Liebe Leser*innen,
in den Ländern Ostmitteleuropas verändert sich die Erinnerungspraxis an den Widerstand gegen den Staatssozialismus und die kommunistischen Diktaturen derzeit stark. Erinnerungskulturen sind generationell und gesellschaftlich bedingt immer fluide, aber mit zunehmendem Abstand zu den Umwälzungen von 1989/90 bricht sich in einigen ostmitteleuropäischen Ländern eine Verklärung der sozialistischen Ära Bahn. Zugleich rücken nationale Narrative, die zur Legitimierung der aktuellen Politik dienen, in den Vordergrund.
Die Demokratisierungsprozesse der 1990er- und 2000er- Jahre setzen sich nicht bruchlos fort, sondern werden mancherorts durch teils autokratische Strukturen ersetzt. Zivilgesellschaftliche wie erinnerungskulturelle Akteure werden in ihren Meinungsäußerungen und anderem politischen Handeln eingeschränkt, ihr Engagement teils verboten.
Auch der russische Angriffskrieg auf die Ukraine verändert, wie heute in Ländern Ostmitteleuropas an den Widerstand gegen den Staatssozialismus erinnert wird. Diese starken Dynamiken innerhalb der Erinnerungskultur geben ebenso wie geschichtspolitische Interventionen Anlass, aus verschiedenen Perspektiven differenziert auf diese Region und vergleichend auf ihre Erinnerungskulturen zu schauen.
Florian Peters spannt im Gespräch mit dem LaG-Magazin ein breites wie facettenreiches Panorama auf. Er beleuchtet einige Besonderheiten der Region und führt die Leser*innen durch die zeitlichen Phasen des Widerstandes gegen den Staatssozialismus.
Peter Oliver Loew erörtert die für Europa beispiellose Intensität und Kontinuität des polnischen Widerstandshandelns im 20. Jahrhundert. Dabei zeigt er, inwiefern Polen in mancherlei Hinsicht eine besondere Rolle in Ostmitteleuropa spielt(e).
Peter Jašek zeichnet am Beispiel der Tschechoslowakei nach, welch erbitterte Kontroversen noch heute um das Erinnern an den Widerstand gegen den Staatssozialismus geführt werden. Der Text erscheint auf Englisch und auf Deutsch.
Árpád von Klimó vergegenwärtigt, dass mit Victor Orbán, der sich prorussisch äußert und sich gegen die Unterstützung der Ukraine ausgesprochen hat, heute jemand an der Spitze eines autoritären Regimes steht, der sich einst im antisowjetischen Widerstand gegen den Staatssozialismus engagierte.
David Feest zeigt auf, wie im sogenannten „Phosphoritkrieg“ die Umweltbewegung in Estland als Katalysator einer nationalen Mobilisierung gegen die sowjetische Herrschaft gewirkt hat.
Nationale Geschichte wird oft in Denkmälern symbolisiert. Stephanie Beetz gibt einen Einblick, wie sowjetische Denkmäler in Ostmitteleuropa abgebaut wurden, was mit ihnen passierte und wie Denkmäler als Gegenstand der historisch-politischen Bildung betrachtet werden können.
Sabrina Pfefferle stellt Frauen aus der polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidarność vor und geht der Frage nach, warum deren Rolle bis heute unterbelichtet ist. Sie beschreibt, warum sich Filme, in deren Zentrum der Widerstand von engagierten Frauen steht, sich für eine erinnerungspolitische Annäherung an das Thema eignen.
Wir bedanken uns herzlich bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur für die Förderung dieser Ausgabe.
Das nächste LaG-Magazin erscheint voraussichtlich am 30. Oktober. Es widmet sich ausgehend vom #rememBARCAMP, einem Barcamp für Mitarbeitende der digitalen Arbeit in Gedenkstätten und Erinnerungsorten, das im Juli 2024 in der Gedenkstätte Hadamar stattfand, dem aktuellen Stand der Digital Holocaust Memory.
Und nun wünschen wir allen Leser*innen eine interessante Lektüre!
Ihre LaG-Redaktion