Liebe Leserinnen und Leser,
wir begrüßen Sie zu dieser Sonderausgabe des LaG-Magazins, die wir in Kooperation mit der Bildungsstätte Anne Frank. Zentrum für politische Bildung in Frankfurt am Main herausgeben. Aus Anlass des Erscheinens des Fachbuches „Fragiler Konsens. Antisemitismuskritische Bildungsarbeit in der Migrationsgesellschaft“, dessen Rezension Sie auf LaG bereits lesen konnten, richtete die Bildungsstätte am 11. November 2017 einen gesellschaftspolitischen Studientag in Zusammenarbeit mit dem Pädagogischen Zentrum des Fritz Bauer Instituts in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Frankfurt sowie mit freundlicher Unterstützung der Amadeu-Antonio-Stiftung aus. Das vorliegende LaG-Magazin dokumentiert die Vorträge sowie die Podiumsdiskussion der Veranstaltung. Bei der Folge der Beiträge haben wir uns vom Ablauf des Studientages leiten lassen.
Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft wird nicht exklusiv von bestimmten sozialen oder religiösen Gruppierungen getragen. Er ist in nahezu sämtlichen sozialen Milieus und in den unterschiedlichsten politischen Gruppen und Parteien auszumachen. Dabei sind vor allem vonseiten der Mehrheitsgesellschaft, aber auch durch Betroffene von antisemitischen Markierungen oder Taten, Engführungen in der Beschreibung von Täterkategorien auszumachen. Aufseiten der Mehrheitsgesellschaft hat die starke Fokussierung auf meist männliche junge Muslime unter anderem den Effekt einen Ablenkungsdiskurs von einer gesamtgesellschaftlichen Problematik zu bedienen. Der Ansatz der Bildungsstätte Anne Frank nimmt hingegen unterschiedliche Trägerschichten antisemitischer Ideologie gleichermaßen in den Blick und thematisiert deren unterschiedliche Konstellationen.
Der einleitende Beitrag gibt die Diskussion von Prof. Dr. Astrid Messerschmidtund Dr. Meron Mendel, den Herausgeber_innen von „Fragiler Konsens, mit der Moderatorin Hadija Haruna-Oelkerwieder. Mendel und Messerschmidt konstatieren, dass das Vorkommen von Antisemitismus jenseits von Aufmerksamkeitskonjunkturen so etwas wie eine negative gesellschaftliche Konstante ist. Der fragile Konsens gegen den Antisemitismus wird hier vor allem als staatstragend festgemacht. Für die Bildungsarbeit fehlt es noch an einer stärkeren Zusammenarbeit zwischen Antisemitismus- und Rassismuskritik, um die vorhandenen Ungleichgewichtungen und ein Ausspielen beider Diskriminierungsideologien abzuschwächen und zu vermeiden.
In der Tradition der Kritischen Theorie machen Katharina Rhein und Tom David Uhlig auf zentrale Funktionsweisen des antisemitischen Ressentiments, zu der wesentlich die Affektgebundenheit gehört, aufmerksam. Für die Bildungsarbeit sei eine stärkere Reflexion auf den projektiven Charakter von Antisemitismus notwendig, womit sich Grenzen der Sinnhaftigkeit von Begegnungsprojekten und ausschließlich kognitiver Aufklärung auftun.
Mit der Frage, wen der schillernde Begriff der „Mitte der Gesellschaft“ überhaupt meint und adressiert, setzt sich Dr. Olaf Kistenmacher auseinander. Anhand von fünf Thesen arbeitet er Positionierungen zum Umgang und zur Positionierung auf dem Themenfeld Antisemitismus heraus, die als mehrheitsgesellschaftlich oder mehrheitsfähig gelten können.
Dr. Sebastian Winter widmet sich dem Zusammenhang von extrem rechtem Gedankengut und Antisemitismus am Beispiel der Partei AfD. Dabei ist festzustellen, dass die vergangenheitspolitischen Diskurse sich auch in Positionierungen der rechten Partei niederschlagen. Sie tun dies jedoch, trotz beispielsweise proisraelischen Positionierungen nicht in antisemitismuskritischer Form. Vielmehr ist in Teilen hier ein „Schuldanerkennungsantisemitismus“ festzustellen. Winter koppelt dieses Phänomen an die Art wie sich in Deutschland die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit seit den 1990er Jahren als nationalen Sinn stiftendes Projekt entwickelt hat.
Das Verhältnis von islamistischem Antisemitismus zu antimuslimischem Rassismus diskutiert Saba-Nur Cheema. Als Ausgangspunkt dafür geht sie von zwei Polen der Diskussion über Antisemitismus aus. Auf der einen Seite ist dies die Rede von einem importierten Antisemitismus, der Muslim_innen in ethnisierender Form per se als antisemitisch bezeichnet, während auf der anderen Seite die Feststellung von antisemitischen Einstellungen unter Muslim_innen mit dem Hinweis auf deren Opferstatus aufgrund rassistischer Zuschreibungen abgewehrt wird. Cheema macht deutlich, dass Schweigen und Übergehen von Antisemitismus, gleich von wem er geäußert wird, keine Option sein kann, jedoch die unterschiedlichen Sprecher_innenpositionen und gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse im pädagogischen Umgang zu beachten sind.
Antisemitismus in der politischen Linken wird von Tom David Uhlig und Katharina Rhein thematisiert. Sie machen eingangs auf die unterschiedlichen Abwehrmechanismen und -reflexe innerhalb des breiten und heterogenen Feldes der Linken aufmerksam, um dann auf entsprechende Problemfelder wie beispielsweise israelbezogenen Antisemitismus, regressive Formen von Kapitalismuskritik sowie antiimperialistische Weltbilder einzugehen. Auch in der Linken hat Antisemitismus dabei die Funktion von Komplexitätsreduktion.
Die Abschlussdiskussion des Studientages stand unter der Überschrift „Erkenntnisse für die Praxisfelder“. Aus den Bereichen Arbeitswelt, Schule und Sport diskutierten Sascha Schmidt vom Deutschen Gewerkschaftsbund Hessen-Thüringen, Dr. Türkân Kanbıçak, abgeordnete Lehrerin am Pädagogischen Zentrum des Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen Museums Frankfurt und Sebastian Schmidt, Deutscher Fußballbund. Moderiert wurde die Diskussionsrunde von Gottfried Kößler, stellvertretender Direktor der Fritz Bauer Instituts.
Wir bedanken uns bei den Kolleg_innen der Bildungsstätte Anne Frank für die Möglichkeit der Publikation dieser Ausgabe. Ein besonderer Dank gilt Tom David Uhlig und Katharina Rhein, die die Mühe der Koordination der Beiträge übernommen haben. Für die Transkription und Überarbeitung der Podiumsdiskussionen gilt der Dank zudem Lyn Blees.
Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre. Das nächste Magazin erscheint am 30. Mai 2018 und thematisiert Menschenrechtsbildung und Demokratiepädagogik.
Ihre LaG-Redaktion