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Netzwerkbildung innerhalb der neuen Frauenbewegungen in der BRD und der DDR in den 1970er und 1980er Jahren

Dr. Jessica Bock ist wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Digitalen Deutschen Frauenarchiv. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Frauenbewegungen im 20. Jahrhundert, reproduktive Rechte in der DDR, Transformation und Erinnerungskultur.

von Jessica Bock 

 

Autonome Organisation

Der neue feministische Aufbruch seit Ende der 1960er Jahre war in der Bundesrepublik durch die Gründung zahlreicher neuer Frauen-/Lesbengruppen gekennzeichnet. Ein zentrales Merkmal ihres Selbstverständnisses bildete die Idee der Autonomie. Darunter verstanden sie eine eigenständige Frauenpolitik auf der Grundlage eines basisdemokratischen und partizipatorischen Ansatzes und ohne die Bevormundung durch den Staat und etablierte Organisationen wie Parteien und Gewerkschaften. Denn die Frauen/Lesben hegten ein tiefes Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen, die sie als Teil des Patriarchats auffassten. Zu den staatlichen Strukturen zählten die neuen Feministinnen auch die bereits existierenden Frauenverbände wie den Deutschen Frauenrat (DF), mit deren Frauenpolitik und formaler Ordnung sie kaum etwas anfangen konnten. Die neuen, meist autonom gegründeten Frauen-/Lesbengruppen wählten an Stelle der „Vereinsmeierei“ mit Satzungen und Mitgliedsbeiträgen eine eher lose und dezentrale Organisierung.

Als kleinste Netzwerkeinheit können die lokalen bzw. regionalen autonomen Frauen-/Lesbengruppen verstanden werden. Diese basierten häufig auf bestehenden persönlichen Beziehungen wie Frauenfreundschaften, die die Frauen weiterknüpften. In den Frauen-/Lesbengruppen fanden Frauen die Möglichkeit, aus ihrer Vereinzelung herauszutreten und sich mit anderen Frauen auszutauschen. Neben diesen Selbsterfahrungsgruppen gründeten sich autonome Frauengruppen, die zu bestimmten Themen arbeiteten. Ein Beispiel ist die „Aktion 218“: Infolge der Selbstbezichtigungsaktion im Stern im Juni 1971, in der sich mehrere hundert Frauen, darunter auch viele Prominente, dazu bekannten, abgetrieben zu haben, schlossen sich Frauen in zahlreichen Städten wie Bremen, West-Berlin, Bonn, Dortmund, Heidelberg, Nürnberg und Stuttgart zusammen, um für die ersatzlose Streichung des §218 zu kämpfen.

Zeitung als Gegenöffentlichkeit und Vernetzungsmedium

Der Austausch untereinander erfolgte mittels neu gegründeter autonomer Zeitungen wie zum Beispiel der FRAUENZEITUNG – Frauen gemeinsam sind stark. Die FRAUENZEITUNG erschien zwischen 1973 und 1976 und wurde von wechselnden westdeutschen Frauengruppen herausgegeben, die auch über den jeweiligen thematischen Schwerpunkt der Ausgabe entschieden. Die Zeitung diente „der Information, theoretischen Klärung und Erarbeitung von gemeinsamen Positionen innerhalb der Frauengruppen“ (FRAUENZEITUNG 1/1973: 2). Außer zur Diskussion inhaltlicher Anliegen nutzten die Frauengruppen die Zeitung auch, um sich selber und ihre Arbeit vorzustellen und um ihre Kontaktdaten zugänglich zu machen. So entstand bis in die 1980er Jahre hinein eine blühende feministische Presselandschaft, die überregionale und lokale Zeitschriften umfasste.

Veranstaltungen und themenspezifische Organisationsformen

Neben der Herausgabe von autonomen Frauen-/Lesbenzeitungen als Kommunikations- und Vernetzungsmedien organisierten die Frauen/Lesben eigene Veranstaltungen, um sich untereinander auszutauschen und Kontakte zu knüpfen. Eines der ersten großen Vernetzungstreffen der neuen Frauenbewegung war der erste Bundesfrauenkongress, der am 11./12. März 1972 in Frankfurt/Main stattfand. Etwa 400 Frauen aus über 40 Städten kamen hier zusammen. Gemeinsam diskutierten sie über Themen wie die Organisationsstruktur der Frauenbewegung, die Situation erwerbstätiger Frauen, den §218, das Babyjahr für Mütter und Väter und über die geschlechtsspezifische Erziehung von Kindern in Kindergärten und Schulen. Nicht mal ein Jahr später fand bereits die zweite große Bundesfrauenkonferenz statt, diesmal in München mit etwa 250 Frauen, darunter Vertreterinnen der französischen und niederländischen Frauenbewegung.

