Islam. Politische Bildung und interreligiöses Lernen.
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Von Ingolf Seidel
Ohne Frage ist die Beschäftigung mit dem Islam ein Bestandteil des Schulunterrichts wie auch der außerschulischen Bildung ein wichtiger Bestandteil geworden. Angesichts des Umstandes, dass der Islam die zweitgrößte Religionsgemeinschaft in Deutschland darstellt, wird ihm noch immer zu wenig - vor allem zu wenig differenzierte, nicht stereotypisierende Aufmerksamkeit geschenkt. Diesem Manko möchte die Bundeszentrale für politische Bildung mit einer Reihe von 10 Modulen unter dem Titel „Islam“ abhelfen, die sich verschiedenen Themenbereichen der politischen Bildung und des interreligiösen Lernens zu dieser Weltreligion annehmen.
Zielgruppen und Einsatzmöglichkeiten
Die Module werden unterteilt in fünf Einzellieferungen angeboten und sind als Loseblattsammlungen mit beiliegender CD-ROM aufbereitet. Auf der CD sind die Texte und Abbildungen aller veröffentlichten Einheiten im PDF-Format verfügbar, so dass die Nutzer/innen nicht gezwungen sind, sämtliche Module käuflich zu erwerben und zudem liegen so die Quellen als Druckvorlagen für den Einsatz in der Praxis vor. Die Zielgruppen der Module reichen von der Primarstufe über Sek I und II bis zu Erwachsenen. Die entsprechenden Einsatzmöglichkeiten sind bei den einzelnen Einheiten angegeben. Vorgeschlagen wird die Verwendung des Materials vor allem für Projektwochen und -tage, Referate und Semesterkurse in den Fächern historisch-politische Bildung und Religion angegeben. Daher sind, so einer der Projektleiter und Autoren Wolfgang Böge, „die einzelnen Teile nicht stringent als zu verarbeitende Unterrichtsreihen geplant, obwohl ein didaktischer Aufbau und die Anordnung der Materialien den Einsatz als Unterrichtseinheiten erleichtern.
Zielsetzungen
Eine ausführliche Würdigung der über 1.000 Seiten umfassenden Materialien würde an dieser Stelle den vertretbaren Rahmen sprengen. Daher soll im Folgenden vor allem auf das erste Modul „Projektübergreifende Materialien“ etwas ausführlicher eingegangen werden.
In einer Einführung in dieses Modul, die als „Brief an die Kolleginnen und Kollegen“ betitelt ist, stellt Wolfgang Böge heraus, dass es nicht der Anspruch der „Arbeitshilfe zur politischen Bildung“ sein kann, den gesamten theologischen Diskurs des Islam wiederzugeben. Es sollen aber „in der didaktischen Zuspitzung“ Grundlagen geboten werden, die bei Schülerinnen und Schülern den „Lernprozess in Richtung auf eine selbständige Urteilsfindung“ fördern, ohne ein „spezifisches Bild des sehr vielfältigen Islam“ (S. 4) zu zeichnen. Gerade vor dem Hintergrund einer islamistischen Ausformung und Auslegung des Islam, die im Übrigen weniger als Orthodoxie, denn als revolutionäre Neuerung wie im Iran verstanden werden sollte, scheint es dringend notwendig, einen differenzierten Umgang mit dem Islam anzustreben und darüber hinaus auch zwischen Religion und verschiedenen landesspezifischen und nationalen Ausprägungsformen oder Überlagerungen zu unterscheiden.
Dem entspricht der Anspruch der Autor/innen einen Perspektivwechsel zu vollziehen und danach zu fragen, „wie der Islam sich selbst versteht“, was nicht zwangsläufig einen „Verzicht auf Kritik“ (S. 8) beinhalte. Diese Prämisse, nämlich eine Religion nach ihrer Binnensicht zu beurteilen und nicht von äußeren Zuschreibungen auszugehen, ist eine Voraussetzung für jegliche Beschäftigung. Hinzu kommt ein notwendiger Verzicht auf Sichtweisen, die einen scheinbar aufgeklärten Westen als Gegenspieler zu einer angeblich rückständigen muslimischen Welt behauptet, wie Jörg Bohn in einer weiterführenden Einleitung unter der Überschrift „Gespräch mit dem Islam“ schreibt.
