„Im Interesse des Wohlergehens der Bürger sorgen Staat und Gesellschaft für den Schutz der Natur“ – so stand es seit 1968 in der Verfassung der DDR. Damit war der Umweltschutz früher als in der Bundesrepublik als Staatsziel verankert, doch die Realität sah anders aus. Denn die Umweltprobleme innerhalb der DDR waren in allen Regionen deutlich sicht-, riech- und spürbar. Ostdeutschland hatte pro Kopf die höchsten Schadstoff-Emissionen Europas bei Schwefel- und Kohlendioxid, Staub und Schwermetallen (Wensierski 1988: 266ff.). Dies war aber nicht nur für die DDR ein Problem, denn Umweltprobleme machen an Landesgrenzen nicht halt, sie dringen mit Wind und Wasser überall hin und zwingen Staaten zur Zusammenarbeit. So etwa die zwar jahrzehntelang geteilten, doch ökologisch trotzdem eng miteinander verbundenen beiden deutschen Staaten. Flüsse enden nicht an der Grenze und in Berlin herrschte im Winter regelmäßig auf beiden Seiten der Mauer Smog (doch Fahrverbote gab es nur im Westteil der Stadt).
Diese gemeinsame Betroffenheit von wachsenden Umweltproblemen rückte spätestens seit Beginn der 1970er Jahre immer deutlicher ins Bewusstsein der Akteur*innen beiderseits der innerdeutschen Grenze. Um „Schäden und Gefahren für die jeweils andere Seite“ abzuwenden, wurde schon im Zusatzprotokoll zum Grundlagenvertrag im Dezember 1972 an ein Umweltschutz-Rahmenabkommen zwischen Ost- und Westdeutschland gedacht. Erste Gespräche fanden ein Jahr später statt, doch kurz darauf stoppte die DDR die Verhandlungen. Als Grund musste ausgerechnet die Etablierung des Umweltbundesamtes in West-Berlin im Juli 1974 herhalten – was Ost-Berlin als Verstoß gegen das kurz zuvor geschlossene Viermächteabkommen betrachtete.
Trotz vieler Bemühungen aus Bonn blieb die gemeinsame Arbeit an Umweltthemen zwischen beiden deutschen Staaten deswegen jahrelang auf der Strecke. Erst 1980 einigte man sich darauf, wenigstens Expertengespräche aufzunehmen. Konkret sollte es um die Berliner Gewässer und die durch den Kaliabbau stark belastete Werra gehen. Doch am Ende der zähen zweijährigen Verhandlungen stand nur eine kleine Vereinbarung: Die Bundesrepublik beteiligte sich mit 68 Millionen D-Mark an den Kosten einer bis dahin nicht vorhandenen chemischen Reinigungsstufe dreier Klärwerke in der Umgebung Berlins. Dies wurde als entscheidender Fortschritt gefeiert. Immerhin waren Spree, Havel und die Berliner Seenkette extrem belastet, stark veralgt und manche Gewässer durch die phosphathaltigen Abwässer aus Brandenburg durch Eutrophierung bereits umgekippt. Mit der chemischen Abwasserreinigungsstufe konnte der Phosphateintrag in den Abwässern, den vor allem die intensive Landwirtschaft verursachte, reduziert werden. Die Einhaltung der Werte wurde nach der Fertigstellung ab 1987 durch die regelmäßige Übermittlung von Messwerten durch die DDR vom Westen kontrolliert.
Das zweite Verhandlungsergebnis betraf die bayerisch-thüringische Grenzregion bei Sonneberg. Dort zahlte die Bundesrepublik 18 Millionen für den Bau einer Kläranlage, um die Verschmutzung des kleinen Flusses Röden durch ungeklärte Abwässer aus der DDR zu verbessern. Denn eine im Westen bereits 1974 errichtete Flusskläranlage vermochte es nicht, die Schäden durch die DDR-Abwässer zu verhindern.
Eine Kläranlage in Sonneberg, drei neue Stufen bei existierenden Kläranlagen in Brandenburg – von großen Erfolgen in Sachen Umweltschutz war man zwischen Ost- und Westdeutschland weit entfernt, auch wenn es weitere Expertengespräche über eine Reduzierung der Werra-Versalzung, Rauchgasentschwefelung, Elbeverschmutzung, Reaktorsicherheit, Abfallwirtschaft und Notfallschutzplanung gab. Während die westlichen Delegationsteilnehmer*innen stets vom Verursacherprinzip ausgingen, argumentierte die DDR mit dem Nutzen- und Vorteilsprinzip. Außerdem war die Einbeziehung West-Berlins für die DDR immer wieder ein kritischer Punkt, denn für sie war die Halbstadt kein Teil der BRD.
