Deutsch-Israelische Jugendbegegnung mit Nebenwirkungen
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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel Sie müssen angemeldet sein, um das Benutzerprofil zu sehen |
Von Silke Polster
Die Aula der Gesamtschule Iserlohn ist gut gefüllt. Die 10., 11. und 12. Klassestufe sitzen erwartungsvoll auf ihren Stühlen, den Blick auf die Leinwand auf der Bühne gerichtet. Vorgestellt wird an diesem Vormittag ein Deutsch-Israelischer Jugendaustausch, zu dem potentielle Teilnehmerinnen und Teilnehmer eingeladen werden sollen. Als Organisatorin desselbigen ist es bereits die 4. Schule in der ich auf „Werbetour“ für dieses Projekt bin. Die Schülerinnen und Schüler sehen Bilder und Kurzvideos vorangegangener Austausche. Sie bekommen Informationen zum Land und sind fasziniert beim Anblick tanzender, sich umarmender, nachdenklicher und weinender Jugendlicher. Sie sehen Berlin und Tel Aviv, sie sehen das Meer, die Wüste und die Berge des Sauerlands. Sie sehen die Gedenk- und Bildungsstätte „Haus der Wannseekonferenz“, die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen, die Stelen des Denkmals für die ermordeten Juden Europas und Yad Vashem. Und sie sehen immer wieder eine Gruppe von jungen Frauen und Männern die das Zusammensein offensichtlich sehr genießen. Und es ist nicht zu unterscheiden wer aus Deutschland und wer Israel kommt, oder eben jüdisch oder nichtjüdisch ist.
Wie alles begann
Mit 30 Jahren entschied ich mich für einen einjährigen Freiwilligendienst in Israel. Während dieser Zeit traf ich zahlreiche andere deutsche Freiwillige, meist viel jünger als ich. Beim Nachfragen erzählten nicht wenige, dass ihr Interesse am Land, dessen Menschen und Geschichte durch einen deutsch-israelischen Jugendaustausch geweckt wurde.
Nach meiner Rückkehr aus Israel begann ich als Jugendbildungsreferentin bei der Evangelischen Akademie Iserlohn zu arbeiten. Geprägt von eigenen Erfahrungen und die Berichte der jungen Freiwilligen noch im Ohr, startete ich mit den Vorbereitungen für einen eigenen Austausch im Rahmen meiner Tätigkeit. Der Kontakt zu ConAct (Koordinierungszentrum für Deutsch-Israelischen Jugendaustausch) war schnell hergestellt. Bei dem dort angebotenen Match Making Seminar wurde ich mit den Kollegen des Youth Department von Rishon Le Zion „gematcht“. Und so entstand eine Partnerschaft die jährlich zwei Begegnungen, jeweils in beiden Ländern hervorbrachte.
Aller Anfang ist schwer
Die erste Begegnung fand 2004 statt. Der Beginn der 2. Intifada im Jahr 2000 und die immer noch fast tägliche Berichterstattung darüber, hatte zur Folge, dass es sehr schwer war Jugendliche bzw. deren Eltern für einen Austausch zu begeistern. 2004 starteten wir mit sechs deutschen Teilnehmenden. Entsprechend konnten auf israelischer Seite auch nur sechs Jugendliche teilnehmen, obwohl dort die Nachfrage sehr groß war. Die euphorischen Berichte der Zurückgekehrten sorgten dann in den nächsten Jahren für volle Teilnehmendenzahlen. Geworben wurde in allen Schulen der Umgebung. Die Unsicherheit bezüglich der Sicherheitslage in Israel war sehr hoch, sodass das persönliche Einladungen notwendig war. Bei einem Informationsabend konnten sich dann Jugendliche und Eltern genauer über das Projekt informieren. Ein geladener Nahostexperte stand für Rückfragen zur Verfügung. Von israelischer Seite war das Interesse immer sehr groß an einem deutsch israelischen Jugendaustausch teilzunehmen.
