Anja Schuller-Müller ist seit Mai 2021 pädagogisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin des Lernort Kislau e.V. und sowohl für die Koordinierung des Geschichtslabors als auch für die Ausbildung und Betreuung der Peer-Guides verantwortlich.

von Anja Schuller-Müller 

 

Der Ansatz

Wie vermittelt man heute NS-Geschichte? Gefragt sind Formate, die historische Ereignisse veranschaulichen und ihre Relevanz für die Gegenwart sichtbar machen. Deshalb bricht der Lernort Kislau e.V. in seiner Arbeit die Geschichte der Jahre 1918 bis 1945 auf die regionale Dimension des ehemaligen Landes Baden herunter und stellt – wo immer möglich – Bezüge zum Hier und Jetzt her. Und weil Menschen Erkenntnisse am besten durch aktive Aneignung erlangen, spielen dialogische Angebote in unserer Vermittlungsarbeit eine zentrale Rolle.

Der Kontext

Im Konzentrationslager Kislau bei Bruchsal wurden von 1933 bis 1939 mehr als 1.500 Männer festgehalten – darunter viele aktive Gegner des Nationalsozialismus. Als das frühe Lager im Land Baden markiert Kislau wie kein zweiter Ort den Übergang von der Weimarer Republik in das nationalsozialistische Unrechtsregime. Deshalb plant der Verein auf dem ehemaligen KZ-Gelände einen neuartigen Lernort, an dem kreative Formen der Geschichtsvermittlung eng mit einem Gegenwartsdialog verzahnt werden sollen.

Das Ergebnis

Im Rahmen der dreijährigen Programmschiene „Aufarbeitung Nationalsozialismus“ des Programms „Jugend erinnert“ der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) entwickelte das Lernort-Team ein mobiles Geschichtslabor. Ausgehend von der Geschichte des KZ Kislau entstand ein neuartiges Format, das jungen Menschen vor Augen führt, in welch hohem Maße die NS-Vergangenheit ihre Gegenwart und Zukunft tangiert. Ausgehend von der Leitfrage „Wo fängt Unrecht an?“ können Jugendliche und junge Erwachsene seit dem Frühjahr 2021 an acht interaktiven Doppelstationen die Geschichte des Konzentrationslagers Kislau erkunden. Darüber hinaus können Unterschiede zwischen Recht und Unrecht sowie zwischen Demokratie und Diktatur erforscht werden. Dabei sollen die Besucher:innen nicht nur neue Kenntnisse gewinnen, sondern sich selbst positionieren und hinterfragen. So kann man sich beispielsweise an einer Station mit verbaler und bildlicher Ausgrenzung verschiedener Gruppen in der NS-Zeit auseinandersetzen und sich anschließend mithilfe einer Datenskulptur zu eigenen Diskriminierungserfahrungen äußern.

Die Interaktion

Drehelemente, Klappen und Schieberegler laden die Besucher:innen dazu ein, Inhalte zu entdecken und dabei ihre eigenen Positionen auf den Prüfstand zu stellen. Sie können zu Wertfragen Stellung nehmen und auf diesem Wege miteinander ins Gespräch kommen. Viele Besucher:innen sind überrascht zu erfahren, dass in der ihnen meist bekannten Schlossanlage ein Konzentrationslager untergebracht war. An den unterschiedlichen Doppelstationen werden jeweils ein Aspekt badischer NS-Geschichte und ein damit korrespondierender Gegenwartsaspekt rund um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit beleuchtet. Man kann sich mit Propaganda und Fakten zu Kislau in der NS-Zeit befassen, oder aber aktuelle (Fake) News anhand eines „Fake-Detektors“ untersuchen. An der letzten Station können die Nutzer:innen ihr historisches Wissen medial vertiefen und ihre individuellen Antworten auf drei Grundfragen geben, die im Geschichtslabor aufgeworfen werden: „Was hast du hier über die NS-Geschichte erfahren?“, „Wo fängt Unrecht an?“ und „Was können wir heute noch aus all dem lernen?“.

Die Peer-Guides

Zentraler Bestandteil des Projekts ist ein Peer-to-Peer-Programm. Seit dem Frühjahr 2020 haben 30 junge Leute im Alter von 14 bis 24 Jahren eine Peer-Guide-Ausbildung absolviert. Im Rahmen ihrer Einsätze betreuen sie gleichaltrige Besucher:innen und regen sie zu Diskussionen an. Zusätzlich zu Aufbau-Workshops, Exkursionen und Feedback-Treffen für die bestehende Gruppe werden regelmäßig Basis-Workshops für Interessierte angeboten, die ebenfalls Peer-Guides im Geschichtslabor werden wollen.

Die Standorte

In den Jahren 2021 und 2022 war das Geschichtslabor im Karlsruher Stadtgebiet sowie in den Landkreisen Karlsruhe und Rhein-Neckar unterwegs. In einem Vier- bis Acht-Wochen-Rhythmus machte es in Jugendeinrichtungen, Vereinen, Schulen, Stadtbibliotheken und Rathäusern Station. Aufgrund der hohen Nachfrage ist das Angebot für 2023 bereits nahezu ausgebucht. Es wird an verschiedene Standorte in Baden-Württemberg und sogar ans andere Ende der Bundesrepublik reisen: Im kommenden Sommer wird es bei der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung zu Gast sein.

Die Erfahrungen

Auch das Projekt „Mobiles Geschichtslabor“ war durch die Corona-Pandemie massiv eingeschränkt. Phasenweise mussten einige Standorte, an denen das Labor aufgestellt war, vollständig schließen, und viele Peer-Guide-Einsätze konnten nicht stattfinden. Trotzdem fällt das Fazit sehr positiv aus: Die vielfältigen Möglichkeiten, selbst im Labor aktiv zu werden, motivierten auch junge Menschen, die sich bisher nicht sonderlich für Geschichte interessierten, zur Auseinandersetzung mit Fragen rund um Diktatur, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Obwohl das Geschichtslabor ursprünglich für eine jugendliche Zielgruppe konzipiert wurde, zeigte sich, dass es alle Generationen anspricht. Überraschend, aber ebenfalls sehr erfreulich ist für uns der inzwischen auch überregionale hohe Zuspruch des Labors.

 

Projektname: Mobiles Geschichtslabor des Lernort Kislau e.V.

Projektträger: Lernort Kislau e.V.

Social Media:

Instagram: https://www.instagram.com/dasmobilegeschichtslabor/

 

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