Verbrennung von Braunkohle. Die Energiebilanz des Rohstoffs war ineffizient: 80 Prozent gingen bei der Nutzung verloren. © Bundesstiftung Aufarbeitung, Klaus Mehner, 88_1208_WIF_BKohle_26
Bei der Verschmutzung der Flüsse war der Verursacher klar: ob Elbe, Spree, Werra, Leine, Jeetze, Röden oder Saale – sie alle transportierten Schadstoffe gen Westen. Bei den Schäden durch Schwefeldioxid, Staub und Flugasche konnte es je nach Windrichtung auch anders aussehen. Bei Helmstedt etwa wechselte die Luftbelastung durch die direkt an der Grenze gelegenen Braunkohle-Kraftwerke Harbke (im Westen) und Buschhaus (im Osten) je nach Windrichtung. Und nahe der Grenze bei Helmstedt und Salzgitter verbrachten beide Staaten radioaktive Abfälle unter Tage, praktisch in einem unterirdisch grenzüberschreitend verbundenen gigantischen Salzstock zwischen Morsleben im Osten und der „Asse“ im Westen. Das Problem bereitet noch heute Kopfzerbrechen wegen möglicher Grundwasserverschmutzung.
Ungelöst blieben damit die größten Umweltprobleme der DDR – die Luftverschmutzung in industriellen Ballungsgebieten, die Belastung des Oberflächen- und Grundwassers durch die industrialisierte Landwirtschaft, das großflächige Waldsterben im Süden der DDR, die massiven Landschaftszerstörungen durch die Braunkohletagebaue sowie die von einigen Atomanlagen und der Wismut-Uranförderung ausgehende radioaktiven Strahlung und Risiken.
Je mehr man in dieser langen Liste der DDR-Umweltsünden auf die konkreten Details schaut, zeigt sich ein seltsam ressourcen- und menschenverachtendes Agieren in einem Land, das den Menschen zum Mittelpunkt seiner Politik erklärte. Und das Fatale daran war: All diese Probleme konnten nicht öffentlich diskutiert werden. Die DDR-Medien brachten nur Erfolgsartikel; die Bürger*innen wendeten sich zwar an die Behörden, doch selten mit größerem Erfolg. SED und Stasi sorgten sich vor allem darum, dass Umweltschäden oder Unglücke in Betrieben nicht öffentlich wurden. Sämtliche Umweltdaten unterlagen der Geheimhaltung und das Gesetz zur Geheimhaltung von Umweltdaten war selbst wiederum geheim. So wie die DDR laut ihrem Staatsnamen eine demokratische Republik war, so war sie auf dem Papier eine umweltfreundliche Republik. Noch vor der Bundesrepublik gab es 1972 in Ost-Berlin einen Umweltminister und ein „Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft“. Ein formal umfassendes, gut klingendes „Landeskulturgesetz“ hatte die DDR – als zweites europäisches Land nach Schweden – schon 1970 erlassen. Es ging ihr dabei um internationales Ansehen – schließlich konnte sie, damals von nur wenigen Staaten anerkannt, gleichberechtigt neben der Bundesrepublik an der ersten Internationalen Umweltkonferenz 1972 in Stockholm teilnehmen. Das Landeskulturgesetz sollte die natürlichen Lebens- und Produktionsgrundlagen erhalten, aber auch dafür sorgen, dass sie „effektiv genutzt“ wurden. Letzteres bedeutete, dass der Umweltschutz grundsätzlich ökonomischen Zielen untergeordnet blieb.
Gleichwohl verwies die DDR häufig auf mehr als 400 deklarierte Landschafts- und Naturschutzgebiete, die rund 18% der DDR-Gesamtfläche einnahmen. Viele ehemalige DDR-Bürger*innen erinnern sich noch heute gerne an das SERO-Ablieferungssystem als Recycling wertvoller Altstoffe, an dem sich ganze Generationen von Kindern, Schulklassen und FDJ-Gruppen beteiligten. Mit Altpapier, Flaschen, Lumpen, Plastik oder Metallschrott ließ sich jedes Taschengeld und manche Klassenkasse aufbessern. Man zog von Haustür zu Haustür und fragte nach „Wertstoffen“. Das DDR-Fernsehen erklärte, wie viel Rohstoffe und Geld die sozialistische Republik auf diese Weise einsparte. Ein Kilo „Plaste“ brachte 1 DDR-Mark, Kupfer 2,50. Das ergab einen hohen Wiederverwertungsanteil.
