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Postsowjetische Kriegsmuseen: Das „Belarussische Staatliche Museum der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges“ in Minsk und das „Nationalmuseum der Geschichte der Ukraine im Zweiten Weltkrieg“ in Kyïv

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Juliane Niklas ist Slawistin und arbeitet als Referentin für Mittel- und Osteuropa sowie Zentralasien beim Bayerischen Jugendring.

Von Juliane Niklas

Museen, hierauf verweist Anja Wohlfromm, sind immer Abbild des kulturellen Selbstverständnisses der Gesellschaft, in der sie existieren (Wohlfromm 2002: 18). Kriegsmuseen haben zusätzlich eine geschichtspolitische Bedeutung, sie präsentieren die aktuell bevorzugte Geschichtsschreibung. Im Vergleich zwischen Minsk und Kyïv zeigt sich diese bereits in der Benennung der Museen. Während Belarus die sowjetische Bezeichnung als Großer Vaterländischer Krieg beibehielt, bekam das ukrainische Kriegsmuseum 2015 seinen neuen Namen. Gleichzeitig sind in beiden Museen spezifisch sowjetische Museumstraditionen zu erkennen – und das macht die Museen für die wissenschaftliche Betrachtung so spannend.

Solange die Ukraine und Belarus zur Sowjetunion gehörten, fungierte der Große Vaterländische Krieg mit seinen Helden- sowie Opfertaten als Ausgangspunkt für die Schaffung patriotischer Symbole und kollektiver Gedenkmuster (Lutz Auras 2013: 206). Spätestens seit dem Maidan 2013/2014 ist in der Ukraine eine Entglorifizierung des sowjetischen Sieges und eine Europäisierung der Erinnerung zu beobachten, in Bezug auf die Kriegsdarstellung verbunden mit einer Betonung der nationalen Unabhängigkeitsbewegungen. In Belarus herrscht eine homogenisierte Darstellung des Krieges vor, während nach den politischen Umbrüchen von 1990 zugleich eine Nationalisierung des Geschichtsbildes zu beobachten ist (Kurilo 2008: 19).

Postsowjetische Museen

In Belarus und der Ukraine sind Museen eher „Tempel der Aufbewahrung der traditionellen Erzählung und Ästhetik, und nicht […] Bildungsstätten, die die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse vermitteln“ (Makhotina/Schulze Wessel 2015: 14). Auf „westliche“ Besucher*innen mit spezifischen Erwartungen und erlernten Erfahrungen, wie Museen aussehen und wirken, erscheinen diese Museen schnell schrullig oder gar eindimensional. Sie beruhen aber in ihrer Machart auf sowjetischen Museumsausgestaltungen, die durch versuchten Bruch oder Fortführung auch in den jetzigen postsowjetischen Museen sichtbar sind. Die Rolle der „ideologischen“ Museen der Sowjetunion – als Museumstypus waren dies insbesondere die Antireligions-, die Revolutions- und die Kriegsmuseen – war weniger eine museale als eine politische und pädagogische. Die Museen vermittelten vor allem Weltanschauung. Auch heute verstehen sich beide Museen als ideologisch – laut Homepages sehen beide ihre vorrangige Aufgabe darin, die Jugend zum Patriotismus zu erziehen.

