Aus mehreren Gründen steht das griechische Bergdorf Distomo für die gegenwärtige Bedeutung der NS-Geschichte in Europa: Insbesondere das Urteil des Landgerichts Livadia 1997 rief die Aktualität der Verbrechen einer breiteren Öffentlichkeit ins Bewusstsein, als es den Kindern der Ermordeten von Distomo Recht gab, und die Bundesrepublik zur Entschädigungszahlung von 37,5 Millionen Euro verurteilte. Zudem erinnern die in Distomo stattfindenden Gedenkveranstaltungen stellvertretend an die vielen, durch „Vergeltungsmaßnahmen“ ermordeten Bewohner_innen anderer Orte und an die unzähligen zerstörten Dörfer.
Das Webangebot www.distomo-griechenland.de liefert damit einen sinnvollen Einstieg, um sich im Geschichtsunterricht der Sekundarstufe II zum Thema Erinnerungskultur bzw. -politik am konkreten Beispiel einzuarbeiten (etwa nach der Anregung von M. Schellenberg in diesem Heft). Die Website ist den von den Massakern der deutschen Besatzungstruppen Betroffenen gewidmet. Und das sind Überlebende und deren Nachkommen, „die durch die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands eine unsägliche Last der Erinnerung aufgebürdet bekommen haben“, wie Jürgen Rompf schreibt, der das Webangebot betreut, und so auch ein Beispiel für geschichtspolitisches Engagement und zivilgesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein bietet.
Die Startseite tritt emotional und nüchtern zugleich auf – und verkörpert dadurch einen nicht unwesentlichen Aspekt von Erinnerungskultur: Durch Klicken auf das Startfoto der Gedenkstätte in Distomo lässt sich ein Trauerlied mit deutschen und griechischen Untertiteln abspielen. Darunter werden aktuelle Dokumente der geschichtspolitischen und juristischen Akteure gelistet, beispielsweise Pressemitteilungen der deutschen NGO AK Distomo, Drucksachen des Bundestags, offene Briefe von Angehörigen der Überlebenden an Bundespräsident Gauck, aber auch Gedichte. Von der Startseite aus lässt sich durch Weiterklicken das Thema Distomo umfangreich beleuchten. Es gibt Seiten zur Einleitung – hier, zum Massaker, über die Opfer und die Lebenden, über den Gedenktag, Veranstaltungen und (Jugend-)Begegnungen, Literaturempfehlungen und weiterführende Links; das Museum der Opfer wird vorgestellt, der Ort Distomo heute und die Geschichte der Region und vieles mehr.
Einschränkend für den Unterricht kann es möglicherweise sein, dass es vor allem in der Einleitung Verweise auf philosophische Auseinandersetzungen mit Gedächtnis und Erinnerungskultur gibt von Agnes Heller und Hegel. Diese sind erklärungsbedürftig. Doch insgesamt ist es ein materialreiches Angebot, um zu Erinnerungskultur und Geschichtspolitik recherchieren.