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Zwangsarbeit im Nationalsozialismus – eine Wanderausstellung mit lokalem Fokus

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Maria Döbert hat Romanistik, Neuere und Neueste Geschichte sowie Osteuropäische Geschichte studiert. Sie arbeitet derzeit in der Gedenkstätte Amthordurchgang in Gera.

Von Maria Döbert

Nachdem die Geschichte der Zwangsarbeit im Nationalsozialismus lange Zeit vernachlässigt worden war, wurde sie insbesondere in den letzten zwei Jahrzehnten zum Gegenstand von Forschungsprojekten und Ausstellungen. Dennoch ist das Ausmaß der Zwangsarbeit auf lokaler Ebene häufig wenig bekannt. Der Geschichte der Zwangsarbeit in Thüringen soll sich nun eine Wanderausstellung widmen. Sie nimmt insbesondere die Zwangsarbeit im unterirdischen Flugzeugwerk ‚REIMAHG‘, etwa zwanzig Kilometer südlich von Jena, in den Blick, beleuchtet aber auch, in welchen Formen es vor und nach dem Nationalsozialismus Zwangsarbeit gegeben hat bzw. gibt.

Zwangsarbeit im Nationalsozialismus

Um Zwangsarbeit handelt es sich, „wenn Arbeit gegen den Willen der Beschäftigten mit außerökonomischen Zwangsmaßnahmen durchgesetzt wurde“ (Wagner 2010: 181). Während des Zweiten Weltkrieges mussten über 20 Millionen Menschen aus nahezu allen Ländern Europas Zwangsarbeit im Deutschen Reich oder in den besetzten Ländern leisten. Sie waren an den verschiedensten Orten eingesetzt: in Großbauprojekten, in der Landwirtschaft, zum Trümmerräumen in den Städten, in Privathaushalten: „Jeder Deutsche ist ihnen begegnet – ob als Besatzungssoldat oder als Bäuerin in Thüringen“ (Knigge et al. 2010: 12). Vor allem in den besetzten Gebieten im Osten zeigten sich die Besatzer erbarmungslos gegenüber der einheimischen Bevölkerung; nicht selten wurden ganze Familien zur Zwangsarbeit verschleppt. Das gesamte Reichsgebiet war mit einem dichten Netz aus Lagern überzogen (Wagner 2010: 187). Dabei stand die Mehrheit der Deutschen dem Leid der Zwangsarbeiter*innen gleichgültig gegenüber (Süß 2010: 227). In der Geschichte der Zwangsarbeit wird der den Kern des Nationalsozialismus auf eindringliche Weise sichtbar: „Er war Rassenstaat und radikal leistungsorientiertes Produktivitätsregime und gründete auf Gewalt und Unterwerfung“ (Ebd.: 231).

Zwangsarbeit bei der REIMAHG

Das unterirdische Rüstungswerk REIMAHG stellt einen besonderen Kristallisationspunkt der NS-Zwangsarbeit dar. 1942 wird Fritz Sauckel, seit 1927 NSDAP-Gauleiterin Thüringen, zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz ernannt. In dieser Funktion trägt er die Verantwortung für die Deportation und Versklavung von über sieben Millionen Menschen. Sauckels Arbeitsverwaltung wurde im Wesentlichen aus Mitarbeiter*innen der Arbeitsämter gebildet (Ebd.: 186). Sauckel war zudem Stiftungsführer der 1936 gegründeten Gustloff-Stiftung, einem der größten deutschen Rüstungskonzerne. 1944 wird die REIMAHG GmbH, benannt nach Reichsmarschall Hermann Göring, als Tochtergesellschaft gegründet. Sie besteht aus drei Produktionsstandorten in Kahla (Werk A – „Lachs“), Kamsdorf (Werk E – „Schneehase“) und Krölpa (Werk F – „Pikrit“). Der Walpersberg bei Kahla wird für die geplante Anlage als geeignet befunden, da hier durch den traditionellen Porzellansandabbau im Berg bereits ein ausbaufähiges Stollensystem vorhanden ist. Ziel ist die serienmäßige Produktion des Düsenflugzeuges Me 262; den Planungen nach sollen monatlich etwa 1200 Flugzeuge den Berg verlassen. Letztendlich werden bis Kriegsende jedoch lediglich 20 bis 30 Düsenjäger montiert. 

