Ein Gedenkbuch für die verstorbenen sowjetischen Kriegsgefangenen auf dem Friedhof Hammelburg
Von Anne Lepper
Ein Rotarmist, der in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten war, musste sich in der Sowjetunion auch noch lange Zeit nach dem Ende des Krieges mit dem Vorwurf des Vaterlandsverrates abfinden. Dementsprechend galten auch jene Soldaten, die in der Gefangenschaft umgekommen waren, in der sowjetischen Mehrheitsgesellschaft bis in die 1990er-Jahre hinein als nicht „erinnerungswürdig“. Ihr Schicksal wurde stattdessen nach 1945 in der Öffentlichkeit weitgehend verschwiegen. Erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion setzte ein Prozess ein, in welchem die in deutscher Gefangenschaft gestorbenen Rotarmisten allmählich in das kollektive Gedächtnis und in nationale Gedenkkonzepte aufgenommen wurden. Auch in der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung in Deutschland spielten die sowjetischen Kriegsgefangenen lange Zeit nur eine untergeordnete Rolle – das es sich bei ihnen um die zweitgrößte Opfergruppe der nationalsozialistischen Verbrechen handelte, war und ist bis heute nur teilweise im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert.
Angaben über sowjetische Kriegsgefangene in deutschen Lagern
Eine Ursache für die gesellschaftliche Nichtbeachtung der sowjetischen Kriegsgefangenen besteht gewiss darin, dass die zahlreichen sowjetischen Kriegsgräberstätten auf bundesdeutschem Boden lange Zeit als anonyme Grabstätten tausender unbekannter Toter fungierten. Um dem entgegenzuwirken wurde im Jahr 1999 ein deutsch-russisches Gemeinschaftsprojekt ins Leben gerufen, mit dem Ziel, den auf den Friedhöfen bestatteten sowjetischen Soldaten einen Namen und ein Gesicht zu geben. Finanziert durch das Bundesministerium des Innern, den Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien und des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. versuchen die Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten auf deutscher Seite und die Assoziation „Voennye Memorialy“ und das Militärarchiv Podolsk (ZAMO) auf russischer Seite seither, die auf den deutschen Soldatenfriedhöfen bestatteten sowjetischen Kriegsgefangenen zu identifizieren. Ein wichtiger Schritt in diesem Ansinnen gelang den Projektmitarbeiter/innen mit der Erschließung der WASt-Aktenbestände (Wehrmachtsauskunftstelle), die bis dahin als verschollen gegolten hatten. Die Unterlagen enthalten umfangreiche persönliche und militärische Daten jener sowjetischen Kriegsgefangenen, die zwischen 1941 und 1945 in das Deutsche Reich verschleppt wurden. Auf Grundlage der neuen Kenntnisse wurde im Rahmen des Pilotprojektes eine Datenbank erstellt, die inzwischen Auskunft über etwa 55.000 sowjetische Kriegsgefangene gibt.
Gedenkbuch für den Friedhof Hammelburg
Anhand der ermittelten Daten wurde außerdem ein Gedenkbuch erarbeitet, das ein Verzeichnis der auf dem Friedhof Hammelburg in Bayern bestatteten Toten enthält. Das Buch stellt Informationen zu über 700 der 3000 auf dem Friedhof bestatteten sowjetischen Kriegsgefangenen bereit. Ziel des Forschungsprojektes ist es, in den kommenden Jahren weitere Gedenkbücher für verschiedene Friedhöfe anzulegen, um so die vielen Toten der Anonymität zu entreißen und ein individuelles Gedenken an den jeweiligen Begräbnisorten zu ermöglichen. Das Gedenkbuch bietet darüber hinaus weitere Informationen über die Behandlung von sowjetischen Kriegsgefangenen in Deutschland, den Umgang mit Kriegsgräberstätten in der Bundesrepublik nach 1945 und die Arbeit des Forschungsprojektes. Dabei wird auch auf die transnationalen Aspekte des Projektes und den Wert des interkulturellen Austauschs zwischen den nachfolgenden Generationen eingegangen.
Implementierung in den Unterricht
Das Gedenkbuch des Friedhofs Hammelburg kann im Unterricht hervorragend als Quellenmaterial dienen. Es empfiehlt sich für eine intensive inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema Kriegsgefangenschaft im Kontext des Zweiten Weltkriegs jedoch auf weiterführende Literatur zurückzugreifen.
Die Druckversion des vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. herausgegebenen Gedenkbuches ist inzwischen leider vergriffen, es kann jedoch eine PDF-Version des Buches kostenlos heruntergeladen werden.
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- 13 Nov 2013 - 09:45