Prof. Dr. Dr. Dimitrij Davydov ist Jurist und Kunsthistoriker. Er ist Inhaber einer Professur für Verwaltungsrecht (Schwerpunkt Kulturverwaltungsrecht) an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW in Köln.

von Dimitrij Davydov

Einführung

Zur politischen Bewältigung von Kriegsfolgen gehört auch die Frage des öffentlichen Kriegstotengedenkens: An welchem Ort und auf welche Art soll an das Schicksal der Gefallenen erinnert werden? Wer trägt die Verantwortung für eine angemessene Bestattung der Kriegstoten – der eigenen und der des Gegners – und für die Pflege ihrer Gräber? Wie stellt man ein ungestörtes Gedenken sicher? Auch Jahrzehnte nach Kriegsende können Konflikte um ein „angemessenes“ Kriegstotengedenken aufflammen – sei es, dass bestimmte Erinnerungspraktiken oder -zeichen plötzlich Anstoß erregen (Davydov 2021: 326 und 329), sei es, dass umgekehrt ein unzureichendes Erinnern moniert wird.

Entwicklung der staatlichen (Kriegs-)Gräberfürsorge

Als staatliche Aufgabe blickt die Kriegsgräberfürsorge in Deutschland auf eine lange Tradition zurück. Einen Meilenstein stellt das Kriegsgräbergesetz vom 29. Dezember 1922 dar, das den Gräbern der „im Reichsgebiete bestatteten deutschen Krieger“ sowie der Militärangehörigen verbündeter und feindlicher Mächte aus dem Ersten Weltkrieg ein dauerhaftes Ruherecht einräumte und die Verantwortung für die Pflege solcher Gräber dem Reich und den Ländern übertrug. Im Laufe der Zeit änderten sich jedoch die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele und dementsprechend auch der vom Gesetz erfasste Personenkreis. So sicherte das nach dem Zweiten Weltkrieg beschlossene Kriegsgräbergesetz vom 27. Mai 1952, anders als die Vorgängerregelung, die dauerhafte Erhaltung nicht mehr nur der „Kriegergräber“, sondern – allgemeiner – der „Kriegsgräber“ ab. Zu den Kriegstoten, deren Gräber demnach das ewige Ruherecht genossen, zählten neben den Kriegsteilnehmern des Ersten Weltkriegs auch die deutschen Militärangehörigen, die im Zweiten Weltkrieg bei Kampfhandlungen getötet worden waren, in Gefangenschaft umgekommen oder an den Folgen von Kriegsverletzungen oder Gefangenschaft verstorben waren, ausländische Kriegsteilnehmer, die gefallen oder in Gefangenschaft gestorben waren, sowie deutsche und ausländische Zivilpersonen, die durch unmittelbare Kriegseinwirkung ihr Leben verloren hatten.

Die Gräber weiterer Personengruppen, insbesondere der politisch Verfolgten des NS-Regimes, waren im Schutzstatuts den Kriegsgräbern zunächst nicht gleichgestellt. Der Bund verpflichtete sich jedoch, die Kosten für die Unterhaltung auch dieser Gräber zu tragen, sofern die Länder die Sorge dafür freiwillig übernahmen. Mit dem Kriegsgräbergesetz von 1952 sollte den internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik nach der Genfer Konvention ebenso Rechnung getragen werden wie der Erkenntnis, dass die Kriegsgräberfürsorge nur auf Grundlage einer bundesweit einheitlichen Regelung praktikabel war. Weitergehende – erinnerungs- oder bildungspolitische – Ziele verfolgte das Gesetz nicht.

Dagegen dehnte das Gräbergesetz vom 1. Juli 1965 den Schutz auf die bislang nur fakultativ geschützten Gräber der Opfer nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen, der Opfer von Flucht und Vertreibung, der im Zweiten Weltkrieg verschleppten und dabei verstorbenen Deutschen, der in Internierungslagern verstorbenen Ausländer, der ausländischen Zwangsarbeiter und der in den Sammellagern nach Kriegsende verstorbenen heimatlosen Ausländer aus. Als eine weitere Gruppe kamen die Opfer der Flucht aus der Sowjetzone hinzu. Die erinnerungspolitische Zielsetzung trat im Zuge der abschließenden Gesetzesberatung deutlich zu Tage: Es sollte „die Erinnerung an die großen Katastrophen dieses Jahrhunderts“, an die „Grauen unserer jüngsten Vergangenheit“ und „die deutsche Not dieser Stunde“ beschwören, „an Grauen und Elend und unsagbares menschliches Fehlen“ und „an die Größe und beispielhafte Opferkraft des Menschen“ erinnern (Plenarprotokoll 1965: 8964).

Nach der Wiedervereinigung wurde die Bedeutung der Gräberfürsorge im Kontext der Aufarbeitung staatlichen Unrechts als Gesetzeszweck stärker als bisher in den Vordergrund gerückt. In der amtlichen Begründung zum Änderungsgesetz wurden Gräberstätten 1992 als „Mahnstätten“ und „Lernorte“ bzw. „Mahnmale gegen den Krieg, für den Frieden, für Versöhnung und Verständigung“ gewürdigt (Plenarprotokoll 1992: 10171 und 10173).