Ab April 1944 werden vor allem Menschen aus Italien, der Sowjetunion, der  Slowakei, Belgien, Polen, der Ukraine, Frankreich und Jugoslawien zur REIMAHG deportiert. Unter den Bürger*innen der Sowjetunion, Italiens, Polens und der Ukraine sind auch Frauen, Jugendliche und Kinder. Rund um den Walpersberg entstehen diverse Lager; in der Anfangszeit sind auch in der Stadt selbst Zwangsarbeiter*innen untergebracht. Sie müssen hauptsächlich die Transportinfrastruktur errichten, das bestehende Stollensystem ausbauen, Bunker betonieren und in der Montage der Flugzeuge arbeiten. Durch die furchtbaren Lebens- und Arbeitsbedingungen, Misshandlung und Mord sowie die Todesmärsche sterben in einem Jahr, in dem die REIMAHG bestand, rund 2.000 Zwangsarbeiter*innen. Anfang April 1945 wird ein Großteil der Zwangsarbeiter*innen der REIMAHG Richtung Osten getrieben. Kurz darauf erreicht die US-Armee die Lager der REIMAHG. Rund 1.000 Menschen, die in der Krankenstation der REIMAHG zurückgelassen wurden, werden im nahen Hummelshain befreit. Einige von ihnen sterben noch nach ihrer Befreiung. 

Lernort und Verein

2005 gründet sich der Verein „Walpersberg e.V.“. Seit der Vereinsgründung wurden ein Dokumentationszentrum und eine Dauerausstellung eingerichtet, welche durchschnittlich 3.000 Besucher*innen jährlich verzeichnen. In ehrenamtlicher Tätigkeit werden seitdem die jährlichen Gedenkveranstaltungen organisiert, regelmäßige geführte Rundgänge durch das Dokumentationszentrum und das Gelände des ehemaligen Flugzeugwerkes angeboten, Forschungsarbeiten begleitet, Vorträge und Tagungen durchgeführt sowie Anfragen ans Archiv beantwortet. Nach Herausgabe mehrerer Bücher zum Forschungskomplex erscheint seit einigen Jahren regelmäßig das „Walpersberg-Journal“, das lokale, aber auch überregionale Forschungsergebnisse präsentiert.

Das Projekt

Die Geschichte der Zwangsarbeit jenseits des Systems der Konzentrationslager ist immer noch wenig bekannt. Das ehemalige Rüstungswerk REIMAHG bietet durch seine historische Bedeutung und das entstandene Dokumentationszentrum die Möglichkeit, sich in regionaler Anbindung mit der Thematik in ihrer gesamten Tragweite auseinanderzusetzen. Das Interesse vieler Besucher*innen ist eher von Faszination für technische Aspekte als von Auseinandersetzung mit Zwangsarbeit geleitet. Die entstehende mobile Ausstellung soll durch den dezidierten Gegenwartsbezug Interesse wecken und neue Horizonte eröffnen. 

Das lokale Umfeld ist zum Teil von politischen Haltungen geprägt, die demokratische Strukturen sowie den Anspruch universell geltender Menschenrechte offen ablehnen. Durch Bildungs- und Vernetzungsmaßnahmen nach innen und außen kann ein Raum geschaffen werden, in dem diese Werte gestärkt werden. Langfristig soll am Walpersberg ein Ort entstehen, der sich nicht nur mit historischen Hintergründen der NS-Zwangsarbeit auseinandersetzt und diesbezüglich Wissen vermittelt, sondern auch auf aktuelle Debatten – nicht nur in der Region – einwirken kann. Gerade das Thema Zwangsarbeit kann dabei die Verantwortung Einzelner und der Gesellschaft deutlich herausarbeiten und so Anknüpfungspunkte für die Gegenwart bieten.

Die geplante Ausstellung soll folgende Themenkomplexe behandeln:

  • Die Geschichte der Zwangsarbeit vor 1933
  • Die Geschichte der Zwangsarbeit 1933 - 1945 generell und insbesondere bei der REIMAHG 
  • Arbeit und Leben unter unmenschlichen Bedingungen in der Gegenwart 

Ergänzend soll ein Audioguide auf Deutsch, Englisch und Italienisch zur Ausstellung erstellt werden (eine der größten Gruppen von deportierten Personen und damit auch aktuell ausländischen Besucher*innen kommt aus Italien).

