Heute kleben sich immer wieder junge Menschen, von der Presse „Klimakleber“ genannt, auf die Straße. Sie legen den Verkehr lahm, um auf den menschengemachten Klimawandel hinzuweisen und politisches Handeln einzufordern. Es zeigt sich: Protestkulturen und -formate wandeln sich im Laufe der Zeit. Früher waren es in der alten Bundesrepublik überwiegend angemeldete Großdemonstrationen, Landbesetzungen – wie etwa die „Republik Freies Wendland“ der Anti-Atom-Protestierenden – oder Schornsteinbesteigungen von Greenpeace und Robin Wood. Diese gestalteten sich nicht immer friedlich, wie die „Schlacht um Grohnde“ 1977 oder die gewaltvollen Auseinandersetzungen mit der Polizei um Wackersdorf und Brokdorf in den 1970er und 1980er Jahren – Orte, an denen ein Atomkraftwerk oder eine atomare Wiederaufbereitungsanlage gebaut werden sollten – zeigen.
Wie sah jedoch Protest in einem unfreien Land wie der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) aus? Konnte es ihn überhaupt geben, und wenn ja, welche Formen nahm er an? Selbst eine angemeldete Demonstration konnte in der DDR als „Zusammenrottung“ oder ähnliches von den Sicherheitsbehörden wie der Volkspolizei oder dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) bewertet werden und war somit strafbar. Daher galt es im Rahmen dieser Diktatur, die der Meinung war, Umweltschutz auf ihre sozialistische Weise gut regeln zu können, andere kreative Mittel und Wege zu finden, um Umweltprobleme erst einmal zu thematisieren und damit das Informationsmonopol des Staates aufzubrechen.
Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre gründeten sich immer mehr Umweltgruppen unter dem schützenden Dach der evangelischen Kirche, die ihnen den nötigen, gleichwohl begrenzten Freiraum bot. Der Staat reagierte darauf, indem er seinerseits mit der Gesellschaft für Natur und Umwelt (GNU) eine offizielle Massenorganisation im Rahmen des Kulturbunds der DDR schuf. Dem Historiker Christian Möller zufolge gehörten der GNU zuletzt etwa 60.000 Mitglieder an, während die alternativen Umweltaktiven auf ca. 550 bis maximal 1.500 Personen geschätzt werden können (Möller 2020: 287, 305f.).
Eines der größten und sichtbarsten Umweltprobleme, mit dem sich die DDR herumschlug, war die Luftverschmutzung. Die Kohlekraftwerke waren zusehends extrem veraltet. Filtertechnologie, um schadhafte Schwefeldioxide und Ruß aus der Luft herauszuhalten, gab es kaum. Laut dem ersten und letzten veröffentlichten Umweltbericht der DDR stieß der Staat im Jahr 1989 etwa 2,2 Mio. Tonnen Staub und 5,2 Mio. Tonnen Schwefeldioxid in die Luft (Institut für Umweltschutz 1990: 7). Weiße Wäsche, die in Leipzig draußen hing, wurde oftmals vom Ruß schwarz gefärbt und musste noch einmal gewaschen werden. Die Hustenkrankheit Pseudo-Krupp bei Kindern war keine Seltenheit. Doch wie dagegen in einem Land protestieren, das offiziell verkündet, alles sei in Ordnung?
Dementsprechend gestaltete der Protest sich oft unauffällig: So wurde etwa von einer Initiative aus Dresden 1986 die Aktion „Saubere Luft für Ferienkinder“ ins Leben gerufen. Hier wurden Schulkinder aus dem industriell stark umweltbelasteten Süden der DDR in den weniger belasteten Norden zur Erholung geschickt. 1987 sammelte das Christliche Umweltseminar Rötha Unterschriften gegen die Luftverschmutzung aus dem Braunkohlekraftwerk Espenhain. Da Unterschriften aber nicht einfach so gesammelt werden durften, verbanden sie ihren überregionalen Appell mit einer Spendenaktion: „Eine Mark für Espenhain!“ fand, obwohl ebenfalls nicht genehmigt, ca. 100.000 Spender*innen und machte darüber auf die Luftverschmutzung aufmerksam. Weitere friedliche Protestaktionen, denen die Staatsmacht relativ wenig entgegensetzen konnte, waren Fahrradkorsos, Baumpflanzaktionen oder auch der Aktionstag „Mobil ohne Auto“.