Eine weitere Akzentverschiebung hin zu einem mahnenden Totengedenken spiegelt die 2004 beschlossene Ergänzung des § 1 GräbG durch einen neuen Absatz 1 wider, dem zufolge das Gesetz das Ziel verfolgt, „der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft in besonderer Weise zu gedenken und für zukünftige Generationen die Erinnerung daran wach zu halten, welch schreckliche Folgen Krieg und Gewaltherrschaft haben“.

Täter-Opfer-Abgrenzung

Vor diesem Hintergrund sind aktuelle Kontroversen um die Anwendung des Kriegsopferbegriffs im Gräbergesetz zu sehen. Unterliegen die Gräber der an NS-Verfolgungsmaßnahmen oder Kriegsverbrechen Beteiligten im In- und Ausland dem gesetzlichen Schutz, wenn diese infolge von Kriegseinwirkungen zu Tode gekommen sind?

Der Ausschluss bestimmter Personen aus dem Anwendungsbereich des Gräberfürsorgerechts wurde erstmalig in § 1 Abs. 3 GräbG (1965) geregelt, wonach bei der Bestimmung der NS-Verfolgungsopfer Vorschriften des Bundesentschädigungsgesetzes entsprechende Anwendung fanden. Das beinhaltete, dass die vom NS-Regime strafrechtlich verfolgten Mitglieder der NSDAP und ihrer Gliederungen sowie andere Unterstützer des NS-Regimes aus dem Kreis der Verfolgungsopfer grundsätzlich ausgeschlossen waren (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 BEG). Eine Ausnahme bestand nur für nominelle NSDAP-Mitglieder, die das NS-Regime bekämpft hatten und deshalb verfolgt worden waren. Eine vergleichbare Regelung für Kriegsopfer wurde nicht ins Gesetz aufgenommen, mit der Folge, dass NS-Täter, die bei Gefechten getötet worden waren, in Gefangenschaft gestorben oder bei alliierten Luftangriffen ums Leben gekommen waren, als Kriegsopfer zu behandeln waren bzw. immer noch behandelt werden.

In einer Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags wird eine einschränkende Auslegung des Kriegsopferbegriffs vorgeschlagen: Der Zweck des Gräbergesetzes gelte nicht primär dem Gedenken an Kriegstote, sondern an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft; nachweisliche Kriegsverbrecher seien aber keine Opfer (Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste 2019). Dagegen steht die Bundesregierung dem Gedanken, dass Gräber von NS-Tätern als „gedenkunwürdig“ aus dem Anwendungsbereich des Gräbergesetzes herausfallen sollten, bislang ablehnend gegenüber. Sie geht davon aus, dass der Erhalt von Kriegsgräbern ein mahnendes Gedenken für zukünftige Generationen bezweckt, „wobei die Vielzahl der Grabsteine als Mahnmale für alle Zukunft im Wortsinne vor Augen führen, dass Krieg und Staatsterror sehr oft mit einem gewaltsamen und häufig viel zu frühen Tod einhergehen“ (Bundesregierung 2022). Die Bundesregierung vertritt damit einen „neutralen“ Kriegsopferbegriff, bei dem allein die Todesumstände und nicht die individuelle Verantwortung des Toten im Vordergrund stehen.

Eine einschränkende Auslegung des Opferbegriffs erscheint auf den ersten Blick plausibel. Dafür spricht, dass die Ausdehnung des Gräbergesetzes auf die NS-Verfolgungsopfer auch dem Wunsch geschuldet war, die missachtete Würde dieser Opfer nach ihrem Tod symbolisch wiederherzustellen. Diesem Anliegen wird eine rechtliche Gleichbehandlung der Gräber von Tätern und Opfern nicht gerecht. Gegen die Einschränkung spricht aber, dass der Gesetzgeber, anders als etwa im Falle des Bundesversorgungsgesetzes (vgl. § 1a BVG), nicht alle, sondern nur bestimmte NS-Täter aus dem Anwendungsbereich des Gräbergesetzes ausgeschlossen hat. Ein weitergehender Ausschluss würde daher eine Anpassung des Gesetzes erfordern.

Dimitrij Davydov (rechts) im Gespräch mit Anuschka Tischer und Vasco Kretschmann. © Christiane Deuse

Fazit

Als staatliche Aufgabe hat die (Kriegs-)Gräberfürsorge seit 1945 eine beachtliche Entwicklung vollzogen: Während ursprünglich die Kriegsfolgenbeseitigung und die Wahrnehmung humanitärer Pflichten im Fokus des Gesetzgebers standen, gewannen im Laufe der Zeit erinnerungs- und bildungspolitische Aspekte an Bedeutung. Vor diesem Hintergrund kann die rechtliche Gleichbehandlung von Tätern und Opfern als eine Relativierung des Verfolgungsschicksals von letzteren missverstanden werden. In der Praxis lässt sich diesem Eindruck allenfalls durch eine kritische Kontextualisierung entgegenwirken.

 

Quellen und Literatur

Davydov, Dimitrij: Pietätskonflikte und Pietätsschutz in der Kulturverwaltung, in: Verwaltungsrundschau, Jg. 67 (2021), H. 10, S. 325–331.

Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll vom 7.4.1965.

Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll vom 12.11.1992.

Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste: Kurzinformation „Gräbergesetz und Kriegsverbrecher“ vom 7.6.2019, WD 2 – 3000-073/19.

Deutscher Bundestag, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE, BT-Drucks. 20/407 vom 12.1.2022.

 

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