Dennoch waren die sowjetischen Museen mehr als bloße Indoktrinations- und Propagandaeinrichtungen, da sie wiederum auf Traditionen beruhten, die „mehr mit dem 19. Jahrhundert, mit dem Glauben an den ‚Geist der Aufklärung‘ und die ‚Verbesserung des Menschengeschlechts durch Erziehung und Bildung‘ zu tun haben als mit einem utopischen Projekt Kommunismus“ (Schlögel 2017: 45). In der Sowjetunion der 1920er und 1930er Jahre hatte ein einmaliges „Experiment zur Schaffung eines neuen Museumstypus“ (Terjukova 2014: 111) stattgefunden. Die neuen Museumstypen ließen und lassen sich keiner Klassifikation von Museen unterwerfen, es waren neue Wissensinstitutionen, geschaffen durch „Enthusiasten“ (Kandidov 2012: 263), die selbst keine Expert*innen auf dem jeweiligen Gebiet oder des Museumsbetriebs waren. Dass die Museen in ihrer Ausrichtung zielgerichtet waren, auf den Sieg der sozialistischen Revolution oder den Sieg der Wissenschaft über den Glauben hinzielten, konnte später in den Kriegsmuseen aufgegriffen werden. Dabei handelte es sich in den frühen sowjetischen Museen um Ausstellungsmachen als Versuch und Irrtum, und das auch noch zur Zeit der Stalinschen Säuberungen, in der eine „falsche“ Ausstellung im Sinne von nicht der jeweiligen – vielleicht sogar ungeschriebenen – Parteilinie entsprechend, willkürlich zu Repression, Verhaftung, Verbannung oder gar Todesstrafe führen konnte. So löste der Rat der Volkskommissare beispielsweise das Leningrader Blockademuseum als eines der frühen Kriegsmuseen 1949 auf. Grund hierfür war, dass Stalin in dem Museum nicht als der wahre Kriegsheld dargestellt sei (Pawlow 1967: 214f.). Außerdem sei die Rolle des Zentralkomitees bei der Verteidigung Leningrads nur unzureichend gewürdigt worden (Jastram 2011: 95). Entsprechend gab es in den späteren Kriegsmuseen eine Ecke oder einen Saal, der speziell Stalin und der Partei gewidmet war, denen gemäß dieser Darstellung der Sieg alleinig zu verdanken war. Die Funktion Stalins wurde so deutlich erhöht. Zuvor war die Aufwertung der Rolle Stalins bereits in den Revolutionsmuseen zu beobachten gewesen. Mit der Verbannung von L. D. Trockij, G. E. Zinov’ev und L. B. Kamenev und anderer lästig gewordener früherer Kampfgefährt*innen Lenins aus Fotos, Geschichtsbüchern und den Revolutionsmuseen stieg im Narrativ Stalins Anteil an der Oktoberrevolution. Bis zur Mitte der 1930er Jahre hatte Stalin sich museal einen Platz an Lenins Seite geschaffen, den er in der Revolution nicht hatte.

Betrachten wir die Museen vor dem Hintergrund ihrer sowjetischen Traditionen und der sowjetischen Museologie (die weniger monolithisch war, als sie in dieser Komprimierung wirken mag, und nach dem Tod Stalins wesentliche Änderungen erfuhr), erscheinen sie in einem anderen Licht, werden Ausgestaltung und Erzählung verständlich und nachvollziehbar.

Sowjetische Nachwirkungen in den Museen – zwei Interpretationen

Minsk: Aljaksandr Lukašėnka als Kriegsheld (Saal 10: „Erben des Großen Krieges“)

Die Ausstellung in diesem Saal zeigt „die wichtige Rolle des Präsidenten der Republik Belarus A. G. Lukašėnka in der Reformierung und Entwicklung der Streitkräfte, in der verlässlichen Gewährleistung der Wehrfähigkeit der Republik, in der Sicherung von Frieden, Stabilität und Sicherheit“ (Vjarėnič et al. 2015: 158). In Exponaten und Fotodokumenten präsentiert der Saal „die Arbeit an der Verewigung der Erinnerung an die Gefallenen in den Jahren des Großen Vaterländischen Krieges“ (ebd.), die staatliche Unterstützung von Veteranen und die gegenwärtige Tätigkeit der staatlichen Sicherheitsorgane. Eine Lukašėnka gewidmete Ausstellung im Museum über den Zweiten Weltkrieg resp. Großen Vaterländischen Krieg ergibt historisch natürlich keinen Sinn und erklärt sich erst durch das Wissen um Schließungen unliebsamer Ausstellungen der frühen Kriegsmuseen. Während die Verdienste um den Sieg im Großen Vaterländischen Krieg alleinig Stalin als Kriegsheld zugeschrieben wurden, wird Lukašėnka durch diese Inszenierung zu dem Helden, der den Gefallenen des Krieges ein museales Denkmal gesetzt hat, der die Erinnerung an den Krieg aufrecht erhält. Und dessen Führung es zu verdanken ist, dass das Land derzeit in Frieden lebt. Der Lukašėnka-Saal ist der letzte vor dem Kuppelsaal, dem Saal des Sieges. 

