Opfer der nationalsozialistischen Massenmorde während des Zweiten Weltkrieges wurden neben Opfergruppen wie Juden und Jüdinnen oder Sinti und Roma auch Menschen mit (unterstellten) geistigen oder körperlichen Behinderungen. Bereits am 1. Januar 1934 trat das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ in Kraft, auf dessen Grundlage in den folgenden Jahren ca. 400.000 Menschen zwangssterilisiert wurden. Die planmäßige Ermordung begann 1939 mit der zentral gesteuerten so genannten T4-Aktion, in deren Rahmen sechs Tötungsanstalten in Bernburg, Brandenburg, Grafeneck, Hadamar, Hartheim (heute Österreich) und Pirna-Sonnenstein eingerichtet wurden. Im Sommer 1941 wurde die T4-Aktion zwar eingestellt, das Töten ging jedoch in nun lokal oder regional organisierten Maßnahmen bis 1945 weiter. In allen ehemaligen Tötungsanstalten sind heute Gedenkstätten eingerichtet. An dieser Stelle soll das besondere Angebot der Gedenkstätte Hadamar vorgestellt werden.
Die ehemalige Tötungsanstalt Hadamar liegt in der Nähe von Limburg in Hessen und wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts als so genannte Korrigendenanstalt gegründet. Im Rahmen der T4-Aktion wurde Hadamar Ende 1940 zur Tötungsanstalt umgebaut. 1941 wurden hier etwa 10.000 Menschen in der Gaskammer ermordet. Auch in der so genannten Zweiten Mordphase ab 1941 starben hier noch einmal etwa 4.500 Menschen durch überdosierte Medikamentengaben und gezielte Mangelernährung. Die Gedenkstätte Hadamar wurde 1983 als erste deutsche NS-Euthanasie-Gedenkstätte gegründet.
Die Gedenkstätte Hadamar ist ein Gedenkort, der neben der Dauerausstellung auch Führungen, Seminare und Studientage für Gruppen anbietet. Ausgehend von der Feststellung, dass jedoch Menschen mit Lernschwierigkeiten bisher nicht als Zielgruppe der historisch-politischen Bildung angesehen werden, sie jedoch speziell in den Euthanasie-Gedenkstätten einen Großteil der Opfergruppe ausmachten, arbeitet der Verein zur Förderung der Gedenkstätte Hadamar e. V. seit 2003 mit 'Mensch zuerst' – Netzwerk People First Deutschland e. V. zusammen.
In mehreren Workshops erarbeiteten Pädagoginnen und Menschen mit Lernschwierigkeiten zwischen 2003 und 2008 ein Konzept, um NS-Gedenkstätten für diese Zielgruppe zu öffnen. Uta George hat von den Erfahrungen des ersten Workshops in einem Beitrag auf Lernen aus der Geschichte berichtet sowie das Gesamtprojekt in einem weiteren Beitrag vorgestellt. Entstanden sind ein Faltblatt, ein Katalog und eine Hörversion, die es Menschen mit Lernschwierigkeiten ermöglichen, sich die Gedenkstätte in Leichter Sprache zu erschließen.
Der Katalog ist als Begleiter durch die Ausstellung in der Gedenkstätte Hadamar gedacht. Somit sind die einzelnen Kapitel entsprechend der Tafeln der Ausstellung strukturiert. Zu beinahe allen Tafeln gibt es Erläuterungen der Tafel, dort gezeigter Bilder und Fotos sowie den Text in Leichte Sprache übersetzt. Einzelne Graphiken oder Fotos sind im Katalog noch einmal abgebildet und werden dort gesondert erläutert. So können Menschen mit Lernschwierigkeiten die Ausstellung selbstständig für sich erschließen.
Entsprechend des Ergebnisses des ersten Workshops, keinen Ort und kein Thema zum nationalsozialistischen Mord an vermeintlich kranken und behinderten Menschen auszulassen, umfasst auch der Katalog in Leichter Sprache alle Themen der Ausstellung in der Gedenkstätte Hadamar. Er verdeutlicht die Propagandaaktion der Nationalsozialisten gegen Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen, beschreibt sehr detailliert den konkreten Ablauf der Tötungsaktionen, stellt Vertreter einzelner Opfergruppen vor und betont die Beteiligung unterschiedlicher Täterinnen und Täter. Auch vermeintlich komplexere Zusammenhänge wie die Wirkung der Proteste des Bischofs von Galen, die Gerichtsverfahren der Nachkriegszeit oder der Kampf um Wiedergutmachung und Erinnerung werden thematisiert.
Für Pädagogen und Pädagoginnen in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit mit Lernenden mit Lernschwierigkeiten ist das Angebot der Gedenkstätte Hadamar eine große Bereicherung. Der Katalog kann nicht nur bei einem Rundgang durch die Ausstellung verwendet werden, sondern auch zur Vorbereitung des Besuches einer der Euthanasie-Gedenkstätten oder ausschnittsweise auch im Unterricht Verwendung finden.
Auch für Menschen ohne Lernbehinderung stellt die Lektüre des Kataloges eine interessante Bereicherung und Perspektivenverschiebung dar. Die Leichte Sprache macht deutlich, dass konventionelle Formulierungen beispielsweise in Ausstellungstexten vor allem aus einem Anspruch auf ein vermeintlich „hohes Niveau“ heraus verwendet werden, ohne dass dadurch ein Mehr an Inhalt transportiert würde. Dem unverfälschten Stil der Leichten Sprache gelingt es, die Hintergründe und konkrete Durchführung der nationalsozialistischen Massenmorde erschreckend klar zu vermitteln. Durch den Verzicht auf Fremdwörter, Anglizismen und leere Phrasen nimmt das Verbrechen eine sehr konkrete Gestalt an, die durch Texte in Schwerer Sprache nicht so leicht erreicht werden kann. Auch aus diesem Grund lohnt sich ein Blick in den Katalog.