Widerstand in Polen 1945 bis 1989 – Ereignis und Erinnerung
Peter Oliver Loew
Das kommunistische Regime richtete sich in Polen innerhalb weniger Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Während das Land nach der schrecklichen deutschen Besatzungsherrschaft, innerhalb derer mehr als fünf Millionen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger Polens ums Leben gekommen waren, zunächst aufgeatmet hatte, überzog kurz darauf die von der Sowjetunion gestützte Regierung das Land erneut mit einer Verfolgungswelle.
Der Widerstand gegen die neuen Machtverhältnisse begann bereits während ihres Aufbaus und entlud sich in einer Reihe gewaltsamer Aufstände und massenhafter Pro teste. Das Widerstandshandeln unter dem kommunistischen Regime konnte an eine lange polnische Tradition von Aufständen und Untergrundaktionen anknüpfen. Seit den Teilungen Polens am Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich die Bevölkerung mehrfach gegen die russischen Besatzer erhoben (1794, 1830/31, 1863/64). Auch gegen die preußische (1846/48) und österreichische Herrschaft (1846) begehrte sie auf. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg brachen Aufstände gegen die Deutschen in Posen/Großpolen und Oberschlesien aus. Während des Zweiten Weltkriegs entwickelte sich ein polnischer Untergrundstaat. 1943 erhob sich in Warschau die im Ghetto eingeschlossene jüdische Bevölkerung und 1944 die polnische Untergrundarmee gegen die deutschen Besatzer. Auch wenn fast alle dieser bewaffneten Kämpfe scheiterten, so prägten sie die politischen Mentalitäten der Polinnen und Polen erheblich. Sie waren auch für das Aufbegehren gegen die kommunistische Diktatur ein wichtiger Bezugspunkt.
WELLEN DES WIDERSTANDS GEGEN DEN
KOMMUNISMUS
Bereits unmittelbar nach Ende der Kampfhandlungen 1944/45 und noch während der erst 1947 abgeschlossenen Machtübernahme durch die Moskau-hörigen Kommunisten nahmen mehrere zehntausend antikommunistische Partisanen – überwiegend Angehörige der Untergrundbewegung aus den Kriegsjahren – einen bewaffneten Kampf gegen die Strukturen des neuen Staates auf. Die in einem breiten Spektrum zwischen politischem Kampf und gewöhnlicher Kriminalität agierenden Gruppen wurden von der Staatsgewalt bis Mitte der 1950er Jahre jedoch zerschlagen.
Zum ersten massiven Aufstand gegen die Volksrepublik Polen kam es am 28. Juni 1956 in Posen, als nach Preiserhöhungen Beschäftigte der Stalin-Werke (Cegielski-Werke) ins Stadtzentrum marschierten. Viele weitere Arbeiterinnen und Arbeiter schlossen sich ihnen an. Gegen die rund 100.000 Aufständischen wurde die Armee mit Panzern in Bewegung gesetzt. Diese schlug den Aufstand rasch wie brutal mit rund 75 Todesopfern nieder, trotzdem war das Ereignis der Anlass für ein kurzzeitiges politisches „Tauwetter“ in der polnischen Innenpolitik.
Im März 1968 entzündete sich am Verbot der Aufführung eines Theaterstücks des Nationaldichters Adam Mickiewicz in Warschau ein Studentenprotest, der von der Miliz (so wurde im kommunistischen Polen die Polizei genannt) gewaltsam aufgelöst wurde – viele Dutzend Studierende wurden verhaftet. Zu einer Mobilisierung der arbeitenden Bevölkerung kam es damals nicht. Anders im Dezember 1970: Am 14. Dezember brach in der Danziger Werft nach Preiserhöhungen ein spontaner Streik aus, dem sich Arbeitende in vielen anderen Städten, insbesondere in Gdingen (Gdynia) und Stettin (Szczecin), anschlossen. Die Demonstrierenden setzten u.a. die Danziger Parteizentrale in Brand. Auch dieser Aufstand wurde brutal niedergeschlagen, knapp 50 Menschen kamen ums Leben. 1976 waren es erneut Preiserhöhungen, die im Juni zu Streiks und Demonstrationen in vielen Fabriken führten. In der Stadt Radom wurden die Proteste besonders gewalttätig unterdrückt. Das zur Unterstützung der Verhafteten gegründete „Komitee zur Verteidigung der Arbeiter“ (Komitet Obrony Robotników, KOR) wurde zur Keimzelle der politischen Opposition – aus der
Einsicht heraus, dass die bisherigen Proteste unter anderem am fehlenden Schulterschluss von Arbeiterinnen und Arbeitern auf der einen und Intellektuellen auf der anderen Seite gescheitert waren.