Schwieriger, als mit solchen Aktionen Aufmerksamkeit für das Thema zu erregen, war es mit der Informationsgewinnung. Der Staat hielt sich bedeckt. Informationen zur Umwelt waren spätestens seit 1982 als „geheim“ eingestuft. Ihre Sammlung, Veröffentlichung und Verbreitung konnte als „Geheimnisverrat“ geahndet werden. Dennoch trugen die kirchlichen Umweltgruppen Informationen zusammen und veröffentlichten diese in selbst herausgegebenen Publikationen als sogenannten Samisdat. Denn Daten waren die Grundlage für ihre Bemühungen, in der Gesellschaft etwas zu verändern.
Michael Beleites: Pechblende. Der Uranbergbau in der DDR und seine Folgen. © Michael Beleites
Die Forderungen der DDR-Umweltschutzgruppen unter dem Dach der evangelischen Kirche beschränkten sich nicht auf Umweltthemen. Sie schlossen auch Meinungs-, Versammlungs-, Informations- und Reisefreiheit ein. Als wohl wichtigste Zentren mit eigenen Veranstaltungen und Publikationen sind die Berliner Umweltbibliothek, das grün-ökologische Netzwerk Arche und das kirchliche Forschungsheim in Wittenberg zu nennen. Hier entstanden wissenschaftlich unterfütterte Untersuchungen wie das „Erfurter Filterpapier“ (Grün-ökologisches Netzwerk Arche/Evangelische Studentengemeinde), das sich mit der Luftverschmutzung auseinandersetzte, oder „Pechblende“, eine heimlich zusammengetragene Studie zum Uranbergbau in der DDR von Michael Beleites.
Eine wichtige Informationsquelle für die Umweltbewegten in der DDR waren sicherlich die westdeutschen Grünen. Doch geriet über diesen Kontakt und ihre Themensetzung manch spezifisches DDR-Umweltproblem wie der Stadtkernzerfall oder die Landwirtschaft eher aus dem Blick. Die 1980 in der Bundesrepublik neugegründete Partei Die Grünen galt vielen Engagierten in der DDR als Vorbild für Aktionen und Aktionismus und sie lieferte Informationen mittels Zeitungen und Büchern sowie materielle Unterstützung. Auch die Organisation Greenpeace unterstützte und überließ etwa der Arche einen Messkoffer, damit diese selbst Daten zur Verschmutzung von Gewässern erheben konnten.
Ebenfalls wichtig war der Kontakt zum West-Fernsehen. Unter den DDR-Umweltgruppen war dieser mediale Weg allerdings nicht ganz unumstritten. Einerseits erhöhte diese Art der Öffentlichkeit die Gefahr einer Verhaftung. Andererseits wurde so nicht nur die westdeutsche Bevölkerung informiert, denn ARD und ZDF strahlten bis weit in die DDR hinein aus und konnten von der dortigen Bevölkerung empfangen werden. Das Fernsehen mit seiner Reichweite konnte also deutlich mehr Menschen über den Zustand der Umwelt in der DDR aufklären als es der Samisdat vermocht hätte.
Hauptsächlich aufgrund der beschränkten Reisefreiheit blieb der Kontakt zu den Grünen und anderen westdeutschen Gruppen jedoch sehr einseitig, sporadisch und vor allem auf die Besuche aus dem Westen angewiesen. Ansatzweise besser sah es mit der Vernetzung im osteuropäischen Raum aus. Zum Beispiel kamen über die Organisation „Greenway“ osteuropäische Umweltgruppen auch mit Aktiven aus den Niederlanden und der Bundesrepublik zusammen. Die Treffen wurden teilweise als Sprachseminare getarnt. Zentren dieses Netzwerkes waren Polen und Ungarn. Allerdings wurden in der DDR aktive Einzelpersonen zuweilen an der Ausreise und Teilnahme an solchen Veranstaltungen gehindert. Das bedeutete keineswegs die vollkommene Isolierung von DDR-Umweltgruppen, jedoch eine starke Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit und ihres Aktionsradius. Deshalb waren sie auf Personen angewiesen, die Informationen und anderes überbrachten. Diese Rolle spielte etwa der polnische Wissenschaftler Dr. Zygmunt Fura aus Krakau, der auf seinen beruflichen Reisen zwischen Ost und West auch als eine Art Überbringer von Nachrichten fungierte. Die Situation der im Osten Engagierten blieb dennoch isoliert. Daraus resultierte schließlich eine – im November 1985 beim zweiten Berliner Öko-Seminar, einer von unterschiedlichen Umweltgruppen organisierten Veranstaltungsreihe – gewählte Formulierung: Man verstehe sich innerhalb einer weltweit agierenden Bewegung als „selbständige in der DDR wirkende Gruppierung“ (Basispapier zur Ökologiediskussion auf dem 2. Berliner Öko-Seminar 1985: Bl. 25).
