Erinnern an 1848/49 im Revolutionsmuseum Rastatt
Elisabeth Thalhofer
„Unsere Demokratie muss heute eine wehrhafte Demokratie sein. Sie braucht starke, abwehrbereite Institutionen. Sie braucht kraftvolle Symbole und Menschen, die diese Symbole auch pflegen. Schwarz, Rot und Gold, das sind die historischen Farben unserer Demokratie. Lassen wir nicht zu, dass diese Farben heute von den Verächtern der Demokratie missbraucht werden!“ (Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Ansprache beim Republikanischen Bankett am 17. März 2023 in Schloss Bellevue)
„Die wehrhafte Demokratie“ – gerade dies ist das zentrale Thema der Bundesarchiv-Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte, kurz Revolutionsmuseum Rastatt. 1974 hatte Bundespräsident Gustav W. Heinemann angeregt, einen nationalen Gedächtnisort für das demokratische Erbe Deutschlands zu schaffen. Im Mittelpunkt sollte die Revolution von 1848/49 als eine der zentralen Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte stehen.
Barrikadenszene, Quelle: Bundesarchiv, Erinnerungsstätte Rastatt, Foto: Reck
Heute existieren eine Vielzahl von historischen Lern- und Anschauungsorten, die einen nationalen Auftrag wahrnehmen. Doch 1974 war das ein Novum und deshalb war zunächst auch unklar, wie und wo solch ein Ort institutionell angebunden sein könnte. Das Bundesarchiv sollte die Ausgestaltung übernehmen. Als „Gedächtnis der Nation“ bewahrt es wichtige Quellen zur Geschichte der deutschen Freiheitsbewegungen und gewährleistet den offenen Zugang zu ihnen. Mit der Erinnerungsstätte kam jedoch ein vollkommen neuer Aufgabenbereich zum Profil des Bundesarchivs hinzu, nämlich der Betrieb des ersten vom Bund gegründeten und getragenen Erinnerungsortes deutscher Demokratiegeschichte. Im Residenzschloss von Rastatt macht das Bundesarchiv seither die Revolution von 1848/49 erfahrbar – am Originalschauplatz des Aufstandes, bei dem sich badische Soldaten auf die Seite demokratisch gesinnter Bürgerinnen und Bürger stellten. Das heißt: Am Geburtsort der „wehrhaften Demokratie“.
BADEN ALS SCHAUPLATZ DER REVOLUTION, RASTATT ALS STANDORT DES REVOLUTIONSMUSEUMS
Die Gründung des ersten nationalen Erinnerungsortes für Demokratiegeschichte in einer Kleinstadt in Baden war nicht zufällig. Baden war 1848/49 immer wieder zentraler Schauplatz der Ereignisse: Hier brach die Revolution im Februar 1848 aus, hier nahm sie im Juli 1849 ihr Ende. Blutige Aufstände erschütterten das kleine Großherzogtum an der deutsch-französischen Grenze, in dem sich wichtige Etappen, Wegmarken und Wendepunkte der Revolution ereigneten. In den letzten Monaten des Revolutionsgeschehens spielte die unweit der damaligen Landeshauptstadt Karlsruhe gelegene Stadt Rastatt eine zentrale Rolle. Hier erreichte die Revolution kurz vor ihrer Niederschlagung eine vollkommen neue Dimension: Soldaten verbündeten sich mit Revolutionären und Revolutionärinnen – Vertreter der Staatsmacht stellten sich auf die Seite derjenigen Männer und Frauen, die sich für politische Teilhabe, soziale Verbesserungen und Freiheitsrechte einsetzten.
Im Mai 1849 rebellierten in Rastatt auf dem Hof des Residenzschlosses die in der Bundesfestung stationierten Soldaten. Sie waren unzufrieden mit ihrer Versorgung, dem schlechten Lohn und der Behandlung durch ihre Vorgesetzten. Vor allem aber forderten sie, die freiheitliche Reichsverfassung in Kraft zu setzen, die von den gewählten Abgeordneten in der Frankfurter Paulskirche ausgearbeitet und verabschiedet worden war.
