Der Lernort Keibelstraße liegt im Norden des Berliner Alexanderplatzes. Der Ort blickt auf eine wechselhafte Geschichte: Das Präsidium der Berliner Polizei befand sich lange Zeit in der sogenannten „Roten Burg“ in unmittelbarer Nähe. Nach deren Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und der Teilung der Berliner Polizei im Jahr 1948 zog die Leitung der Deutschen Volkspolizei in das Gebäude der ehemaligen Hauptverwaltung des Karstadt-Konzerns und späteren Sitz des Statistischen Reichsamtes: in die nach dem Krieg ebenfalls stark zerstörte Keibelstraße. Hier wurde im Zuge des Wiederaufbaus auf den Fundamenten des innenliegenden Querriegels zusätzlich eine Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums des Innern (MdI) errichtet. Sie wurde 1951 in Betrieb genommen, 1990 geschlossen und war – neben der Untersuchungshaftanstalt Rummelsburg (UHA I) – die zweite vom MdI betriebene U-Haftanstalt (UHA II) in Ost-Berlin.
Bis 1977 lag ihre Kapazität bei 260 Verhafteten. Später gab es 171 Verwahr- und Diensträume für 209 Verhaftete; meistens war die Haftanstalt jedoch überbelegt. Im Gegensatz zur UHA I wurden in der UHA II auch Frauen inhaftiert. Die Straftatbestände, deretwegen die Verhafteten auf ihren Prozess warteten, waren sehr unterschiedlich: Im Jahr 1975 kam über ein Drittel wegen sogenannten „asoziales Verhalten“ in Untersuchungshaft, ca. 15 Prozent wegen Diebstahls, über zehn Prozent jeweils wegen „Rowdytums“ oder ungesetzlichen Grenzübertritts. Die DDR zeichnete sich im Vergleich zur Bundesrepublik durch eine hohe Untersuchungshaftrate und viele verhängte Freiheitsstrafen aus. Nach der Schließung der Haftanstalt wurde das sechste Stockwerk zwischen 1992 und 1996 für Polizeigewahrsam und als Abschiebegefängnis genutzt, wofür es umgebaut wurde. Danach diente das Stockwerk ausschließlich als Filmkulisse; im Zuge dessen wurde erneut massiv in das Gebäude eingegriffen.
Seit ihrer Schließung wiesen vor allem ehemalige Inhaftierte immer wieder auf die Existenz der UHA II in der Keibelstraße hin. Doch erst als die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie in das Gebäude einzog und beschloss, im ersten Obergeschoss einen Lernort einzurichten, wurde gehandelt: Seit August 2018, nachdem sie eine öffentliche Ausschreibung gewonnen hat, verantwortet die Agentur für Bildung – Geschichte, Politik und Medien e.V. den Betrieb des Lernortes. Aktuell gibt es Pläne für den Ausbau des gesamten Gebäudes zu einem Erinnerungsort, der im Falle einer Bewilligung von der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen eingerichtet und geleitet werden wird.
Die Ausstellungselemente sind auf pädagogische Arbeit mit verschiedenen Zielgruppen ausgerichtet: Ein flexibles Stecksystem von reproduzierten Haftakten und Fotos ermöglicht es, die bedruckten Tafeln in die Hand zu nehmen, bei Bedarf zu wechseln und somit Ausstellungselemente mit neuen Inhalten zu füllen. Auch die Medientische mit Videos von Zeitzeug*innen, die vom Alltag in der Keibelstraße berichten, sind so aufgebaut, dass die Videos ausgetauscht und neue hinzugefügt werden können. Dieser Werkstattcharakter ist intendiert: Für uns ist es wichtig, dass Schüler*innen den Ort eigenständig entdecken, Inhalte selbst erarbeiten und diese diskutieren. Deshalb bieten wir für Schulklassen grundsätzlich keine Führungen, sondern Lernwerkstätten (Dauer 1,5 bis 6 Stunden) mit unterschiedlichen Schwerpunkten an. Diese sind modular aufgebaut, da wir die Themen ausgehend vom Ort selbst entwickeln. Damit die Schüler*innen die Untersuchungshaft in der DDR besser einordnen können, ist ein synchroner Vergleich mit der Bundesrepublik wichtig. Deshalb ist die deutsch-deutsche Geschichte Bestandteil der längeren Lernwerkstätten.
Die Bandbreite der Straftatbestände sowie die Anzahl der Inhaftierten war in den U-Haftanstalten des MdI deutlich größer als in denen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Anhand solcher Details und der Geschichten, die Orte wie die UHA II erzählen, können wir Haft und Repression im Kontext der DDR-Geschichte facettenreich und differenziert darstellen. Allerdings existiert kaum Grundlagenforschung zu Untersuchungshaftanstalten des MdI, im Gegensatz zu denen des MfS. Das Fehlen wissenschaftlicher Erkenntnisse erschwert unsere Arbeit – auch wenn wir in der alltäglichen Praxis oft Neues entdecken und Lücken schließen können.
Lernort Keibelstraße
c/o Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie
Bernhard-Weiß-Straße 6
10178 Berlin
Tel.: 030 28 09 80 11
E-Mail: kontakt [at] keibelstrasse [dot] de
Homepage: www.keibelstrasse.de