Nach der Wiedervereinigung gestaltete sich das Zusammengehen der unterschiedlichen Gruppen in Ost und West schwierig oder wurde gar nicht erst vollzogen, da manche eigenständig bleiben wollten. Die noch Anfang 1990 gegründete Grüne Liga ist beispielsweise nur in den neuen Bundesländern und Berlin aktiv. Das erfolgreichste Beispiel für ein gelungenes Zusammengehen zwischen Ost und West war sicherlich der Zusammenschluss zwischen dem westdeutschen Bund für Vogelschutz (DBV) und dem vor allem aus GNU-Gruppen heraus neugegründeten Naturschutzbund der DDR zum Naturschutzbund Deutschland e.V. (ab 1992 NABU). Erst die Bildung neuer Bündnisse – wie etwa Extinction Rebellion oder die Letzte Generation – vereint junge Generationen aus Ost und West mehr als dreißig Jahre nach der Einheit Deutschlands. Dazu wandelten sich die Themen: Von den sichtbaren industriellen Umweltproblemen wanderte der Fokus immer mehr zur schwerer fassbaren Klimakrise. Die Frage ist nun, ob die Aktivisten und Aktivistinnen der älteren Jahrgänge die neuen Protestkulturen und anderen Schwerpunktsetzungen mittragen.
Quellen- und Literaturverzeichnis
Bestände Robert Havemann Gesellschaft (RHG):
Basispapier zur Ökologiediskussion auf dem 2. Berliner Öko-Seminar, 8.–10.11.1985, in: RHG, SWV, Bd. 2/1, Bl. 11–26.
Das Erfurter Filterpapier, hrsg. von Matthias Voigt und Andreas Koth, „Zentralorgan“ des 2. Ökumenischen Luftseminars vom 22. bis 24. September 1989 in Erfurt, in: RHG, PS 034.
Ault, Julia E.: Saving Nature Under Socialism. Transnational Environmentalism in East Germany, 1968–1990, Cambridge 2021.
Beleites, Michael: Pechblende. Der Uranbergbau in der DDR und seine Folgen, Wittenberg 1988.
Beleites, Michael: Dicke Luft: Zwischen Ruß und Revolte. Die unabhängige Umweltbewegung in der DDR (Schriftenreihe des Sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen 16), Leipzig 2016.
Institut für Umweltschutz (Hrsg.): Umweltbericht der DDR. Information zur Analyse der Umweltbedingungen in der DDR und zu weiteren Maßnahmen, Berlin 1990.
Kirchhof, Astrid M.: „For a decent quality of life“: Environmental groups in East and West Berlin, in: Journal of Urban History Jg. 4. (2015), H. 4, S. 625–646.
Lange, Sophie: Deutsch-deutsche Umweltpolitik 1970–1990. Eine Verflechtungsgeschichte im internationalen Kontext des Kalten Krieges (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte), Oldenburg 2023 (Erscheinungsdatum 13. November 2023).
Möller, Christian: Umwelt und Herrschaft in der DDR. Politik, Protest und die Grenzen der Partizipation in der Diktatur (Kritische Studien zur Geschichtswissen-schaft 234), Göttingen 2020.
Steinmetz, Anne-Kathrin: Landeskultur, Stadtökologie und Umweltschutz. Die Bedeutung von Natur und Umwelt 1970 bis 1989. Eine deutsch-deutsche Betrachtung, Berlin 2017.