Daneben sollen – anschließend an bisherige Aktivitäten des Vereins wie bspw. Tagungen – Selbstbildungs- und Vernetzungsmaßnahmen durchgeführt werden, die sich sowohl an Vereinsmitglieder als auch an Teilnehmende anderer Institutionen richten. Geplant ist insbesondere ein gemeinsamer Workshop mit anderen wenig oder nicht institutionalisierten Lernorten, bspw. der Gedenkstätte Laura oder dem Jonastalverein e.V. zum Thema der angemessenen Rhetorik an besonderen Erinnerungsorten, zum Umgang mit Besucher*innengruppen und zu Konflikt- und Problemmanagement während des Rundgangs.

Ziele sind dabei die Bekanntmachung der Thematik der Zwangsarbeit im Rahmen der REIMAHG über den konkreten Ort hinaus sowie Anregung zur Reflexion über Formen der Zwangsarbeit in der Gegenwart. Das Thema kann bspw. in Schulen oder öffentliche Einrichtungen getragen werden, ohne dass zwangsläufig das mit dem ÖPNV schwer erreichbare Dokumentationszentrum besucht werden muss. Lehrer*innen sollen durch Begleitmaterialien dazu befähigt werden, mit der Ausstellung zu arbeiten, ohne dass  Begleitung durch den Walpersberg e.V. (im Rahmen der ehrenamtlichen Tätigkeit häufig nur begrenzt möglich) unbedingt nötig ist. Durch die mobile Ausstellung ist Wissensvermittlung zur Geschichte und Gegenwart von Formen von Zwangsarbeit unabhängig von der wechselnden Personalsituation und den ehrenamtlichen Ressourcen im Dokumentationszentrum möglich. Zu den Tätigkeiten des Walpersberg e.V. gehört seit jeher die Betreuung von Besucher*innengruppen und insbesondere auch von Schüler*innen. Die geplante mobile Ausstellung ermöglicht es, weitere Kreise gerade auch in Schulen der gesamten Region zu erreichen.

Weitere Informationen zur Geschichte der REIMAHG:

https://www.walpersberg.com/.

Informationen zur Ausstellung:

Tel.: 036424/784616
Email: buero [at] walpersberg [dot] com.

Literatur

Bartuschka, Marc: „Unter Zurückstellung aller möglichen Bedenken…“ Die NS-Betriebsgruppe „Reichsmarschall Hermann Göring“ (REIMAHG) und der Zwangsarbeitereinsatz 1944/45, Göttingen 2011.

Buggeln, Marc; Wildt, Michael (Hrsg.): Arbeit im Nationalsozialismus, München 2014.

Knigge, Volkhard; Lüttgenau, Rikola-Gunnar; Wagner, Jens-Christian: Einleitung, in: Knigge, Volkhard; Binner, Jens (Hrsg.): Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg. Begleitband zur Ausstellung, Weimar 2010, S.6-12.

Spoerer, Marc: Zwangsarbeit unterm Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939 – 1945, Stuttgart 2001. 

Süß, Dietmar: „Herrenmenschen“ und „Arbeitsvölker: Zwangsarbeit und deutsche Gesellschaft, in: Knigge, Volkhard; Lüttgenau, Rikola-Gunnar; Wagner, Jens-Christian (Hrsg.): Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg. Begleitband zur Ausstellung, Weimar 2010, S.222-231.

Wagner, Jens-Christian: Zwangsarbeit im Nationalsozialismus – Ein Überblick, in: Knigge, Volkhard; Lüttgenau, Rikola-Gunnar; Wagner, Jens-Christian (Hrsg.): Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg. Begleitband zur Ausstellung, Weimar 2010, S.180-193.

Autorinneninfo: Maria Döbert hat Romanistik, Neuere und Neueste Geschichte sowie Osteuropäische Geschichte studiert. Sie arbeitet derzeit in der Gedenkstätte Amthordurchgang in Gera. 

 

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