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Perverse Geschichte(n) – Das Schwule Museum als Ort emanzipatorischer Debatten, Kontroversen und Transformation

Heiner Schulze hat Sozialwissenschaften studiert, arbeitet an der Berliner Hochschule für Technik, ist im Vorstand des Schwulen Museums in Berlin und hat den stellvertretenden Vorsitz des Fachbeirates der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld inne. Heiner interessiert sich für Themen sozialer Ungleichheit, inklusiver Gesellschaft und Erinnerungskulturen. Letzteres vor allem mit einem Fokus auf queere Geschichte(n), Ostdeutschland sowie HIV/Aids.

von Heiner Schulze

Geschichte aufbrechen

Zivilgesellschaft heißt auch, festgefahrene Strukturen zu thematisieren und auf Leerstellen in Debatten hinzuweisen. Eine Institution mit diesem Anspruch ist das 1985 gegründete Schwule Museum in Berlin. Als „subkulturelles ‚Antimuseum‘“ gegründet, wurzelt es in der sozialen (Schwulen-)Bewegung und verfolgt das Ziel, „systematische Ausschlüsse homosexueller Geschichte(n) und Kultur(en) [in klassischen geschichtspolitischen Institutionen] herauszuforder[n]“ (Bosold/Hofmann 2021: 5). Mit anderen Worten: Auch queere Personen wollen und sollen in der Geschichtsschreibung ebenso wie in der Kultur repräsentiert sein. Und wenn die Anderen es nicht machen, macht man es halt selbst!

Fassade des SMU_Luetzowstrasse. © Robert M Berlin, Schwules Museum

Eldorado der Perversen

Der Anspruch, Raum sowohl für Repräsentation und Empowerment als auch für Debatten zu bieten, beginnt bereits vor der eigentlichen Institutionalisierung als Verein. Einige der späteren Gründungseltern des Schwulen Museums überzeugten den Direktor des in Berlin-Kreuzberg gelegenen, stadtgeschichtlichen „Berlin Museums“, welches Mitte der 1990er in die Stiftung Stadtmuseum Berlin aufging, von einer Ausstellung zu homosexueller Kulturgeschichte, die sie dann auch kuratierten und realisierten. Die 1984 eröffnete Ausstellung „Eldorado: Geschichte, Alltag und Kultur homosexueller Frauen und Männer in Berlin von 1850–1950“ war europaweit die erste ihrer Art und von Anfang an ein Skandal.

Teil der Ausstellung. © Jürgen Henschel, FHXB Museum

Bereits die erste Pressenotiz 1982 rief heftige Reaktionen hervor: Das Berlin Museum erhielt anonyme, ablehnende Anrufe und Briefe, und nicht nur deutschlandweit, sondern auch international berichtete die Presse über das geplante Ereignis. Der Kultursenator und der Regierende Bürgermeister wurden von Bürger*innen aufgefordert, die Ausstellung zu verhindern. Bemerkenswert ist die Reaktion Rolf Bothes, des Direktors des Berlin Museums: Er wertete diese massiven Reaktionen als Zeichen der Relevanz der Ausstellung und stellte den Kurator*innen zusätzliche Ressourcen und Räumlichkeiten zur Verfügung. Die auch nach der Eröffnung weiterhin kontrovers diskutierte Ausstellung war ein großer Erfolg: In der etwa zweimonatigen Laufzeit wurde mit 45.000 Besucher*innen ein Rekord für das Museum aufgestellt (vgl. Schubert 2006).

Dem Anspruch, politisch zu sein und gesellschaftliche Diskussionen zu beeinflussen, folgte von Beginn an auch das im Jahr nach der Ausstellung gegründete Schwule Museum. So konzipierten die selbsternannten „Museumstunten“ 1989/1990 eine Wanderausstellung zur Geschichte des Paragrafen 175, der mann-männliche Homosexualität im Deutschen Reich und in der BRD kriminalisierte und zum Zeitpunkt der Ausstellung in Westdeutschland immer noch galt. Die im Berliner Abgeordnetenhaus und anderen deutschen Städten gezeigte Ausstellung sollte die Debatte um eine mögliche Streichung des Paragrafen beleben. Die Intervention war wenige Jahre später von Erfolg gekrönt: 2024 feiern wir das 30-jährige Jubiläum der ersatzlosen Streichung des Paragrafen in der BRD. Die DDR, welche von Beginn an eine entschärfte Version des Paragrafen im Strafgesetzbuch hatte, schaffte ihn bereits 1989 vollständig ab.