Auch im Eingangsbereich des Museums nimmt Lukašėnka eine prominente Position ein, die Ausstellung ist somit durch den Präsidenten gerahmt. In einer umzäunten kreisförmigen Bodenvertiefung in der Eingangshalle ist ein roter Kubus in der Größe eines Schuhkartons eingelassen, durch eine Glasplatte nach oben geschützt. Die Vertiefung ist umrandet mit goldenen Lettern, die zweimal, getrennt durch einen kleinen fünfzackigen ebenfalls goldenen Stern, folgenden Text auf Belarussisch ergeben: „Hier ist die Erinnerung derjenigen aufbewahrt, denen wir unser Leben verdanken“. Durch die Ausführungen eines Tourguides, des Audioguides oder einen Blick in den Museumskatalog ist zu erfahren, dass sich in dem Kubus eine Kapsel „Nachricht an die Nachgeborenen“ des Präsidenten Lukašėnka befindet, die zu Baubeginn am 24. April 2010 eingelassen wurde. Der neue Museumsbau ersetzte das bisherige Kriegsmuseum von 1943 bzw. 1967.

Kyïv: Die Aura des Originals

Das Kriegsmuseum in Kyïv verfügt fast ausschließlich über Originale, darauf wird bei jeder Führung und auch im Ausstellungskatalog hingewiesen. Dass Originale im Museum über eine Aura verfügen, wird zu Recht bezweifelt (zuletzt Weindl 2019), Diskussionen um Aura und Authentizität sind dennoch ein wichtiger Teil museums- (und gedenkstätten-)pädagogischer Diskurse. Die Betonung des Authentischen im Kyïver Museum mag noch andere Gründe haben, lässt sich aber auch als Hinweis auf die Übermacht Russlands zu Sowjetzeiten verstehen. 1923/24 organisierte das Petrograder/Leningrader Revolutionsmuseum mehrere Expeditionen in die Ukraine, um dort ukrainisches Originalmaterial mit Bezug zur Oktoberrevolution zu sammeln. Als 1938 das Lenin-Museum in Kyïv mit über 6 000 Exponaten öffnete, zeigte sich, dass keine Originale in der Ukraine verblieben waren. Das Museum wurde mit Modellen, Fotokopien oder Abdrucken bestückt: Modelle der Häuser, in denen Lenin gelebt hat, Kopien seiner Manuskripte, das nachgestellte Arbeitszimmer Lenins im Kreml‘, Kopien ukrainischer Dokumente zu Revolution und revolutionären Bewegungen. Original waren lediglich Ausgaben der Zeitungen Iskra, Vperëd und Pravda, die sowieso Massenware und vielfach verfügbar waren. So wie der Reiseführer „Muzei Ukrainy“ (Museen der Ukraine) von 1959 das Kyïver Lenin-Museum beschreibt, muss allen Besucher*innen klar gewesen sein, dass es sich eben „nur“ um eine Filiale des Leningrader Museums handelte, in dem die Originale aufbewahrt und ausgestellt wurden. 

Nicht nur durch die Umbenennung des Museums und die Überarbeitung der Ausstellung zeigt Kyïv so seine (erinnerungspolitische) Abkehr von Russland. Auch die häufigen Hinweise auf Originalexponate können als weiterer Hinweis gewertet werden, ebenso das Narrativ des Museums und die verschiedenen thematischen Sonderausstellungen.