Die zu Beginn selbstgewählte dezentrale und eher autonome Organisationsweise der neuen Frauenbewegung verlor im Laufe der 1970er Jahre an Zugkraft. Frauen-/Lesbengruppen, die zu ähnlichen Themen arbeiteten, begannen sich zunehmend untereinander zu vernetzen. Ausdruck dieser Entwicklung war die Gründung von Dachverbänden auf Bundes- und Landesebene. So organisierten Historikerinnen ab der zweiten Hälfte der 1970er Jahre eigene Treffen, auf denen sie sich fachlich austauschten. Eine ähnliche Entwicklung nahmen die neu gegründeten Lesben-/Frauenarchive und -bibliotheken, die sich ab 1983 jährlich trafen. Aus diesen Archivetreffen entstand 1994 der Dachverband deutschsprachiger Frauen-/Lesbenarchive, -bibliotheken und Dokumentationsstellen (Dachverband i.d.a. – informieren, dokumentieren, archivieren).

Alternativer Frauenrat?

Trotz dieser zunehmenden Vernetzung und thematischen Fokussierung blieb die Frage der Herausbildung fester Verbandsstrukturen innerhalb der neuen autonomen Frauenbewegung hoch umstritten. Eine zaghafte Annäherung zwischen autonomen Aktivistinnen und institutionalisierten Frauenverbänden wie dem DF setzte erst gegen Ende der 1970er Jahre ein. Die meisten empfanden den DF jedoch als zu brav und im vorgegebenen politischen Rahmen verhaftet. Um die strukturlosen Verhältnisse zu überwinden und eine stärkeres Bewegungsnetzwerk aufzubauen, schlug Sibylle Plogstedt 1983 die Gründung eines „alternativen Frauenrates“ vor. Zwar wurde die Idee innerhalb der Frauenbewegung diskutiert, jedoch setzte sich der Vorschlag nicht durch.

„Wir wollen knüpfen, weben und … spinnen.“ Das Netzwerk der DDR-Frauenbewegung

Seit Beginn der 1980er Jahre lässt sich auch in der DDR die Gründung staatlich unabhängiger bzw. informeller Frauen-/Lesbengruppen nachweisen. Ähnlich wie bei den westlichen autonomen Gruppen bildeten bestehende persönliche Freundschaften unter den Frauen das Fundament für die Gründung der Zusammenschlüsse. Die Herausbildung eines DDR-weiten Bewegungsnetzwerks setzte allerdings erst ab Mitte der 1980er Jahre ein – eine Entwicklung, die angesichts zahlreicher Herausforderungen ungleich schwieriger war als im Westen.

Eine von staatlichen Vorgaben und Strukturen unabhängige Frauenbewegung war in dem diktatorisch und zentralistisch organisierten Staat nicht möglich. So nutzten die meisten der informellen Frauen-/Lesbengruppen die Räume und Strukturen der evangelischen Kirche, die in der DDR einen Sonderstatus genoss. Für die Etablierung eines Bewegungsnetzwerks standen den Frauen im Vergleich zur BRD eher überschaubare Mittel zur Verfügung. Ein Telefon besaßen die wenigsten. Die Organisation von Vernetzungstreffen erfolgte über persönliche Kontakte, handschriftlich formulierte Einladungen, die mit der kirchlichen Druckmaschine vervielfältigt und auf Grundlage des persönlich geführten Adressbüchleins per Post verschickt wurden. Des Weiteren kündigten die Gruppen ihre Treffen und Veranstaltungen über Anzeigen in Kirchenzeitungen an. Ab 1987/88 nutzten sie dafür ihre eigenen informellen Zeitschriften wie Lila Band, Das Netz oder frau anders, um auf Termine für Frauenvernetzungstreffen hinzuweisen und darüber zu berichten. Diese Zeitschriften konnten jedoch nur mit dem Vermerk „für den innerkirchlichen Dienstgebrauch“ gedruckt werden. Anders als die feministischen Zeitschriften in Westdeutschland konnten sie nicht öffentlich gekauft werden, sondern wurden von den Herausgeberinnen über einen Abo-Vertrieb verschickt. Trotz dieser Einschränkungen trugen die informellen Zeitschriften wesentlich zur Verständigung und zum Ausbau eines Bewegungsnetzwerks bei.

Titelblatt der ersten Ausgabe von Das Netz. Quelle: Robert-Havemann-Gesellschaft, RHG GZ-S 01, Bl. 787.

 Zwischen 1984 und 1989 fanden in der gesamten DDR ca. 20 Frauenfeste, -foren und -gruppentreffen statt. Hinzu kamen ab 1985 etwa 10 Frauenseminare und -werkstätten in Hirschluch und Wilkau-Haßlau (im heutigen Brandenburg bzw. Sachsen). Diese Veranstaltungen hatten – ähnlich wie die im Westen – oft einen thematischen Schwerpunkt wie zum Beispiel weibliche Homosexualität, Berufstätigkeit von Frauen, gewaltfreie Erziehung, Gewalt gegen Frauen, Schwangerschaftsabbruch oder biblische Frauenfiguren. Im Rahmen einzelner Workshops diskutierten die Teilnehmerinnen über spezifische Aspekte dieser übergeordneten Themen oder auch noch andere Fragen. Manche der Veranstaltungen standen Männern offen, die Kinderbetreuung war selbstverständlich. Zusätzlich nutzten die informellen Frauen-/Lesbengruppen Friedenswerkstätten, Kirchentage und Treffen der Arbeitskreise Homosexualität für ihre DDR-weite Vernetzung. Obwohl die wenigsten Frauen über ein eigenes Auto verfügten und die Züge stets überfüllt waren, nahmen regelmäßig mehrere hundert Frauen an den Frauenforen und -gruppentreffen teil.

