Lars Skowronski und Martina Staats sind Sprecher_innen des Arbeitskreises Justiz-Gedenkstätten.

von Lars Skowronski und Martina Staats

In den letzten Jahrzehnten ist die Gedenkstättenlandschaft bezüglich der Zeit des Nationalsozialismus differenzierter geworden. Neben solchen an Orten früherer Konzentrations- und Kriegsgefangenenlager sowie an Orten von Euthanasieverbrechen sind seit den 1990er Jahren auch Gedenkstätten an Orten von NS-Justiz, -Strafvollzug, -Hinrichtungsstätten und -Polizeihaft entstanden. Justiz und Strafvollzug leisteten einen zentralen Beitrag zur Durchsetzung, Aufrechterhaltung und Radikalisierung der NS-Herrschaft: So weist der Historiker Nikolaus Wachsmann (Wachsmann 2006) in seiner Studie „Gefangen unter Hitler“ nach, dass in den Anfangsjahren des NS mehr Menschen durch den Justizapparat verfolgt, in Strafgefängnissen und Zuchthäusern inhaftiert sowie in Hinrichtungsstätten getötet wurden als in den Konzentrationslagern, die in der öffentlichen Wahrnehmung heute deutlich präsenter sind. Nur mit Hilfe von Justiz und Strafvollzug konnten die Nationalsozialisten ihr Terrorregime etablieren und politische Gegner_innen ausschalten. Etwa 15.000 durch den Volksgerichtshof, durch Sonder- und zahlreiche andere nicht-militärische Gerichte verhängte Todesurteile während der gesamten NS-Zeit zeugen von deren oftmals radikalen Spruchpraxis.

Verfolgten- und Opfergruppen

Gleiches galt seit Kriegsbeginn für das Vorgehen gegen den Widerstand in den besetzten Ländern. So nutzte das Reichsjustizministerium Strafgefängnisse und Zuchthäuser u.a. zur Unterbringung von Gefangenen aus Frankreich, Belgien und Norwegen, die aus ihren Heimatländern ohne Hinweis auf ihren Verbleib verschleppt worden waren. Die Radikalisierung von Besatzungspolitik und Justizpraxis spiegelt sich zudem in der erhöhten Anzahl inhaftierter osteuropäischer Zwangsarbeiter_innen. Weitere Opfer von Justizverbrechen waren Frauen und Männern, die aufgrund des drakonischen Kriegsstrafrechts wegen krimineller Delikte zu unverhältnismäßig hohen Strafen bis hin zum Tode verurteilt wurden. Hinzu kamen jene, die auf Grundlage der kriminalbiologischen und rassenhygienischen Vorstellungen der Nationalsozialisten als „asozial“ eingestuft wurden und als Justizgefangene tausendfach zu Tode kamen.

Straf- und Zuchthausgefangene gewannen mit fortschreitender Dauer des Krieges an Bedeutung für die Kriegswirtschaft: Die Anstalten beuteten ihre Arbeitskraft in den Zentralen und an unzähligen Außenarbeitsorten rücksichtslos aus. Hierfür wurden Verletzungen und Tod aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen, unzureichender Nahrungsmittelversorgung und medizinischer Betreuung billigend in Kauf genommen. Insbesondere ab Sommer 1944 löste das Regime in den frontnahen Gebieten des heutigen Polen und in Italien Haftanstalten auf. Die Insassen mussten in der Rüstungsproduktion häufig unter Tage und zusammen mit Konzentrationslagerhäftlingen arbeiten. Dabei waren Gefängnisse und Zuchthäuser durch ihre raumgreifenden Netzwerke von Außenorten keine abgeschlossenen Tatorte. Vielmehr waren die dort begangenen Verbrechen für die Bevölkerung oftmals sichtbar und damit im Alltag und in der Gesellschaft des Nationalsozialismus präsent. So hatten beispielsweise Mitarbeiter_innen der öffentlichen Verwaltung auch außerhalb des Justizsystems Kenntnis von den dortigen Vorgängen – etwa, wenn es um Finanzfragen oder die administrative Abwicklung der Bestattung von Leichnamen ging. Zivilist_innen begegneten Strafgefangenen u.a. am Arbeitsplatz. 

