Seid doch laut!
Von Tanja Kleeh
Mit „Seid doch laut! Die Frauen für den Frieden in Ost-Berlin“ legen die Herausgeberinnen Almut Ilsen und Ruth Leiserowitz nicht nur einen breit aufgestellten Sammelband, sondern auch eine interessante Quellenbasis vor. Das 2019 erschienene Buch birgt sowohl einordnende Texte als auch Erinnerungsberichte der beteiligten Frauen. Der Sammelband ist in zwei Teile aufgeteilt: Teil Eins legt den Schwerpunkt auf die Perspektive der Frau, wohingegen Teil Zwei auf die Staatssicherheit blickt.
Kontext
Ruth Leiserowitz verfasst die historisch einordnende Einleitung. Sie betont, dass dabei auf die Quellen der Staatssicherheit und von kirchlichen Behörden verzichtet werde, „die in gewisser Weise die Sichtweise auf die Gruppe und ihre Geschichte filtern“ (S.11). Leiserowitz verfolgt dementsprechend die historische Entwicklung der „Frauen für den Frieden“. Beginnend mit dem Verfassen einer gemeinsamen Eingabe im Oktober 1982, um gegen „die Einbeziehung der Frauen in die allgemeine Wehrpflicht während der Mobilmachung und im Verteidigungsfall“ (S.11) zu protestieren, formierte sich eine Protestbewegung. Für das bessere Verständnis der Frauen wirft Leiserowitz einen Blick auf die Gesamtsituation: Blockbildung in und außerhalb Europas, Kalter Krieg, atomare Aufrüstung sowie das Geschehen in der DDR. So weist die Autorin unter anderem darauf hin, dass die Staatssicherheit bereits „präventiv“ gegen mögliche öffentliche Agitationen und Kritiker*innen im Allgemeinen vorging. So wurden beispielsweise diese Personen von der Staatssicherheit vorgeladen und nach einem längeren Verhör mit Hausarrest belegt (S.16).
Das kritische Potential, so Ruth Leiserowitz, habe sich hauptsächlich in privaten und kirchlichen Netzwerken entfaltet. Die „Frauen für den Frieden“ stammten jedoch laut Leiserowitz „weder aus kirchlichen Kreisen noch aus Randgruppen“ (S.17). Vielmehr kannte man sich aus der Kulturszene, von illegalen Leseabenden, selbstorganisierten Ausstellungen und breiten privaten Netzwerken. Dennoch nutzten die „Frauen für den Frieden“ die Strukturen und Räumlichkeiten der Kirche, so zum Beispiel in der Berliner Samariterkirche. Die Tätigkeiten der Gruppe beschränkten sich jedoch nicht auf das Schreiben von den zu Beginn erwähnten Eingaben, sondern weiteten sich mit der Zeit auf öffentliche Aktionen, wie zum Beispiel die Teilnahme an der zweiten Berliner Friedenswerkstatt 1983 aus (S.20).
Zu Gruppierungen im Westen bestanden Kontakte, so dass sich die Ost-Berliner Frauen in den Kontext der internationalen Frauenbewegung eingebunden fühlten (S.23). Entsprechend organisierten sie ihre Aktionen in Teilen weiter parallel. Dabei beschäftigten sich die Gruppierungen hauptsächlich mit dem Thema Abrüstung. Die Ost-Frauen bekamen es bei ihren Aktionen immer wieder mit der Staatssicherheit zu tun. Wie Leiserowitz schreibt, lähmten Verhaftungen, Verhöre und die ständige Angst vor Repressalien die „Frauen für den Frieden“, konnten jedoch die Aktivitäten der Frauen nicht beenden. Es gründeten sich in weiteren Städte Gruppen, so dass es im September 1984 zum ersten überregionalen Frauentreffen kam (S.28). Entsprechend der gesamtpolitischen Entwicklungen Ende der 1980er-Jahre veränderten sich auch die Forderungen und Aktivitäten der engagierten Frauen. Ruth Leiserowitz resümiert: „Fast alle ehemaligen ,Frauen für den Frieden‘ waren während der Friedlichen Revolution politisch aktiv, wenn auch in unterschiedlichen Gruppen und Bewegungen.“ (S.35)
Die Erfahrungsberichte
Von den Aktivitäten in und um die Gruppe enthält „Seid doch laut!“ 16 persönliche Erinnerungsberichte. Zu deren Entstehungsgeschichte merkt Almut Ilsen in der Einleitung an, es seien bis auf Katja Havemann alle Gründungsmitglieder der „Frauen für den Frieden“ vertreten. Alle Berichte wurden rückblickend erstellt, da während des Bestehens der Gruppe „aus Vorsichtsgründen weder Tagebücher noch Protokolle“ (S.9) verfasst wurden. Den einzelnen Berichten sind Kurzbiographien der Frauen angefügt, die den Lebensweg der Frauen während und nach der DDR sowie private Informationen umfassen. In Verbindung mit den Porträtfotos geben sie den „Frauen für den Frieden“ ein Gesicht.
