Wir feiern 2024 den 35. Jahrestag der Friedlichen Revolution und den 34. Jahrestag der deutschen Einheit. Viel wurde in den letzten Jahren über die Probleme und Verwerfungen nach der Wiedervereinigung geschrieben und erzählt. Wir können dabei heute nicht auf den Transformationsprozess nach 1989 blicken, ohne auch den Unrechtsstaat DDR zu betrachten, den Alltag, die katastrophale Wirtschaftslage und die starke Umweltzerstörung, weiterhin Anpassung und Verweigerung, Verantwortung und Versagen, aber auch Widerspruch, Zivilcourage sowie zivilen Ungehorsam bis hin zum Widerstand.
Vor allem zu Beginn der 1990er Jahre war eine Haltung, bloß nicht bei sich selbst nach der eigenen Verantwortung zu fragen, für viele bequem. Weit verbreitet war die Mentalität, dass „die da oben“ die Probleme lösen müssten. Parteipolitisch wurde insbesondere von der PDS, mittlerweile aufgegangen in der Partei Die Linke, harsche Kritik an „dem Westen“ geübt. Heute werden die Losungen von damals wie „Wir sind das Volk“ und „Vollende die Wende“ von der AfD als Wahlwerbung missbraucht. Diesem Versuch, die Deutungshoheit über die DDR-Diktatur an sich zu reißen, müssen wir couragiert entgegentreten. Denn einerseits wird mit dieser Verwendung unterstellt, die Revolution von 1989 sei nicht erfolgreich gewesen. Andererseits wird behauptet, in der Bundesrepublik herrschten heute ähnliche Verhältnisse wie damals in der DDR – einem Unrechtsstaat.
Die Revolutionen der Jahre 1989 bis 1991 in Mittelosteuropa und in der DDR führten zum Sturz des Kommunismus, zum Ende des Kalten Krieges, leiteten eine globale Zeitenwende ein und ermöglichten die weitere Einigung Europas. In diesem Prozess ging es vielen Menschen in der ehemaligen DDR und den mittelosteuropäischen Ländern, die Zivilcourage und Widerstand geleistet haben, um die Einforderung elementarer Grund- und Menschenrechte, die tagtäglich mit Füßen getreten worden waren. Ihr Engagement war ein Motor der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, was in der öffentlichen Wahrnehmung heute nicht ausreichend anerkannt wird. Das gilt insbesondere für Frauen, die oft an der Spitze der Bewegung standen, wie z.B. die Frauen der Solidarność in Polen.
Frauen engagierten sich in der DDR der 1980er Jahre vor allem in Frauen-, Lesben-, Friedens-, Menschenrechts- und Umweltgruppen. Mit oft sehr kreativen Aktionen stellten sie frühzeitig politische und gesellschaftliche Fragen, die in der Diktatur tabuisiert waren, und rüttelten damit an der Legitimität des SED-Staates. Dafür nahmen die Frauen staatliche Repressionen wie berufliche Einschränkungen oder Studien- und Bildungsverbote in Kauf. Während der Friedlichen Revolution von 1989, deren Ausgang zu dieser Zeit noch ungewiss war, engagierten sie sich in der ersten Reihe. Sie verteilten Flugblätter, organisierten Protestaktionen und Friedensgebete oder arbeiteten in den neu gegründeten Parteien und Bürgerbewegungen und an den Runden Tischen mit. Sie wehrten sich aktiv gegen die Diktatur und die damit einhergehenden Freiheitsbeschränkungen, gegen die fehlende Meinungsfreiheit, gegen eine fehlende Rechtsstaatlichkeit, gegen die fehlende Unabhängigkeit der Justiz, die fehlende Reisefreiheit und die Einschränkung der politischen Teilhabe.