Anstoß und Veränderungen

Auch im Schwulen Museum und unter seinen Besucher*innen gab (und gibt) es kontroverse Debatten um Repräsentation. Seit Mitte der 2000er Jahre hielten lesbische Erfahrungen sowie trans*- und inter*- Perspektiven vermehrt Einzug auch ins Schwule Museum. Ein Meilenstein war die gemeinsam mit dem Deutschen Historischen Museum (DHM) konzipierte und 2015 eröffnete Ausstellung „Homosexualität_en“. Als erste zu queerer Geschichte im DHM, bot die Ausstellung konsequent lesbischen und schwulen Perspektiven gleichviel Platz, statt letztere zu bevorzugen. Die Darstellung von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt stieß allerdings nicht überall auf Akzeptanz und Unterstützung: Bei der Übernahme der Ausstellung ins LWL-Museum in Münster weigerte sich die Deutsche Bahn, das zuvor bereits in Berlin gezeigte Ausstellungsplakat in regionalen Bahnhöfen aufzuhängen. Das Plakat, welches den_die Künstler*in Heather Cassil zeigt, sei „sexistisch“ und „sexualisierend“ und würde gegen Richtlinien des Deutschen Werberats verstoßen.

Plakat der Ausstellung „Homosexualität_en“. © Schwules Museum

Dutzende von Artikeln und Offenen Briefen folgten. Öffentlich diskutiert wurden Geschlechternormen und -darstellungen, Homo- und Transphobie, Kunstfreiheit und Zensur (Reedy 2020). Letztlich mussten alternative Werbeflächen gefunden werden, auf denen das Ausstellungsplakat präsentiert werden konnte, bevor die Deutsche Bahn am Ende doch noch einlenkte.

Auch innerhalb der eigenen, der queeren Community scheut sich das Museum nicht vor Kontroversen. So gefiel etwa die Öffnung des Museums für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt nicht allen. Das im Jahr 2018 ausgerufene „Jahr der Frau_en“ war gedacht als Experimentierfeld für Veränderung mit dem Ziel, eine zukunftsweisende, partizipative (Museums-)Praxis zu entwickeln. Nach Jahrzehnten eines institutionellen Fokus auf schwule Cis-Männer, sollten ein Jahr lang nur weibliche und feministische Perspektiven im Zentrum stehen und auch die eigene Institution in der Kritik nicht ausgespart bleiben. Die Reaktion in sozialen und Szene-Medien waren immens, es folgten Austritte aus dem Verein und dem Vorstand wurde Verrat vorgeworfen. Andere Einrichtungen beteiligten sich und organisierten Diskussionsrunden zum Konflikt. In der – im Ton teilweise sehr hart geführten Debatte – spielten bereits schwelende Konflikte und Differenzen um Fragen von Repräsentanz und Selbstverständnis, Differenz sowie Ressourcen eine Rolle, die das Verhältnis verschiedener Teile der queeren Community zueinander betrafen bzw. betreffen. Thema waren dabei die (Un-)Sichtbarmachung bestimmter Perspektiven und Machtstrukturen, aber auch Selbstverständnisse und Transformationsprozesse queerer Bewegungen. 

Sich treu bleiben

Seit seiner Gründung sieht das Schwule Museum seinen Auftrag darin, mit seinen Ausstellungen und Veranstaltungen Ausschlüsse zu thematisieren und Debatten anzustoßen. In seiner fast 40-jährigen Geschichte war es immer ein Ort für Auseinandersetzungen: sowohl im Auftreten nach außen, um die Gesellschaft zu verändern, als auch, um durch die Schaffung von Gemeinschaft bei gleichzeitiger Thematisierung von Ausschlüssen in den eigenen Communities zu wirken. Gelebte Zivilgesellschaft braucht genau das: engagierte Debatten und beständige Weiterentwicklung. Zivilgesellschaftliche Räume wie das Schwule Museum sind dafür essenziell.

 

Literatur

Bosold, Birgit/Hofmann, Vera: kuratieren #7. Jahr der Frau_en/ Year of the Women*, Hohenlockstedt 2021.

Reedy, Nina: Poster Trouble. Das Plakat zur Homosexualität_en-Ausstellung in Münster: Eine Diskursanalyse, in: Journal Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW 46 (2020), S. 33–43, DOI: https://doi.org/10.25595/2175.

Schubert, Franciska: Das Schwule Museum in Berlin. Die Etablierungsgeschichte eines Spezialmuseums [Unveröffentlichte Magisterarbeit, Ludwig-Maximilians-Universität München], 2006.

 

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