Von Rastatt aus weitete sich der Aufstand auf ganz Baden aus. Der Großherzog floh
außer Landes nach Koblenz und rief den Deutschen Bund um Hilfe an. Bundestruppen unter preußischer Führung marschierten in Baden ein, drängten die Revolutionsarmee zurück, die schließlich in Rastatt ihre letzte Zuflucht fand. Über drei Wochen lang belagerten preußische Truppen unter dem Oberbefehl des preußischen Prinzen und späteren deutschen Kaisers Wilhelm I. die Stadt an der Murg. Rastatt wurde zur letzten Bastion der Revolution in Deutschland – die Bundesfestung wurde zur „Freiheitsfestung“. Der Druck durch die Belagerung war allerdings zu groß, die Lage insgesamt aussichtslos. Längst waren die Aufstände im restlichen Baden niedergeschlagen. Am 23. Juli 1849 kapitulierte die Freiheitsfestung bedingungslos.
Im Stadtbild Rastatts haben sich viele bedeutsame Orte der Revolution erhalten. Vor allem aber das Residenzschloss ist steinerner Zeuge als Ort des Aufstandes, Versammlungsort der Revolutionsführer sowie Ort des preußischen Standgerichtes, das 21 Revolutionäre zum Tode und viele andere zu langen Freiheitsstrafen verurteilte. Deshalb wurde es auch 1974 als Standort der Erinnerungsstätte an die Ereignisse der Revolution 1848/49 bestimmt.
Schloss Rastatt, Bundesarchiv-Erinnerungsstätte, 4.10.2010, Quelle: Bundesarchiv, B 198 Bild-2010-1004- 001, Fotograf: Torsten Krause
PERSÖNLICHES ERBE UND POLITISCHES STATEMENT
Die Bemühungen Gustav W. Heinemanns um die Gründung eines nationalen Erinnerungsortes für die Revolution von 1848/49 hatten auch etwas mit seiner Familiengeschichte zu tun: „Für Frieden und Freiheit, für Republik und Demokratie! Ich werde an Euch denken!“ Dieses Versprechen notierte der 20-jährige Gustav 1919 in sein Tagebuch (Heinemann 1980: 36). Das Andenken galt dem mütterlichen Familienzweig Walter mit seinem Urgroßvater Jakob und dessen Brüdern Friedrich und Karl Walter, die 1848/49 auf Seiten der Demokraten gekämpft hatten.
Karl Walter hatte sich als Freiwilliger zur badischen Revolutionsarmee gemeldet und am Aufstand in Baden 1849 teilgenommen. In der Schlacht von Waghäusel wurde er im Frühjahr 1849 schwer verwundet und erlag seinen Verletzungen schließlich in der Festung Rastatt. Die Bezüge seines zweiten Vornamens waren Gustav Heinemann stets präsent, das Andenken an den Revolutionär wurde im Familiengedächtnis gepflegt. Für Heinemann war dies eine Pflicht, der er in seinen politischen Ämtern gerecht zu werden versuchte.
Die Gründung der Erinnerungsstätte fiel in die Zeit einer grundsätzlichen Neuorientierung der Bundesrepublik. Ein neues Geschichtsbild und Selbstverständnis sollten geformt werden – in Abgrenzung zur DDR: „In der DDR pflegt man bewusst revolutionäre Überlieferungen. [...] Sie werden aber in Entwicklungsstufen zum kommunistischen Zwangsstaat verfremdet. Unerträglich ist es, dass wir dem durch eigene Untätigkeit Vorschub leisten und uns so einen Teil unserer Geschichte entwenden lassen [...]“ mahnte Bundespräsident Heinemann in seiner Ansprache anlässlich der Eröffnung der Erinnerungsstätte (Rede anlässlich der Eröffnung der Erinnerungsstätte am 24.06.1974).
Gustav Heinemann bei der Eröffnung der Erinnerungsstätte, Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-1974-177-03, Foto: o. Ang.
Dem „Nie wieder!“, das konstitutiv für das Selbstverständnis der Bundesrepublik war, wollte Gustav Heinemann ein starkes Selbstbewusstsein für die demokratischen Traditionen in der deutschen Geschichte an die Seite stellen. Die Erinnerungsstätte sollte zeigen: In der deutschen Geschichte gibt es freiheitlich-demokratische Traditionen, die das Fundament für das Grundgesetz von 1949 bilden.
