Das gut gemeinte gut machen
Von Katinka Steen und Mirko Wetzel
Die Frage nach den Möglichkeiten kunst- und kulturpädagogischer Ansätze für das historische Lernen ist nicht neu. Zu sagen gibt es heute mehr denn je. Wie Kunstwerke zu einer Annäherung an die Geschichte der nationalsozialistischen Massenverbrechen beitragen können, beschrieb Christian Angerer bereits 2006 in seiner „Didaktik ästhetischer Darstellungen des Holocaust“. Kunst sei in der Lage das Unaussprechliche des Holocaust durch symbolische Andeutungen darzustellen. Denn ein leerer Raum vermag mitunter deutlicher und drastischer zu vermitteln, als die detaillierteste Faktensammlung.
Die Chance einer solchen Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte über Repräsentationen des Undarstellbaren liegt gerade darin, dass Kunstwerke durch ihre Form eine ästhetische Distanz zur Geschichte bewahren und so Raum für Reflexion lassen. Die Darstellung wirkt wie ein „Filter vor der Realität“, der eine Bearbeitung des Schreckens ermöglicht. Zugleich aber bleibt ein Ausgang offen, um, wie Angerer schreibt, beim Heraustreten aus der ästhetisch vermittelten Identifikation wieder Abstand und damit Raum zu gewinnen über das Vorgestellte und Empfundene nachzudenken. Sich Gedanken zu machen auch über das Kunstwerk, seine Form, seine Angemessenheit und die dem Kunstwerk zu Grunde gelegten Deutungen und Sinnkonstruktionen.
Dem kommt insofern eine große Bedeutung zu, als dass Konzepten der Gedenkstättenpädagogik häufig die Sensibilität für die Wirkmächtigkeit der Gestaltung des Gedenkorts auf das vermittelte Geschichtsbild fehlt. Im Zugang über Kunstwerke liegt die Möglichkeit, den Ort des Gedenkens, seine Narrative und Leerstellen als ein Ergebnis politischer und kultureller Entwicklungen kritisch zu betrachten und in die Auseinandersetzung mit der Geschichte einzubeziehen.
Bei Jugendlichen kann so das Bewusstsein geweckt werden, dass die Analyse von ästhetischen Produkten der Erinnerungskultur nicht nur statthaft, sondern notwendig ist. Diese Form historisch-ästhetischer Bildung eröffnet über die Arbeit mit Kunstwerken einen Zugang zur NS-Geschichte und vermeidet dabei Überwältigung. Stattdessen werden Reflexionsräume geöffnet, die die Geschichte der Erinnerung und ihre ästhetischen Ausdrücke mit einbeziehen.
Im Rahmen des Projekts kunst – raum – erinnerung werden in enger Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern neue Workshopformate entwickelt, die über die Rezeption und Reflexion bestehender Kunstwerke hinausgehen und in denen Jugendliche selbst künstlerisch tätig werden. Die Teilnehmer/innen sollen sich durch die selbsttätige Verarbeitung in Beziehung zur vermittelten Geschichte setzen und diesem Bezug in eigenen kreativen Arbeiten Ausdruck verleihen.
Für die pädagogische Arbeit ist dies ein Gewinn, da dadurch die Geschichtsbilder und Interessen der Jugendlichen, aber auch die Gegenwartsbezüge, die sie herstellen, sichtbar und somit kommunizierbar werden. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und die Erinnerung an die Verbrechen, die Jugendliche sonst oft als verordnet empfinden, wird im wahrsten Sinne des Wortes in ihre Hände gelegt und von ihnen, entlang ihrer Fragen gestaltet.
Wie bereichernd ein solcher Ansatz sein kann, zeigen die in den Workshops auftauchenden Fragestellungen und geführten Diskussionen. So stellten die Teilnehmer/innen bei der Reflexion über ihre Arbeiten in verschiedenen Workshops fest: „Das gibt’s doch schon!“ Sie hatten in ihren Produkten Ikonen, Symbole und Phrasen ausgemacht, die in der öffentlichen Erinnerung regelmäßig auftauchen. Beispielsweise integrierten in einem Comicworkshop mehrere Jugendliche zunächst den Spruch „Arbeit macht frei“ in ihren Comicstrip, bemerkten durch das häufige Auftauchen aber schnell, dass es sich dabei um eine ‚Ikone der Vernichtung’ handelt, die im ritualisierten Gedenkbetrieb ständig auftaucht und ästhetisiert wird.