Der Höhepunkt des Widerstands gegen die herrschenden Verhältnisse begann zweifelsohne mit der Streikwelle vom August 1980: Wieder waren es Preiserhöhungen, die zunächst die Belegschaft der Danziger Lenin-Werft zu spontanen Streiks veranlassten, die sich blitzschnell auf ganz Polen ausbreiteten. Angesichts des massenhaften Charakters sah sich die Regierung diesmal genötigt, mit der Arbeiterbewegung zu verhandeln und schließlich die Bildung einer freien Gewerkschaft, der Solidarność, zuzulassen mit dem charismatischen Arbeiterführer Lech Wałęsa an derSpitze. Am 13. Dezember 1981 verhängte das Regime auf Druck Moskaus und wegen der angespannten wirtschaftlichen Lage das Kriegsrecht, das mit massivem Militäreinsatz durchgesetzt wurde. Nun verlagerte sich der Widerstand wieder in den Untergrund. Eine neue Protestwelle ab 1988 führte schließlich im Sommer 1989 zu dem am Runden Tisch vereinbarten Übergang zu einem demokratischen System.
ERINNERUNG UND GESCHICHTSPOLITIK
Die für ganz Europa beispiellose Intensität und Kontinuität des polnischen Widerstandshandelns war im 20. Jahrhundert ein Leitmotiv der polnischen Ideen von Staat und Nation. Neben der Erinnerung an die Opfer des NS-Terrors war es die Erinnerung an den Widerstand gegen die kommunistische Herrschaft mit seinen Protagonistinnen und Protagonisten, die in der Gegenwart als moralische Richtschnur diente. In den dreieinhalb Jahrzehnten seit Ende der Volksrepublik Polen hat es hier verschiedene Konjunkturen gegeben. Aufgrund des zeitlichen Abstands standen zunächst die Ereignisse von 1956 und 1970 im Mittelpunkt, wobei die wichtigsten Denkmalsetzungen bereits 1980/81 während der Solidarność-Jahre erfolgten: Das Denkmal für die Opfer des Juni 1956 in Posen operiert ähnlich wie das Danziger Denkmal für die Gefallenen Werftarbeiter von 1970 mit großen christlichen Kreuzen, welche die Bedeutung der katholischen Kirche für den Widerstand versinnbildlichen und überhöhen.
Während die Erinnerung an diese beiden Ereignisse seit 1989 innenpolitisch wenig umstritten war, blieb die Erinnerung an die Proteste von 1980/81 und die Entstehung der Solidarność lange geprägt von politischen Auseinandersetzungen: Das liberale Lager, das nach der Systemtransformation zunächst an die Regierung kam – und für das Lech Wałęsa 1990 zum Staatspräsidenten gewählt wurde –, sah die Widerstandswelle als zivilgesellschaftliches Aufbegehren für eine „Rückkehr nach Europa“. Die nationalen Kräfte kritisierten den 1988/89 zwischen Solidarność und Regime geschlossenen Elitenkompromiss als Ursünde der neuen „Dritten Republik“ und interpretierten die Solidarność als katholisch-patriotische Bewegung. Das 2007 gegründete und 2014 eröffnete Europäische Solidarność-Zentrum in Danzig verkörpert die liberale Sicht der Widerstandsgeschichte.
Die antikommunistischen Partisanen der Nachkriegszeit – ein in der Volksrepublik Polen weitgehend tabuisiertes Thema – gerieten erst im neuen Jahrtausend in die Aufmerksamkeit der Geschichtspolitik. Unter der Bezeichnung „żołnierzy wyklęci” (verfemte bzw. verstoßene Soldaten) wurden ihre Anführer insbesondere von polnisch-nationalen Gruppen und Parteien heroisiert; seit 2011 gibt es einen Nationalen Gedenktag für diese Opfergruppe (1. März).
Denkmäler und Gedenktafeln für Opfer des antikommunistischen Widerstands finden sich in vielen polnischen Städten und Kirchen; die Helden des Widerstands werden oft in Form großformatiger Wandgemälde („Murale“) verherrlicht.
Während der Regierungszeit von Jarosław Kaczyńskis Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) zwischen 2015 und 2023 wurden auf der einen Seite vom Staat die vergangenen heroischen Widerstandsereignisse zu Zwecken der nationalen Identitätsbildung besonders betont. Auf der anderen Seite knüpften die liberale Opposition und die Zivilgesellschaft ebenso an die Geschichte des Aufbegehrens gegen missliebige Regierungen an, etwa bei den jahrelangen Demonstrationen gegen die Verletzung der Gewaltenteilung und der Rechtsstaatlichkeit oder gegen die Verschärfung der Abtreibungsgesetzgebung.
Aufgrund der eigenen Widerstandstraditionen genießen in Polen Widerstandsbewegungen in autoritären und totalitären Staaten grundsätzlich große Sympathie: So wird die belarussische Opposition lagerübergreifend unterstützt, und der Verteidigungskampf der Ukraine gegen Russlands Angriffskrieg gilt als eine Art Fortsetzung des mehr als 200 Jahre währenden polnischen Kampfs gegen russisch-sowjetische Dominanz.
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- 28 Aug 2024 - 06:31