So berichtet auch Mitherausgeberin Almut Ilsen über ihr Engagement. Sie berichtet nicht nur über die Entstehung der Eingabe, sondern auch über ihren persönlichen Hintergrund, ihre Politisierung durch das Elternhaus und ihre frühen Erfahrungen mit dem Repressionsapparat der DDR: „Die Promotion wurde mir wegen meiner negativen politischen Einstellung verweigert“ (S.61). Von Begegnungen mit der Stasi im Rahmen von Verhören und Drohgebärden dieser, etwa im Bezug auf ihre Kinder, berichte Ilsen mehrmals: „Auch für mich wurde es deutlich, dass ich einiges riskierte. Vor allem hatte ich Angst um meine Kinder.“ (S.62) Die Kinder wurden wiederholt als Druckmittel eingesetzt, zum Beispiel nach einer angebotenen Beförderung zur Generaldirektorin in der Deutschen Staatsbibliothek (S.65). In den Erinnerungen von Almut Ilsen wird auch deutlich, dass den Frauen das Potential der Bespitzelung durch die Stasi sehr bewusst war: „Uns war klar, dass die Stasi Frauen bei uns einschleusen würde, aber wir versuchten uns nicht verrückt zu machen und nicht durch Verdächtigungen unsere Kräfte zu binden“ (S.64).
Einen weitere Einordnung liefert Christa Sengespeick-Roos, die in ihrer Position als Pfarrerin der Auferstehungskirche Berlin-Friedrichshain mit den „Frauen für den Frieden“ in engem Kontakt stand. Sie bot in der Kirche nicht nur Raum zum Austausch, sondern ermöglichte unter dem Deckmantel kirchlicher Veranstaltungen – unter anderem die sogenannten Nachtgebete – öffentliche Veranstaltungen. Ihre Einordnung gleicht denn auch mehr einem persönlichen Erfahrungsbericht und spiegelt ihre Erinnerungen wieder. Rückblickend geht Sengespeick-Roos vor allem der Frage nach, wie sich Kirche und Opposition zueinander verhielten, wie Kirche und Opposition sich gegenseitig brauchten (S.128). Daraus zieht die Theologin unter anderem Schlüsse für die Gegenwart: „Es ist ureigenster Auftrag der Kirche, Menschen Raum zu geben […]. Ich denke, auch heute gibt es Menschen und Gruppen, deren Wirklichkeitserfahrung einen solchen Raum braucht.“ (S.128).
Der Blick der Stasi
Der Blick der Staatssicherheit auf die „Frauen für den Frieden“ wird zum einen durch den Bericht von Barbara Einhorn verdeutlicht. Einhorn berichtet von Verhören und ihrer Zeit im Gefängnis. Demgegenüber steht der Bericht des MfS-Führungsoffiziers Detflef Jäger, der für die Anwerbung und Betreuung der Informantin Monika Haeger zuständig war. Sein Bericht ist einem im Jahr 1992 erschienenen Dokumentarfilm entnommen. Jäger resümiert darin seine Tätigkeiten für das MfS, wie die Zusammenarbeit mit Haeger ablief und auch, welches „zersetzende“ Potential die Bewegung für die DDR tatsächlich hatten.
Fazit
„Seid doch laut!“ überzeugt nicht nur durch seinen Quellenreichtum, sondern auch durch die einordnenden Beiträge verschiedener Autorinnen. Deren besondere Stärke liegt in ihrer Klarheit. So werden möglicherweise unbekannte Begriffe – zum Beispiel „Eingabe“ (S.11) – erläutert, was auch Leser*innen mit wenig bis keinem Vorwissen die Lektüre des Buches ermöglicht. Die Autorinnen arbeiten nicht mit unnötigen Fachvokabular und ohne Spekulationen. Historische Fakten werden mit Quellen belegt, wo möglich wird auf weiterführende Literatur verwiesen.