In Minsk hingegen finden sich weitere Anlehnungen an die sowjetische Geschichtsschreibung: die Architektur des Museumsgebäudes ebenso wie die verwendeten Opferzahlen, die auf den Schätzungen der „Außerordentlichen Staatlichen Kommission für die Feststellung und Untersuchung der Gräueltaten der deutsch-faschistischen Aggressoren und ihrer Komplizen, und des Schadens, den sie den Bürgern, Kolchosen, öffentlichen Organisationen, staatlichen Betrieben und Einrichtungen der UdSSR zugefügt haben“ (ČGK) beruhen und durch neuere Forschungen als überholt gelten müssen. 

Literatur

Jastram, C.-G. (2011): Die „Leningrader Affäre“. Ein Beitrag zur Säuberungspraxis in der UdSSR 1949 bis 1953. Hamburg.

Kandidov, B. P. (2012): Put‘ bor’by. Vspominanija o rabote po organizacii Central’nogo Antireligioznogo muzeja. [Der Weg des Kampfes. Erinnerungen an die Arbeit zur Organisation des Zentralen Antireligionsmuseums.]. In: Sovetskoe gosudarstvo i religija. 1918-1938 gg. Dokumenty iz Archiva gosudarstvennogo muzeja istorii religii. [Der sowjetische Staat und die Religion. 1918-1938. Dokumente aus dem Archiv des Staatlichen Museums für Religionsgeschichte.] Sankt Peterburg, S. 263-316.

Kurilo, O. (22008): Der Zweite Weltkrieg im Museum. Deutsch-osteuropäische Spiegelungen. In: dies. (Hg.): Der Zweite Weltkrieg im Museum. Kontinuität und Wandel. Berlin, S. 11-24.

Lutz Auras, L. (2013): Zwischen Stolz und Missbilligung. Der Zweite Weltkrieg in der Erinnerungspolitik der Russländischen Föderation und der Ukraine. In: Bizeul, Y. (Hg.): Rekonstruktion des Nationalmythos? Frankreich, Deutschland und die Ukraine im Vergleich. Göttingen, S. 193-226.

Makhotina, E./Schulze Wessel, M. (2015): Neue Konfliktlinien in den Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg im östlichen Europa. Zur Einleitung. In: Makhotina, E. et al. (Hg.): Krieg im Museum. Präsentationen des Zweiten Weltkriegs in Museen und Gedenkstätten des östlichen Europa. Göttingen, S. 1-14.

Mezenceva, G. G. (1959): Muzei Ukrainy. [Museen der Ukraine.] Kiev.

Pawlow, D. W. (1967): Die Blockade von Leningrad 1941. Frauenfeld und Stuttgart.

Schlögel, K. (2017): Das sowjetische Jahrhundert. Archäologie einer untergegangenen Welt. München.

Terjukova, E. A. (2014): Kul’tovyj predmet v muzee. Iz istorii muzejnogo dela v Rossii 20-30-x godov XX veka. [Der Kultgegenstand im Museum. Aus der Geschichte der Museumstätigkeit in Russland in den 20er bis 30er Jahren des 20. Jahrhunderts.]. In: Vestnik SPbGU [Bulletin der Staatlichen Universität Sankt Petersburg] Ser. 17, Vyp. 3, S.110-115.

Vjarėnič, I. U. et al. (2015): Belaruski dzjaržaŭny muzej historyi Vjalikaj Ajčynnaj vajny. [Das Belarussische Staatliche Museum der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges.] Minsk.

Weindl, Roman (2019): Die „Aura“ des Originals im Museum. Über den Zusammenhang von Authentizität und Besucherinteresse. Bielefeld.

Wohlfromm, A. (2002): Museum als Medium. Neue Medien in Museen. Überlegungen zu Strategien kultureller Repräsentationen und ihre Beeinflussung durch digitale Medien. Köln.

 

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