Neben den logistischen Herausforderungen hatte die nichtstaatliche Frauenbewegung bei ihrer Vernetzungsarbeit auch mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zu kämpfen. Das MfS überwachte zahlreiche informelle Frauen-/Lesbengruppen und führte gegen diese sogenannte Zersetzungsmaßnahmen durch, wozu z.B. auch die verdeckte Sabotage ihrer Treffen zählte. So war plötzlich die für die Verpflegung gebuchte Gaststätte geschlossen oder die Einladungen wurden bei der Postkontrolle durch das MfS abgefangen.

Im Zuge der revolutionären Umbrüche von 1989/90 wuchs das Bedürfnis nach einer DDR-weiten Vernetzung weiter. Wesentliche Impulse gingen hierbei von den Thüringer Frauen-/Lesbengruppen aus, die für den 9./10. September 1989 zu einem ersten landesweiten Frauenkoordinierungstreffen einluden. In diesem Zusammenhang planten sie auch die Herausgabe eines Rundbriefes, um die bestehenden Frauen-/Lesbengruppen besser zu koordinieren. Knapp drei Monate später riefen etwa 1.200 Frauen an der Berliner Volksbühne den Unabhängigen Frauenverband (UFV) ins Leben. Als Gegenstück zum staatlich organisierten Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD) wollten sie mit diesem Dachverband die Aktivitäten der unabhängigen Fraueninitiativen bündeln und die Fraueninteressen im Umbruchs- und Vereinigungsprozess gezielt vertreten.

Gemeinsame Netze entstehen

Vor der Friedlichen Revolution gab es zwischen den Frauenbewegungen in der Bundesrepublik und der DDR kein ausgeprägtes Netzwerk. Es bestanden lediglich vereinzelte Kontakte – meist über freundschaftliche oder familiäre Beziehungen. Die wechselseitige Wahrnehmung erfolgte unter anderem über das Lesen und Diskutieren feministischer Literatur. Die Maueröffnung am 9. November 1989 änderte diese Situation grundlegend und ermöglichte einen intensiven Austausch zwischen Frauen aus Ost und West. Vor allem in der ersten Hälfte der 1990er Jahre fanden zahlreiche kleinere Formate wie Seminare, Tagungen und Workshops statt, auf denen Ost- und Westfrauen aufeinandertrafen. Häufig handelte es sich bei diesen Zusammenkünften um gezielte Vernetzungen unter Frauen aus beiden deutschen Staaten, die sich für die gleichen Themen und Projekte engagierten. An der Organisation der deutsch-deutschen Frauenvernetzung beteiligten sich verschiedene Institutionen wie Frauenprojekte, -stiftungen und -organisationen. Folglich kamen Frauen unterschiedlicher Generationen und (frauen-)politischer Couleur zusammen, unter anderem Autonome, Politikerinnen, Gleichstellungsbeauftragte, Journalistinnen und Wissenschaftlerinnen. Erste Untersuchungen belegen, dass vor allem ostdeutsche Frauen gezielt den Kontakt und die Vernetzung mit der westdeutschen Frauenbewegung vorangetrieben haben (Bock 2020). Indem sie ostdeutsche Städte zu Veranstaltungsorten von Tagungen und Organisationstreffen machten, trugen die ostdeutschen Akteurinnen entscheidend zur Entstehung eines gesamtdeutschen Bewegungsnetzwerks bei. Zeitgleich grenzten sich ostdeutsche Frauen von den bestehenden westlichen Strukturen ab und gründeten zunächst separate Netzwerkstrukturen. Ein Beispiel sind die autonomen Frauenhäuser in den neuen Bundesländern, die sich zur Ostarbeitsgemeinschaft der Frauenhäuser zusammenschlossen. Trotz dieser Abgrenzungen gab es in den 1990er Jahren aber auch gemeinsame Aktionsfelder, wie den Kampf für eine gesamtdeutsche Fristenregelung des Schwangerschaftsabbruchs, gegen den Sozialabbau oder die Massenarbeitslosigkeit insbesondere der ostdeutschen Frauen. Ob über die Netzwerke in den vergangenen 35 Jahren eine gesamtdeutsche Frauenbewegung entstanden ist, bleibt nach wie vor umstritten und bedarf weiterer Forschungen (Bock 2019).

 

Quellen und Literatur:

Bock, Jessica: Kongress als Ort der (Wieder-)Vereinigung? Frauenkongresse nach 1990 in Deutschland, in: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte, H. 76/2020, S. 139‒159.

Bock, Jessica: Kein einig Schwesternland. Über die bestehende Un-Einigkeit zwischen ost- und west-deutscher Frauenbewegung In: Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft, Jg. 28 (2019), H. 2, S. 121‒130.

FRAUENZEITUNG – Frauen gemeinsam sind stark, Nr. 1, 1.10.1973.

 

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