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Rezension „Der Tod hat nicht das letzte Wort“

Kaumkötter, Jürgen: Der Tod hat nicht das letzte Wort. Kunst in der Katastrophe 1933-1945, Verlag Galiani, Berlin 2015.

Von David Zolldan

Das reduzierte Verhältnis

Anlässlich des 70. Jahrestags der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau eröffnete die Ausstellung „Der Tod hat nicht das letzte Wort“ im Paul-Löbe-Haus des Bundestags. Die von Jürgen Kaumkötter auf der Grundlage seiner umfassenden Monographie kuratierte und nahezu gleichnamige Schau endete mit dem Titelzusatz „Niemand zeugt für den Zeugen“. Dieser Verweis auf die Schlusszeilen von Paul Celans Gedicht „Aschenglorie“ kann als programmatisch für Kaumkötters Anliegen gesehen werden: Das Urteil des in seinen Augen unreflektierten Urteils, bildende Kunst aus den Lagern sei einzig als ‚Zeugnis’ des Holocausts zu betrachten. Dagegen muss es, so Kaumkötter in einem Interview, um den Versuch gehen, „den Menschen und das Kunstwerk ernst zu nehmen«, ihn nicht »auf ein Produkt seiner Mörder“ (S. 16) zu reduzieren. Das eigenständige künstlerische Schaffen werde in die Biografie gedrückt, „durch die alles wissende Retroperspektive verzerrt« und wie im Falle von Peter Weiss, Peter Kien oder auch Felix Nussbaum »unter dem Mühlenrad der Zeitgschichte zerdrückt.“ (S. 208) Gerade die Kunst aus den Lagern werde so „auf die Funktion als Bildquelle“ (S. 371), „zu einer unantastbaren Opferkunst“ (S. 35) reduziert, selbst wenn sich die Bildaussage einer historisch-politischen Interpretation verweigere. Durch ihre zumindest als indifferent gegenüber dieser Reduktion anzusehende Haltung habe gerade die Kunstwissenschaft hier zu lange versagt. So geht es Kaumkötter dann auch um die Würdigung der Schaffenden eben auch als Künstler, um die Würdigung der Werke – der Portraits, Zeichnungen, Karikaturen – als historische Dokumente und Überlebenstechniken, aber eben auch nach kunsthistorischen Kriterien als eigenständige Kunst. Diesen Anspruch bringt Kaumkötter, selbst Kunsthistoriker mit Schwerpunkt Exil- und Holocaust-Kunst, auch in seinem in diesem Magazin erschienenen Diskussionstext pointiert zum Ausdruck.
Das Beispiel von Marian Ruzamski, dessen biographische Wege und künstlerisches Schaffen Kaumkötter auf über 30 Seiten ausbreitet, illustriert pointiert, worum es Kaumkötter geht. Zwar hätten die Russische Revolution und die beiden Weltkriege das Leben des polnischen Künstlers Ruzamski zutiefst beeinflusst, „aber – und das ist das erstaunlich – nicht seine Kunst.“ (S. 128). Seine Bilder beschrieben nicht den Krieg oder (NS-)Menschenvernichtung, sondern waren leichte und eindringliche Bilder von Sommerfrische mitten in Galizien, so Kaumkötters Urteil. Kaumkötter illustriert das Leben, Wirken und Denken Ruzamkis reich mit seinen Porträts, Ausschnitten aus persönlichen Briefen aber auch Faksimiles von historischen Dokumenten wie einer Eintragung über eine Untersuchung im Lagerkrankenbau des Stammlagers Auschwitz. (S. 141). Kaumkötter nimmt sich wertschätzend dem Schaffen Ruzamskis an, indem er die Bilder seiner „Auschwitz-Mappe“ – 40 Porträts aus dem Lagerkrankenbau – genauso wie Aquarelle aus der Zeit vor seiner NS-Lagererfahrung möglichst unvoreingenommen auf ihren Stil, ihre Beschaffenheit und Aussage prüft. Kaumkötter möchte die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen nicht vernachlässigen, doch kommt er nach 15 Jahren Forschungsarbeit zum Thema zu dem Urteil: „Holocaust und Kunst sind keine unversöhnlichen Begriffe mehr.“ (S. 372)