Das Besondere an einer deutsch-israelischen Jugendbegegnung
Wenn junge Deutsche und Israelis sich treffen ist das eine besondere Situation. Die Geschichte in den Jahren zwischen 1933 und 1945 und der Holocaust spielen immer eine Rolle bei den Begegnungen. Neben dem Kennenlernen des Alltags im jeweils anderen Land und der Auseinandersetzung mit dessen gesellschaftlichen und kulturellen Besonderheiten, erhält das Erinnern und Gedenken einen zentralen Stellenwert. Es ist beeindruckend wie Jugendliche zusammen auf dem historischen Boden eines Konzentrationslagers stehen, sich an den Händen halten und eine gemeinsame Zeremonie gestalten. Hat man vorher noch gelacht, gesungen und getanzt, liegt man sich jetzt in den Armen und versucht das Unbegreifliche gemeinsam zu verarbeiten.
Den deutschen Teilnehmenden wird schlagartig klar, dass ihre israelischen Freunde die Nachkommen der Opfer sind und sie in der Nazidiktatur dem Tode geweiht waren. Dass sie als Deutsche zu dem Volk gehören, deren Vorfahren für diesen Genozid verantwortlich waren. Und sie begreifen in diesen Augenblicken, dass sie nicht schuld sind, aber eine große Verantwortung tragen, dass so eine Katastrophe nie wieder passieren kann. Der gemeinsame Besuch von Gedenkstätten trägt immer dazu bei, dass die im Schulunterricht oft gehörte Geschichte plötzlich konkret wird. Nicht selten flossen Tränen. Bei den Israelis aus Trauer und bei den Deutschen aus Scham. Auf hebräisch und deutsch gelesene Texte und gesungene Lieder schafften eine Verbindung untereinander, die weit über den Jugendaustausch hinaus geht. Für die meisten Teilnehmenden ist diese Begegnung nachhaltig in ihrem Leben. Nicht selten bleiben Freundschaften bestehen und weitere Besuche folgen. Teilweise sogar zwischen den Eltern der jeweiligen Gastfamilien.
Eine Begegnung für´s Leben
Viele Jugendliche lassen die gemachten Erfahrungen nicht mehr los. Weitere privat organisierte Besuche in Israel und Deutschland folgen. In Iserlohn begannen ehemalige Teilnehmende sich im Projekt „Stolpersteine“ zu engagieren. Sie organisierten eine Ausstellung zu ehemaligen jüdischen Familien im Rathaus. Außerdem hielten sie Vorträge an Schulen über ihre Begegnung und beteiligten sich bei der Werbung für die darauffolgenden Austausche. Nicht selten entscheiden sich junge Männer und Frauen für einen Freiwilligendienst in Israel, wie ich damals selbst bei meinem Aufenthalt in Israel festgestellt hatte.
Zurück zur Gesamtschule Iserlohn: David aus der 12. Klasse kam nach der Informationsveranstaltung auf mich zu. Er wollte sich gerne einbringen, konnte aber den Austausch nicht finanzieren, da er allein lebte. Eine Lösung durch die evangelische Akademie wurde gefunden. Die Jugendlichen wohnten in den Gastfamilien ihrer jeweiligen Partner. So stellte er die kleinste Gastfamilie dar, organisierte alles selbstständig und war einer der engagiertesten deutschen Teilnehmer. Nach der Schule entschied er sich für einen Freiwilligendienst in Israel. Auch hier halfen Kolleginnen und Kollegen der Akademie, die ihn inzwischen kannten, finanziell zu unterstützen. Er arbeitete in einem Seniorenheim für Holocaustüberlebende und in einem Archiv. Nach diesem Jahr studierte er Betriebswirtschaftslehre und möchte später gerne beruflich im internationalen Bereich einsteigen, am liebsten mit Israel.
David steht für viele junge Leute die an einem deutsch-israelischen Jugendaustausch teilgenommen haben. Diese jeweils 10 Tage sensibilisieren und öffnen den Blick. Und sie gestalten eine Beziehung zwischen zwei Völkern, die inzwischen nicht nur besonders, sondern auch herzlich normal geworden ist.
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- 12 Mär 2014 - 08:21