Sonderjustiz der Wehrmacht

Neben der „zivilen“ Justiz etablierte das NS-Regime eine Sonderjustiz für die Wehrmacht, die seit Kriegsausbruch an Bedeutung gewann (vgl. hier und im Folgenden: Messerschmidt/Wüllner 1987; Messerschmidt 2005; Kirschner 2010): Mehr als 1.000 Militärgerichte sanktionierten der „Manneszucht“ zuwiderlaufendes Verhalten mit drakonischen Strafen u.a. gegen Deserteure, „Wehrkraftzersetzer“ und „Kriegsverräter“. Daneben bildeten Kriegsgerichte in den besetzten Ländern oft ein Schlüsselelement bei der Unterdrückung von Widerstandsbewegungen. Parallel zu den Zuchthäusern und Gefängnissen der Reichsjustizverwaltung, in die auch Kriegsgerichte Soldaten und Zivilisten überstellten, errichtete die Wehrmacht ein eigenes System zur Vollstreckung verschiedener Strafen. Verurteilte Soldaten wurden in in Wehrmachtgefängnisse, Wehrmachtgefangenenabteilungen, Feldstrafgefangenenabteilungen sowie Feldstraflager eingewiesen. Dort mussten sie oft Zwangsarbeit verrichten, wurden militärisch gedrillt oder in verlustreiche Einsätze geschickt. Von der zentralen Bedeutung der Militärjustiz für das NS-Regime als Instrument der Herrschaftsstabilisierung zeugt u.a. die Todesurteilsbilanz: Mehr als 20.000 Todesurteile wurden durch die Wehrmacht selbst mittels Erschießen sowie durch Enthaupten und Erhängen in den Richtstätten der Reichsjustizverwaltung vollstreckt.

Nach 1945

In den Justizgedenkstätten auf dem Gebiet der ehemaligen DDR wird außer der NS-Zeit zudem die häufige Nachnutzung durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD sowie ab 1950 durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) thematisiert. Nach der Niederlage des nationalsozialistischen Deutschlands wurden hier innerhalb kurzer Zeit erneut Menschen inhaftiert, die nachfolgend ohne rechtsstaatliche Prozesse und aufgrund politischer Delikte verurteilt wurden. In den Jahren der Besatzung und der frühen DDR wurden zudem Hunderttausende aus den Haftorten heraus in Speziallager oder sowjetische Strafarbeitslager deportiert oder nach der Verurteilung durch sowjetische Militärtribunale hingerichtet. Das MfS übernahm ab den frühen 1950er Jahren in vielen Fällen die Gefängnisse, um fortan Menschen aufgrund des Vorwurfs etwa von „staatsfeindlicher Hetze“, „ungesetzlicher Verbindungsaufnahme“ oder vor allem wegen des (geplanten) „ungesetzlichen Grenzübertritts“ in Untersuchungshaft zu nehmen und Geständnisse zu erzwingen. Anschließend kamen die etwa 250.000 heute als politisch gelesenen Gefangenen meist in die regulären Strafvollzugseinrichtungen des Ministeriums des Innern (MdI), wo sie Zwangsarbeit leisten mussten.

Auch die Entwicklung und das konkrete Handeln der Justiz in den westlichen Besatzungszonen und in den Anfangsjahren der Bundesrepublik werden in der Arbeit der Justizgedenkstätten nicht ausgespart. In der Phase zwischen der Befreiung und der Gründung der beiden deutschen Staaten bestanden in den Besatzungszonen unterschiedliche Rechte und Handhabungen von Justiz und Strafvollzug sowie hinsichtlich der Vollstreckung von Todesstrafen. Praxis in der britischen Zone war nach einer kurzen Zwischenphase der Weiterbetrieb der Haftanstalten und wenigen Hinrichtungsstätten mit oftmals personellen Kontinuitäten. Manche in der NS-Zeit erlassenen Strafen galten weiter und nicht alle von NS-Gerichten Verurteilten kamen frei.

Mit der Verabschiedung und dem Inkrafttreten des Grundgesetzes 1949 wurden in der Bundesrepublik Menschen- und Bürgerrechte festgeschrieben und Rechtsstaatlichkeit mit unabhängigen Gerichten sowie Gewaltenteilung garantiert. Menschenwürde, Demokratie und andere Grundrechte bildeten nach den Erfahrungen mit der NS-Diktatur das neue Fundament der Rechtsordnung. Einige wenige Gesetze hatten dennoch über die NS-Zeit hinaus Gültigkeit. So wurden etwa homosexuelle Männer bis 1969 strafrechtlich verfolgt. 1951 wurde während des Kalten Krieges das politische Strafrecht gegen Kommunisten eingeführt. Für bestimmte, bereits im Nationalsozialismus Verfolgte kann für die Frühzeit der Bundesrepublik somit von einer justiziellen Kontinuität gesprochen werden. Der Strafvollzug wurde hingegen liberalisiert und dem Reformstrafvollzug der Weimarer Zeit mit dem Ziel der Resozialisierung angepasst.