Kunst der Katastrophe

Genau dieses Spannungsfeld skizziert Kaumkötters Buch unter anderem anhand des Schaffens und Erlebens von Yehuda Bacon, Anselm Kiefer oder Otto Pankok. Zwar urteilt Kaumkötter selbst, sein umfangreiches Werk solle „keine Enzyklopädie“ (S. 16) sein, doch kritisierte Julia Voss in ihrer Rezension für die Frankfurter Allgemeine Zeitung nicht zu Unrecht den an einigen Stellen aufgrund seines Umfangs „kursorisch“ bleibenden Charakter des reich illustrierten Werks. Kaumkötter widmet seinen kunsthistorischen Blick Werken der Widerstandskunst, der verfolgten Kunst, der Kunst aus Ghettos, aus dem politischen Exil und den Verstecken (Vgl. das Bsp. von Felix Nussbaum u.a.). Kunst in und nach Auschwitz wird dabei zu einem die Makroebene spiegelnden Mikrouniversum. Dem Autor gelingt die Leistung Geschichte und Kunst in ihren jeweils biografischen aber auch strukturellen Ebenen nachzuzeichnen. Diese Form der verflechtenden Geschichte erlaubt anhand der rahmenden Untersuchungen des Mediums Bildende Kunst Einblicke in den Kunstbegriff der Zeit, in die verschiedenen Funktionen der Lager-Kunst, biografische Stationen der Künstler/innen sowie der von diesen Porträtierten. Er lässt damit Raum für Schilderungen von Widerstand, Opfern und Tätern, Ambivalenzen und Kollaborationen. Kaumkötter informiert entlang geschichtlicher Ereignisse wie dem 9. November 1938, über die Funktionen von Kunst im Lager, Befreiung der Lager, verweist auf postnazistische Verflechtung und Kunst-Rezeptionen. Kaumkötters ineinander verwobenen Erzählebenen leisten damit eine systematische Einführung in die Fragen, Motive und Themen der Kunstsprache der Katastrophe in ihren verschiedenen Phasen.
Im Lager verloren die Kunstwerke ihre Symbolsprache und Metaphern, die Bilder wurden direkt und unmittelbar. Nach 1945 kehrten sie im Übermaß zurück. Die meisten Künstler nutzten „aufdringliche Metaphern, rhetorische Figuren“ wie Stacheldraht, Ruinenlandschaften, düstere Himmel oder christliche Symbole. Sinnbilder, Inhalt und Wirkung hatten sich stark voneinander entfernt; die traditionelle Ikonographie war in die Krise geraten. Ausgehend von diesen Beobachtungen entfaltet Kaumkötter wiederkehrend Adornos häufig undialektisch verkürztes Diktum, wenn er beispielsweise schreibt: „Nach Auschwitz ein Bild zu malen, ist barbarisch. Erst der Nachkriegsgeneration gelingt es wieder.“ (S. 39) Neue formale Möglichkeiten von Comics, Installationen, Performances oder der Videokunst ermöglichten neue Wege für „die emotionale Einbeziehung des Betrachters“ (S. 318) zu gehen; sie fanden eine Sprache abseits des religiös-ikonografischen Ausdrucks. Als Schlüssel gegen die Entmündigung der Kunst der Katastrophe seien die Arbeiten von Sigalit Landau oder Michel Kichka durch ihr Potenzial zur „Befreiung der Emotion aus dem Gefängnis der Metaphern“ (S. 374) beispielhaft. Die Bildhauerin Landau beispielsweise ließ für „The Victory of Memory“ 100 Paar Schuhe aus der Gegenwart in einem Haufen im Toten Meer versenken. Ummantelt vom „heilenden Salz“ wurde der Haufen vom tiefsten Punkt der Welt „mit der kollektiven Erinnerung (…) an die Shoa“ nach Berlin, „in das Herz der deutschen Demokratie“ gebracht und zum Sinnbild der „Versöhnung“. (S. 357) Das Spiel mit der unfreiwilligen Assoziation zu den ikonografisch gewordenen Schuhbergen im Staatlichen Museum Auschwitz Birkenau und der Versöhnungsrhetorik kann jedoch erneut als sich der von Kaumkötter kritisierten Ebene der bedeutungsschwangeren Metaphern der frühen Nachkriegszeit annähernd betrachtet werden.

Fazit

Indem Kaumkötter die Motive, die Materialienbeschaffung, die Verbreitungswege und damit unter anderem die Intentionen, Handlungsräume und Ambivalenzen der Kunst der Katastrophe skizziert, entsteht ein gelungener Wechsel zwischen Mikro- und Makroebene, zwischen individuellen Lebensgeschichten, der Rolle der Kunst für das Überleben und Nachleben, sowie struktureller Geschichtserzählung. Kaumkötters flüssig geschriebenes Werk vermag die/den Leser/in anzuregen, nicht nur kunstwissenschaftliche und zeithistorische Urteile und Perspektiven, sondern viel globaler festschreibende retroperspektive Wahrnehmungsmuster auf die Zeit des NS zu hinterfragen.

 

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