu vermitteln. Dabei werde ein offener Antisemitismus vermieden und stattdessen geschichtsrevisionistische Argumentationsstrukturen verwendet.
Klaus Wahl beschäftigt sich in seinem Artikel mit den Gemeinsamkeiten, die antisemitische, fremdenfeindliche und rechtsextreme Täter aufweisen. Diese Gemeinsamkeiten zeigten sich in emotionalen und sozialen Auffälligkeiten in der Kindheit. Dementsprechend müsse eine frühe Prävention bei Kindern mit diesen Auffälligkeiten ansetzten.
Der Beitrag von Stephan Bundschuh ist für Lehrende besonders interessant: er beschäftigt sich mit einer Pädagogik gegen Antisemitismus. Auch er konstatiert zunächst einen drastischen Anstieg antisemitischer Vorfälle in Europa. Er verweist auf die Verbindung zwischen Rassismus und Antisemitismus, eine Verbindung, die sich heute nicht mehr so stark zeige, da Antisemitismus vermehrt auf ideologischer und nicht mehr auf struktureller Ebene auftrete. In Deutschland stelle vor allem die Forderung nach einem „Schlussstrich unter die Vergangenheit“ eine pädagogische Herausforderung dar.
Bundschuh ist der Ansicht, dass jenseits pädagogischer Konzepte zur Beschäftigung mit dem Holocaust neue Formen für eine Pädagogik gegen aktuellen Antisemitismus notwendig seien. Historisches Wissen reiche nicht aus, um heutigen Antisemitismus zu verhindern. Erst in den letzten Jahren seien – vor allem auch mit der Gründung der Task Force Education on Antisemitism 2002 – einige Schritte in diese Richtung unternommen worden (Lesen Sie hierzu auch den Beitrag von Hanne Thoma im aktuellen Magazin LINK). Neue Herausforderungen seien dabei der Generationenkonflikt sowie die Einwanderungsgesellschaft. Als positive Beispiele stellt Bundschuh dabei das Bundesprogramm „Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“, sowie die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus vor. Bundschuh schließt mit der Forderung nach einer Pädagogik, die Fähigkeiten wie mehrperspektivisches und selbstreflexives Denken fördere. Es müsse gelingen, den Lernenden differenziertes Wissen zur jüdischen Geschichte und Gegenwart zu vermitteln, das nicht auf Antisemitismus reduziert werden dürfe.
ApuZ ist eine Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“ und bietet Beiträge zu zeitgeschichtlichen und sozialwissenschaftlichen Themen. Die Hefte können kostenlos bestellt werden. Das Heft zum „Antisemitismus“ ist bereits vergriffen, kann jedoch auf der Homepage der Bundeszentrale als pdf-Datei heruntergeladen werden.
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- 29 Nov 2010 - 16:28