An dieses Engagement immer wieder zu erinnern ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb ist es aus Sicht des Archivs Bürgerbewegung Leipzig e.V. wichtig, immer wieder z.B. mit eigenen oder mit Wanderausstellungen in die Öffentlichkeit zu gehen. Die Wanderausstellung „Gemeinsam sind wir unerträglich“ von der Agentur für Bildung, Geschichte und Politik e.V. haben wir aus diesem Grund sofort nach Leipzig geholt. Wird doch in der Ausstellung zum ersten Mal umfassend und ausführlich die nichtstaatliche DDR-Frauenbewegung aus Sicht der Akteurinnen thematisiert. Damit wird eine Lücke in der bisherigen Aufarbeitungslandschaft geschlossen.
Damit die Übernahme so einer Wanderausstellung auch erfolgreich wird und viele Besucher*innen angezogen werden, ist es wichtig, ein spannendes und umfangreiches Begleitprogramm zu organisieren. Hier können Facetten der jeweiligen Ausstellung vertieft werden und es besteht die Möglichkeit zu einem direkten, authentischen Austausch mit Zeitzeuginnen. Wir haben deshalb neben der Eröffnungsveranstaltung ein umfangreiches Begleitprogramm mit drei thematischen Veranstaltungen organisiert. Dabei war es für uns besonders wichtig, neben einer Thematisierung des Einflusses des Ministeriums für Staatssicherheit auf die Frauen- und Friedensgruppen auch die mittelosteuropäische Perspektive zu berücksichtigen, weshalb wir auch nach Polen geschaut haben. Hier gab es Parallelen hinsichtlich der fehlenden öffentlichen Wahrnehmung der Rolle der Frauen in den Protestbewegungen.
Wichtig bei der Übernahme von Wanderausstellungen ist eine gute und partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Kurator*innen der Ausstellung und den Organisationen, welche die Ausstellung übernehmen und vor Ort präsentieren. Auch sollten Wanderausstellungen leicht zu transportieren und aufzubauen sein. Dies war bei der Ausstellung „Gemeinsam sind wir unerträglich“ dank einer professionellen Vorbereitung gegeben.
Ausstellungstafel in Leipzig. © Uwe Schwabe
Die Ausstellungseröffnung war mit über 80 Besucher*innen ein großer Erfolg. Nach dem Kurzvortrag der Kuratorin Rebecca Hernandez-Garcia gab es eine sehr anregende Diskussion. Auch nach der Eröffnung ist das Interesse an der Ausstellung ungebrochen.
Ausstellungseröffnung in Leipzig. © Uwe Schwabe
Die Ausstellung aktualisiert die Frage, warum man sich heute überhaupt noch mit der SED-Diktatur und dem Widerstand dagegen auseinandersetzen sollte. Um zu begreifen, wie eine Diktatur in Deutschland funktioniert hat und auch wieder funktionieren könnte, ist es wichtig zu wissen, welche äußeren und inneren Rahmenbedingungen dies ermöglich(t)en. Rahmenbedingungen, unter denen Menschen dazu bereit sind, andere anzuschwärzen und zu verraten. Damit billigend in Kauf zu nehmen, dass die Betroffenen persönliche Nachteile erleiden und verfolgt werden, im Gefängnis landen können und schlimmstenfalls zu Tode kommen. Warum verhalten sich Menschen auf diese Weise und unterstützen direkt oder indirekt diktatorische Strukturen? Erst wenn man diesen Mechanismus begreift, kann man die Fragilität eines freien demokratischen Staates erkennen und die Notwendigkeit, sich für dessen Erhalt einzusetzen.
Es gibt keinen idealen Staat. Deshalb müssen wir ständig an seiner Verbesserung arbeiten und für mehr Gerechtigkeit streiten. Dafür gibt es Möglichkeiten; sie sind nur aufwendiger und anstrengender als die lauten Rufe auf der Straße, das Festkleben an Gemälden und Straßen oder das Anzünden von Autos. Damals ging es um die Abschaffung einer kommunistischen Diktatur. Heute geht es um die Mitgestaltung in einer Demokratie.