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Katholischer Protest gegen „Euthanasie“ und Kinopropaganda für die Mordaktionen

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Christian Kuchler, Professor für die Didaktik der Gesellschaftswissenschaften an der RWTH Aachen University; zuvor sechs Jahre Lehrer an verschiedenen Gymnasien für die Fächer Geschichte und Deutsch sowie Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Akademischer Rat an der Universität Regensburg. Arbeitsschwerpunkte: Medieneinsatz im Geschichtsunterricht, Lernen am historischen Ort und Zeitgeschichte.
Von Christian Kuchler

Der katholische Protest gegen die „Euthanasie“, den Massenmord an geistig und körperlich behinderten Menschen also, gehört zu den prominentesten Beispielen für Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur. Neben dem bekannten Protest des Bischofs von Münster, Clemens August Graf von Galen, agierte die katholische Kirche aber auch gegen die NS-Propaganda für den Krankenmord. In mehreren Regionen Deutschlands traten Kleriker dem Film „Ich klage an“ entgegen und erreichten teilweise sogar seine Absetzung von den lokalen Kinoprogrammen.

Als Bischof Galen am 3. August 1941 in einer Predigt öffentlich die Ermordung „lebensunwerter“ Personen durch den Staat anprangerte und zudem die Frage aufwarf, ob künftig auch Kriegsversehrte getötet werden würden, löste er den größten Skandal der NS-Zeit aus. Seine Worte verbreiteten sich nicht nur im gesamten Reich, sondern sie fanden sehr schnell auch zu den Soldaten. An allen Fronten des Krieges lassen sich Abschriften der Predigten Galens nachweisen. Das staatlich organisierte Morden, auch zuvor Teilen der Bevölkerung durchaus bekannt, war endgültig an das Licht einer breiten Öffentlichkeit getragen worden. Dass von Galen nicht verhaftet wurde, bestätigte zusätzlich seine Aussagen. Kaum drei Wochen nach der Predigt reagierte das Regime. Die planvolle Massenvergasung von erwachsenen Patienten fand ihr Ende. Ob diese Entscheidung ursächlich oder nur in Teilen mit dem katholischen Protest zusammenhing, ist in der Forschung allerdings umstritten.

Trotz des Verzichts auf Vergasungen gingen die Morde an Kranken weiter, indem beispielsweise die Nahrungsmittel für Heime gekürzt wurden. Die Propaganda versuchte noch im Sommer 1941 die Ermordung von „lebensunwertem Leben“ populärer zu machen und damit auch dem katholischen Protest entgegenzutreten. Der am 29. August 1941 in Berlin uraufgeführte Spielfilm „Ich klage an“ sollte diesem Zweck dienen. 

Er erzählt von einer unheilbar an Multipler Sklerose erkrankten jungen Frau. In eindringlichen Bildern schildert der Film den körperlichen Verfall der Protagonistin, deren Ehemann, ein Medizinprofessur, beendet ihr Leben, indem er ihr Sterbehilfe gewährt. Seine Tat wird im Film als moralisch integre Hilfestellung dargestellt, die juristisch nicht belangt werden dürfe.

In den Kinos sollte damit für die Ermordung Kranker geworben werden. Zeitgenössische Stimmungsberichte des Sicherheitsdienstes der SS belegen jedoch, dass dies nur teilweise gelang. Der Misserfolg der NS-Propaganda war nicht zuletzt ein Erfolg der katholischen Kirche.

Wie keine andere Institution protestierte die katholische Kirche gegen den Film. Schon aus Anlass der Premiere stellte der Berliner Bischof Konrad Graf von Preysing eine Warnung zusammen, die er an alle Bischöfe Deutschlands verschickte. Ebenso wie der Bischof von Mainz, Albrecht Stohr, äußerte er sich auch öffentlich gegen „Ich klage an“. Der breiteste und nachhaltigste Widerstand zeigte sich aber in Passau. In der sehr katholischen Region formulierte Bischof Landersdorfer ein eigenes Hirtenwort gegen den Film. Unter dem Titel „Recht über das Leben“ deckte er schonungslos die propagandistische Funktion von „Ich klage an“ auf. Unter Verweis auf § 211 BGB betonte er, dass der Mord an Kranken nicht nur gegen die christlichen Gebote, sondern auch gegen die staatlichen Gesetze verstieß. „Daher handelt jeder, der in Wort und Bild verkündet, dass man unheilbar Kranke töten dürfe oder töten soll, nicht etwa nur gegen die Kirche, sondern erst recht gegen den Staat, weil er eines der allerwichtigsten Grund- und Sittengesetze des menschlichen Zusammenlebens unterhöhlt“, warnte Landersdorfer.

Das Hirtenwort mit dem Titel „Recht über das Leben“ wurde in allen Orten der Diözese jeweils nach den lokalen Kinovorstellungen von „Ich klage an“ verlesen. Die Propagandafunktion des Films war damit stark beeinträchtigt, so dass die Regierungsstellen im Winter 1941 die Konsequenz zogen und das Propagandawerk aus den Lichtspielhäusern der Region Passau nahmen. 

Katholische Proteste gegen die „Euthanasie“-Morde zeigten also Wirkung. Zugleich bleibt festzustellen, dass es ähnliche katholische Initiativen gegen die Shoa nicht gab. Obschon auch Propagandawerke wie „Jud Süß“ Grundlage für Protest hätten sein können, enthielten sich die katholischen Bischöfe hier kritischer Aussagen. 

Dennoch zeigt der kirchliche Protest gegen die „Euthanasie“ selbst ebenso wie jener Widerstand gegen die Kinopropaganda für den Krankenmord, dass der Widerstand kommunikativer Teilöffentlichkeiten, wie sie innerhalb der katholischen Kirche zweifellos existierten, dem NS-Regime Zugeständnisse abringen konnte. Zu fragen bleibt, warum von diesen Handlungsspielräumen nicht mehr katholische Repräsentanten Gebrauch machten. 

Literatur

Winfried Süß: „Dann ist keiner von uns seines Lebens mehr sicher“. Bischof von Galen, der katholische Protest gegen die „Euthanasie“ und der Stopp der „Aktion T4“, in: Martin Sabrow (Hrsg.): Skandal und Diktatur. Formen öffentlicher Empörung im NS-Staat und in der DDR, Göttingen 2004, S. 102 – 129.

Christian Kuchler: Bischöflicher Protest gegen nationalsozialistische „Euthanasie“-Propaganda im Kino: „Ich klage an“, in: Historisches Jahrbuch 126 (2006), S.269-294.

Michael Burleigh: Tod und Erlösung. Euthanasie in Deutschland 1900 -1945, Zürich 2002, besonders S.211-256.

 

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