Am 26. Juni 1974 wurde die Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte eröffnet. Beim Festakt fand auch zum ersten Mal die Preisverleihung des damals neu initiierten Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten statt.
50 JAHRE ERINNERUNGSARBEIT
IM REVOLUTIONSMUSEUM RASTATT
Seit ihrer Eröffnung wurde die Dauerausstellung in der Erinnerungsstätte mehrfach überarbeitet und erweitert. Die Revolution von 1848/49, mit einem besonderen Schwerpunkt auf der Bedeutung des deutschen Südwestens für diese demokratische Freiheitsbewegung, bildet dabei das Kernthema der Ausstellung, zumal es auf den historischen Ort Bezug nimmt. Wechsel- und Wanderausstellungen zu politischen Themen oder anderen historischen Epochen beleuchten weitere Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte.
Als Lern- und Ausstellungsort diskutiert das Revolutionsmuseum Rastatt die Spannungsmomente zwischen unterschiedlichen Kernwerten – Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Rechtsstaatlichkeit und Nationalstaatlichkeit. Mehrere pädagogische Angebote, die sich an verschiedene Klassenstufen richten und unterschiedliche Vorkenntnisse voraussetzen, hält die Erinnerungsstätte im Rahmen ihres historisch-politischen Bildungsauftrages bereit: „Das Recht auf Meinungsfreiheit“ oder „Freiheit in Gefahr“ lauten etwa zwei Thementage, bei denen sich Jugendliche und junge Erwachsene aktiv mit Geschichte und Gegenwart auseinandersetzen können. Sie nehmen aktuelle Gefährdungen und Bedrängungen der Demokratie in den Blick und fragen, was uns die Revolution von 1848/49 heute und im Hinblick auf gegenwärtige Krisen und Anfeindungen zu sagen hat. Aber auch spielerische Zugänge wie Interviews mit Abgeordneten der Paulskirche und Revolutionärinnen oder selbstgemachte Führungen durch die Ausstellung gehören zum Portfolio.
Die Erinnerungsstätte zeigt die Wurzeln der „wehrhaften Demokratie“ auf und erzeugt ein Bewusstsein dafür, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung gleichermaßen fortentwickelt und geschützt werden muss. Demokratie erfordert Bewusstsein, Verantwortung und Anstrengung – für jede Generation aufs Neue.
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
Heinemann, Gustav Walter: Wir müssen Demokraten sein. Tagebuch der Studienjahre 1919−1922, hrsg. von Brigitte und Helmut Gollwitzer, München 1980.
Heinemann, Gustav Walter: Die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte. Ansprache des Bundespräsidenten aus Anlass der Eröffnung der Erinnerungsstätte in Rastatt am 26. Juni 1974, in: Einigkeit und Recht und Freiheit. Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte. Katalog zur ständigen Ausstellung, Bönen 2002, S. 21−24.
Steinmeier, Frank-Walter: Rede des Bundespräsidenten bei einem Republikanischen Bankett zum 175. Jahrestag der Märzrevolution von 1848 am 17. März 2023 in Schloss Bellevue, URL: https://www.bundespraesident.de [eingesehen am: 28.01.2025].
Pahl, Henning: Die Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte − eine Sonderaufgabe des Bundesarchivs, in: Archive im Kontext. Öffnen, Erhalten und Sichern von Archivgut in Zeiten des Umbruchs. Festschrift für Prof. Dr. Hartmut Weber zum 65. Geburtstag, Düsseldorf 2010, S. 77−96.
Thalhofer, Elisabeth: Zwischen Fortschritt und Repression − Baden in der Zeit des Vormärz, in: Stadt Rastatt (Hrsg.): Für die Freiheit! Rastatt und die Revolution 1848/49. Katalog zur Sonderausstellung im Stadtmuseum Rastatt vom 12.05.2024 bis 12.01.2025, Rastatt 2024, S. 8−14.
Thalhofer, Elisabeth: Im Zentrum der Ereignisse − Baden in der Revolution 1848/49, in: Stadt Rastatt (Hrsg.): Für die Freiheit! Rastatt und die Revolution 1848/49. Katalog zur Sonderausstellung im Stadtmuseum Rastatt vom 12.05.2024 bis 12.01.2025, Rastatt 2024, S. 15–22.
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- 26 Feb 2025 - 10:07