Im Laufe des Workshops entstanden nach und nach immer differenziertere und persönlichere Bildergeschichten in unterschiedlichster ästhetischer Form. Das lässt erahnen: Gerade durch die künstlerische Tätigkeit werden Jugendlichen die Standardisierung der Ausdrucksweisen und die allgegenwärtige Überproduktion von Holocaust-Bildern deutlich, sie reflektieren sie und stellen sie in Frage. Insofern kann künstlerische Arbeit gerade auf ästhetischem Wege Organe zur Erfahrung neu schärfen, die durch vermeintlich unmittelbare Konfrontation mit der Geschichte durch Vorträge oder Führungen nicht angesprochen werden.
Ähnlich lebendig gestaltete sich die Auseinandersetzung mit der Frage: „Darf man Comics in KZ-Gedenkstätten und über die KZ-Geschichte zeichnen?“ Auch hier wird deutlich, wie weit der gesellschaftliche Umgang mit der NS-Geschichte und dem Holocaust mit seinen zu Recht tabuisierten, umstrittenen und verstörenden Bereichen in die Workshops hinein reicht. Doch die Verstörung der Jugendlichen, die sich angesichts des Überschreitens von Tabus in der Frage „Darf man das?“ ausdrückt, kann ein produktiver Anstoß für Reflexion sein. Gerade das ästhetisch Selbsttätige steht im Kontrast zur Gedenkstätte als Ort denkbar stärkster Forderungen nach konformem Verhalten und fordert Reflexionen über die eigene künstlerische Tätigkeit und damit dem eigenen ästhetischen Zugang zur Geschichte im Verhältnis zur hegemonialen Erinnerungskultur heraus.
Während der Arbeit an den Comic-Entwürfen baten die Jugendlichen häufig einen Gedenkstättenmitarbeiter, die Entwürfe in historischer Hinsicht „Korrektur zu lesen“. Den Zeichner/innen stellte sich die Frage nach dem Verhältnis künstlerischer Gestaltung und historischer Faktizität bzw. von Inhalt und Form nicht theoretisch oder abstrakt, sondern unmittelbar und subjektiv drängend. Die künstlerische Arbeit war auch eine Suche nach den Grenzen künstlerischer Freiheit angesichts der Realität der Verbrechen.
Die Integration kulturpädagogischer Ansätze und künstlerischer Arbeit in die Vermittlungsarbeit an Gedenkstätten ist unbedingt sinnvoll und steht für einen Ansatz, der Jugendlichen in der Beschäftigung mit der Geschichte Freiheiten lässt, ohne auf kritische Reflexion zu verzichten. Den Jugendlichen wird so die Chance gegeben, sich auszuprobieren und eigene Wege der Auseinandersetzung zu entwickeln, ohne dass der Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet wäre.
Wichtig ist, dass der Ausgangspunkt einer solchen Auseinandersetzung die konkrete Ereignisgeschichte bleibt. Erst die Kenntnis der Geschichte selbst ermöglicht es, sich zu ihr in Beziehung zu setzen. Ohne diesen Teil drohte die Auseinandersetzung zu dem zu werden, was Ruth Klüger einmal die „Selbstbespiegelung der Gefühle“ genannt hat – eine Beschäftigung mit sich selbst und eigenen Befindlichkeiten, für die die NS-Verbrechen nur noch den Anlass liefern.
Notwendig ist also ein Ansatz, der die Ereignisgeschichte ins Zentrum der Auseinandersetzung stellt, die Subjekte der Erinnerung aber gleichermaßen ernst nimmt. Daraus resultiert eine Vielzahl an Anforderungen, denen sich die Workshopleiter/innen stellen müssen. Ein solcher, stark auf Reflexion basierender Prozess braucht methodisch kompetente Pädagog/innen. Der Gegenstand der Arbeit erfordert fundiertes Wissen über die Ereignisse und deren Rezeption. Nicht zuletzt müssen die Seminarleiter/innen in der Lage sein, einen künstlerischen Ansatz so zu vertreten, dass er für sich steht und nicht als Mittel zum Zweck oder pädagogischer Kniff wahrgenommen wird. Die künstlerische Arbeit und das Ergebnis müssen als ästhetisches Produkt ernst genommen werden. Der Künstler Horst Hoheisel sagte in diesem Zusammenhang: „Hilfestellung, das ‚gut Gemeinte’ in gut Gemachtes zu verwandeln, darin sehe ich die Aufgabe des Kunstpädagogen.“
Mehr zum Projekt kunst – raum – erinnerung finden Sie unter: http://www.bildungsverbund.net
- |
- Seite drucken
- |
- 12 Jan 2010 - 12:08