Steinzeugkombinat Bitterfeld mit rauchenden Schornsteinen im November 1981. © Bundesstiftung Aufarbeitung, Harald Schmitt, 81 1142 001FV
Zudem war die DDR keine Wegwerfgesellschaft, repariert wurde alles und jedes, worauf viele zwischen Rügen und dem Erzgebirge zu Recht noch heute stolz sind. Auch der Straßenverkehr war geringer als im Westen, Möbel und Kleidung wurden länger genutzt. Doch trotz geringerem Straßenverkehr: Der Trabant war ein krankmachender Umweltverschmutzer und viele DDR-Bürger*innen erlebten in ihrem Alltag eine immense Energieverschwendung: Selbst im Winter ständig geöffnete Fenster in schlecht regulierbaren, ferngeheizten Büros, dauerbrennende Straßenlaternen sowie defekte Sanitäranlagen, bei denen Frischwasser monatelang direkt im Abfluss verschwand. Ganz abgesehen von der Energieverschwendung durch veraltete, stromfressende Anlagen in den Betrieben.
Erst nach dem Fall der Mauer gab es Klarheit darüber, in welcher dramatischen Umweltsituation sich die DDR befand. Nun ließ sich nichts mehr geheim halten oder beschönigen. Schon seit 1979 hatte eine zunehmende Zahl nichtstaatlicher Umwelt-Aktionsgruppen, vor allem unter dem Dach der evangelischen Kirche, die Umweltverschmutzung kritisiert. Sie wurden von der Stasi überwacht und nach Möglichkeit „zersetzt“. Das änderte nichts daran, dass die sichtbar verseuchte Umwelt immer mehr Menschen empörte und auch als Argument zur Begründung eines Ausreiseantrages diente. Umweltschutz wurde zum Dauerthema der Oppositionsbewegung. Als Reaktion darauf gründete die DDR 1980 eine Gesellschaft für Natur und Umwelt (GNU), die allerdings keinen nennenswerten Einfluss nehmen konnte.
Die unabhängigen Umweltgruppen spielten bei der Mobilisierung im Herbst 1989 eine wichtige Rolle. Etliche Aktive fanden sich in der – allerdings kurzlebigen – Massenbewegung Neues Forum zusammen und wirkten dann an den Runden Tischen mit, wo sie versuchten, Einfluss auf umweltpolitische Zielsetzungen beim ökologischen Umbau Ostdeutschlands zu nehmen. Eine Gemeinsame Umweltkommission bewertete bereits im Februar 1990 die Situation als dramatisch. Nach und nach wurden geheim gehaltene Berichte der DDR-Regierung öffentlich. So war seit Jahren schon intern das Gebiet um Bitterfeld als unbewohnbar für Kinder eingestuft worden, ohne es der Bevölkerung mitzuteilen. Missbildungen, Krankheiten, sogar Todesfälle bei Kleinkindern waren stillschweigend hingenommen worden.
Daher kam es ziemlich schnell zur Stilllegung von Atomkraftwerken, zur Abschaltung besonders veralteter Anlagen der Kohleindustrie sowie einem schrittweise verabredeten Ausstieg aus der Braunkohle durch Schließung von Tagebauen. Auch die Uranförderung wurde aufgegeben. Nach Ende der Geheimhaltung wurde klar: Die Folgeschäden würden nur mit einem milliardenschweren Sanierungsprogramm behoben werden können.
Nach der Vereinigung wurden die in der Bundesrepublik geltenden Umweltgesetze auf das ehemalige Gebiet der DDR übertragen, was zu erheblichen Schadstoffreduzierungen führte. Andere Probleme entstanden jedoch durch Anstieg des Verkehrs, mehr Müllaufkommen, mehr Zersiedelung.
Insgesamt hatte die DDR allerdings auch weite, zwar belastete, aber wertvolle Landstriche, die ökologisch erfolgreich umgebaut werden konnten. So kam es zur Festlegung neuer Nationalparks und Biosphärenreservate durch Michael Succow, einen der grünen Aktivisten, der 1990 noch stellvertretender Umweltminister geworden war und dafür später den Alternativen Nobelpreis erhielt. 4,5% des DDR-Gebietes wurden dank seiner Initiative ökologisches Schutzgebiet. Selbst der „Todesstreifen“, jene knapp 1400 Kilometer lange innerdeutsche Grenze, hat sich heute als „grünes Band“ in ein Biotop verwandelt und wurde von der Bundesregierung zum „nationalen Naturerbe“ erklärt. Wer hätte das gedacht, als dort noch alles mit Chemikalien entlaubt wurde und Minen, Selbstschussanlagen und Wachtürme abschreckten?
Literatur
Wensierski, Peter: Ökologische Probleme und Kritik an der Industriegesellschaft in der DDR heute, Köln 1988.