Pieces of Memory. Children in the Shoah and us
von Jule Henninger und Heinz Högerle
Im Austauschprojekt „Pieces of memory. Children in the Shoah and us“ haben deutsche und israelische Jugendguides die Biografien jüdischer Kinder rekonstruiert. Die deutschen Guides stammten aus mehreren Mitgliedsinitiativen des Gedenkstättenverbundes Gäu-Neckar-Alb; auf israelischer Seite bot sich ein Austausch mit Student:innen aus dem Holocaust Studies Program des Western Galilee College in Akko an. Sie betreuen Kinder, die das Kindermuseum Yad LaYeled des Kibbuz Lochamei Hageta’ot besuchen. Die Guides werden in ihrer Ausbildung dazu befähigt, selbständig zu forschen und ihre Kenntnisse an andere weiterzugeben. Sie engagieren sich so in der Erinnerungskultur vor Ort.
Die Projektidee
Im Dezember 2019 entstand die Idee, im Rahmen eines gemeinsamen Rechercheprojekts zu Kindern in der Shoah einen Austausch deutscher und israelischer Jugendguides zu organisieren. Diese arbeiteten überwiegend selbstbestimmt und wurden dabei tatkräftig von Partner:innen unterstützt: durch die Leiterin des Projektes, Jule Henniger, die selber eine Ausbildung als Jugendguide absolviert hat und Israel gut kennt, sowie in Deutschland durch Leonie Freudenfeld, Kulturwissenschaftlerin und Jugendguide der Geschichtswerkstatt Tübingen, weiterhin in Israel durch Ariel Koriat, der im Western Galilee College in Akko Student:innen betreut. Sie waren vor allem bei der Recherchearbeit behilflich und stellten Kontakte zu Überlebenden der Shoah her. Die Mitgliedsorganisationen des Gedenkstättenverbundes sowie die israelischen Projektträger stellten Bild- und Archivmaterial zur Verfügung. In dieser Besetzung konnte das Projekt „Pieces of memory. Children in the Shoah and us“ im Oktober 2020 starten.
Hoher Dokumentationswert: Die Geschichte unbekannter Fotos
Die israelischen und deutschen Jugendguides rekonstruierten die Biografien von 32 Menschen, die in der Shoah Kinder und Jugendliche waren. Dafür recherchierten sie Bilder und Dokumente in Gedenkstätten, Archiven sowie im Kontakt zu Überlebenden der Shoah und/oder mit deren Nachkommen.
Welch immenser Aufwand hinter einer solchen Recherche steckt, illustriert ein Beispiel: In Hechingen recherchierte Nicole Osikowski die Schicksale von Manef Biran (Manfred Bernheim) und Joel Eppstein (Martin Eppstein). Beide wollten als Jugendliche NS-Deutschland verlassen. Sie schlossen sich 1938 einem Hachschare-Gut in Sennfeld (Baden) an, wo junge Menschen auf die Ausreise nach Palästina vorbereitet wurden. Dort wurden sie zu Zionisten. Nach der Pogromnacht 1938, in der das Hachschara-Gut von nationalsozialistischen Schlägertruppen gewaltsam aufgelöst wurde, konnten sie mit anderen Jugendlichen zunächst nach England fliehen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie Mitglieder des Kibbuz Hama’apil in Israel. Bei Shlomit Zemach, der Tochter von Joel Eppstein, fanden sich in einem Album ihres Vaters Fotos, die die Stationen der Jugendlichen dokumentieren. Darunter waren bisher nicht bekannte Bilder vom Hachschara-Gut in Sennfeld, von der Arbeit Joel Eppsteins in England, von seiner Internierung auf Zypern und von seiner späteren Arbeit im Kibbuz in Israel. Dieser Fund wurde möglich durch die Vermittlung von Judy Temime, der Leiterin des Archivs in Shavei Zion.
Geschichten erzählen in Interviews und entlang von Bildern
Insbesondere die israelischen Jugendguides arbeiteten im direkten Kontakt mit Überlebenden der Shoah, die nach 1945 in das britische Mandatsgebiet Palästina und ab 1947 ins neue Israel gekommen waren. Die Jugendguides konnten sie persönlich besuchen und interviewen. Die Dokumentation dieser Gespräche ist stark durch die Berichte der Überlebenden geprägt, die mit einzelnen Bildern ergänzt werden. Während die Geschichten der deutschen Jugendguides vor allem über Bilderstrecken erzählt werden, dominiert bei den israelischen Biografien die persönliche Erzählung. Zusätzlich entstanden in Israel sechs professionell gefilmte Interviews von je über einer Stunde Länge.
Die deutschen Jugendguides konnten drei professionell gefilmte Langinterviews aufnehmen. Unter anderem mit Pavel Hoffmann in Reutlingen, der als Kind mit seiner Mutter ins KZ-Ghetto Theresienstadt kam, und mit Dr. Fredy Kahn in Tübingen, der als Kind von Shoaüberlebenden von den Erlebnissen seiner Eltern geprägt wurde.
Ergebnisse: Begegnung der Jugendguides und dreisprachige Projekt-Website
Zwar konnte aufgrund der Reiseeinschränkungen während der COVID-19-Pandemie das ursprünglich geplante Treffen der Jugendguides in Israel nicht stattfinden; stattdessen wurde für Oktober 2021 ein Treffen in Deutschland vereinbart, das zum Höhepunkt des Projektes wurde. In acht intensiven Tagen des persönlichen Austauschs zeigten die deutschen Jugendguides ihren israelischen Freund:innen auch die Gedenkstätten in der Region Gäu-Neckar-Alb, an denen sie aktiv sind. Zudem entstanden Interviews über die Erfahrungen der Jugendguides während der Projektarbeit. Als Projektergebnis ist eine dreisprachige Website (englisch, deutsch, hebräisch) entstanden, auf der die intensive Arbeit der Jugendguides nun dauerhaft dokumentiert ist.
Drei der Zeitzeug:innen sind während des Projekts oder kurz danach verstorben. Bald wird es nicht mehr möglich sein, mit Überlebenden der Shoah zu sprechen. Dieser Umstand verdeutlicht die Bedeutung des Recherche- und Begegnungsprojekts „Pieces of memory“. Dank der Arbeit der Jugendguides sind die Geschichten der Zeitzeug:innen nun für alle Interessierten mehrsprachig verfügbar. Zudem kann die Website zukünftig mit weiteren Geschichten von Menschen, die als Kinder oder Jugendliche die Shoah erleben mussten, ergänzt werden.
Projektname: Pieces of Memory
Homepage: https://www.piecesofmemory.com/de
Projektträger:
Holocaust Studies Programm des Western Galilee College in Israel
Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb e.V.
Projektleitung: Jule Henninger
Social Media:
Facebook: https://www.facebook.com/piecesofmemory
Instagram: https://www.instagram.com/piecesofmemory_/
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- 21 Dez 2022 - 11:12