Justizgedenkstätten

Justizgedenkstätten forschen, sammeln und vermitteln an den historischen Orten von Straf-, Untersuchungs-, Polizei- und Militärgefängnissen, von Zuchthäusern sowie Hinrichtungsstätten. Sie dokumentieren sowohl die Taten der NS-Justiz an hunderttausenden Verurteilten aus ganz Europa als auch die Zeit nach 1945. Zu ihrer gegenwartsbezogenen historisch-politischen Bildungsarbeit an diesen Epochen-überspannenden Orten gehört die Aufklärung über die Täter_innen und juristischen Akteur_innen. Vielfach wurde an diesen Orten nach 1945 erneut Justizunrecht begangen. Auch solche Zusammenhänge werden von den Gedenkstätten in ihrer Forschung, in Ausstellungen und der Bildungsarbeit aufgezeigt: Nicht nur Kontinuitäten der Orte, sondern auch der Verfolgungsgründe (u.a. bei Homosexuellen und Zeugen Jehovas) sowie spezielle Aspekte des Strafvollzugs (etwa Zwangsarbeit von Strafgefangenen) und dessen Folgen für Überlebende, deren Angehörige und die nachfolgenden Generationen werden thematisiert, ebenso wie Entschädigung und Aufhebung der NS-Urteile.

Eine Besonderheit unserer Bildungsarbeit besteht darin, dass sich die Gedenkstätten teilweise in oder unmittelbar bei aktiv genutzten Justizvollzugsanstalten befinden, wodurch ein konkreter Gegenwartsbezug besteht. Daher finden vielerorts gemeinsame Workshops mit den Justizvollzugsanstalten statt. Weitreichende Kooperationen ermöglichen es zudem, berufsgruppenspezifische Bildungsangebote für Institutionen der Justiz und des Justizvollzugs durchzuführen.

Der „Arbeitskreis Justiz-Gedenkstätten“

Die Bedeutung der Straf-, Militär-, Polizeihaft- und Untersuchungsgefängnisse, der Zuchthäuser und Richtstätten als Tatorte sollte für die Öffentlichkeit deutlicher erkennbar werden. Daher haben wir uns als Vertreter_innen der entsprechenden Gedenkstätten im Jahr 2013 im „Arbeitskreis Justiz-Gedenkstätten“ zusammengeschlossen. Gemäß den Wünschen von noch lebenden Betroffenen und deren Angehörigen haben wir uns zum Ziel gesetzt, dieser zum Teil immer noch unzureichend wahrgenommenen Opfergruppe zu größerer öffentlicher Aufmerksamkeit zu verhelfen, um eine Würdigung ihrer Schicksale zu erreichen.

Dafür ist eine Vernetzung der Justizgedenkstätten erforderlich, um sich bei dem notwendigen räumlichen und personellen Auf- und Ausbau, der Interessenvertretung, dem Einwerben von Mitteln für Forschungsprojekte usw. gegenseitig zu unterstützen. Zu diesem Zweck trifft sich der Arbeitskreis einmal jährlich zweitägig, um sich über Ideen und Projekte auszutauschen, neue Impulse zu bekommen, Strategien zur Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit zu entwickeln, aber auch um über Probleme und Hürden der Gedenkstättenarbeit zu sprechen. Um die Interessen unserer Gedenkstätten zu vertreten, sind die Vertreter_innen des Arbeitskreises regelmäßig auf Fachtagungen präsent, geben Stellungnahmen zu Fragen der Erinnerungspolitik ab und stehen im Austausch mit politischen Entscheidungsträger_innen.

Gerade aufgrund der bisher zu geringen öffentlichen Sichtbarkeit der zahlreichen und vielfältigen Justizgedenkstätten, freuen wir uns über die Möglichkeit, sie in diesem Heft gebündelt vorzustellen und wünschen diesen Einrichtungen eine stärkere Beachtung in der Gedenkstättenlandschaft und in der Öffentlichkeit.

 

Literatur

Kirschner, Albrecht (Hrsg.): Deserteure, Wehrkraftzersetzer und ihre Richter. Marburger Zwischenbilanz zur NS-Militärjustiz vor und nach 1945, Marburg 2010.

Messerschmidt, Manfred: Die Wehrmachtjustiz 1933–1945, Paderborn u.a. 2005.

Messerschmidt, Manfred/Wüllner, Fritz: Die Wehrmachtjustiz im Dienste des Nationalsozialismus. Zerstörung einer Legende, Baden-Baden 1987.

Wachsmann, Nikolaus: Gefangen unter Hitler. Justizterror und Strafvollzug im NS-Staat, München 2006.

 

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