Themen und Inhalte
Das Modul „Projektübergreifende Materialien“ ist in vier Kapitel aufgegliedert:
- Religiöse Grundaussagen und -begriffe
- Geschichte des Islam
- Gegenwartsfragen
- Der Islam in Kunst, Wissenschaft und Kultur
Wie aus der Überschrift zu entnehmen ist, befasst sich das erste Kapitel mit den Grundlagen des muslimischen Glaubens. In Dokumenten wird auf das Leben Mohammeds eingegangen, die fünf Säulen des Islam werden erörtert sowie zentrale Begriffe wie Sunna, Schia und Scharia. Etwas erstaunlich ist an dieser Stelle die Auswahl der Quellen, die nur zum Teil dem selbstgesetzten Anspruch genügen, Binnensichten des Islam zu repräsentieren.
Dies gilt auch für das zweite Kapitel zur Geschichte des Islam. Neben einer hilfreichen Chronologie, einer Zeittafel zu den islamischen Dynastien finden sich farbige Tafeln zur historischen Ausbreitung und auch die Thematik kolonialer Erfahrungen wird aufgegriffen. Verwunderlich ist allerdings in einem Beitrag zu lesen, dass es dem Islam nie möglich gewesen wäre „Religion und Gesellschaft (...) sowie Religion und Politik voneinander zu trennen“, weshalb er „in seiner Geschichte ein deutliches Sendungsbewusstsein und einen deutlichen Missionsanspruch“ (S. 36) entwickelt hätte. Hier scheint – unnötigerweise – das komplexe Verhältnis von Religion und Gesellschaft mindestens der didaktischen Reduzierung zum Opfer gefallen zu sein. So war beispielsweise im schiitischen Islam die Herrschaft des obersten Rechtsgelehrten, die ein wesentliches Moment der iranischen Revolution darstellte, in der Orthodoxie durchaus umstritten. Die hier vorgenommene Quellenauswahl verwirrt, zumal das Thema im zweiten Modul zu „Politik und Religion im Islam“ differenzierter angegangen wird.
Breiten Raum nimmt das Thema „Gegenwartsfragen“ ein. Dort bieten die Quellen Angaben zur heutigen Verbreitung des Islam, zu Muslimen und muslimischen Organisationen in Deutschland und zur Rolle der Frau im Islam. Die Auswahl der Quelle zum Thema „Ehe im Islam“ (S. 68ff) wirkt ausgesprochen irritierend. Die positive Kenntnisnahme, dass an dieser Stelle eine muslimische Stimme zu Wort kommt erschöpft sich schnell. Der ausführliche, zweiseitige Text stammt aus einem Faltblatt des Islamischen Zentrums Hamburg (IZH). Das schiitische IZH vertritt die staatsoffizielle Religionsauslegung des Irans und wird vom Hamburger Verfassungsschutz beobachtet. Auch wenn der verwendete Text eines Faltblatts erst einmal unverfänglich ist, wäre es doch in so einem Fall angebracht den Hintergrund der Quelle offenzulegen um ein quellenkritisches Arbeiten zu ermöglichen. Gerade bei einem Überblicksmodul, das unter Umständen am häufigsten zum Einsatz kommt, wäre so ein Vorgehen zwingend.
Positiv hervorgehoben werden kann das Aufgreifen von „Einflüssen der islamischen Kultur auf Europa“ im letzten Kapitel des Moduls. Hier werden auch sprachliche Einflüsse offen gelegt und Quellen zu Wissenschaft und Architektur im Islam herangezogen.
Ein Fazit zu den vorliegenden Modulen fällt schwer und kann wegen der Ausschnitthaftigkeit des durchgesehenen Materials auch nur vorläufig sein. Fest steht, der Ansatz der Autor/innen, einen Perspektivwechsel zu vollziehen, wird nur bedingt durchgehalten. Ein Mehr an unterschiedlichen muslimischen Quellen, vor allem an Primärquellen wäre dafür hilfreich. Die fehlende Kontextualisierung der Quellen ist an mindestens einer Stelle ausgesprochen problematisch. Das Gesamtmaterial besticht zweifellos in seiner Fülle und im Umfang. Trotzdem muss Lehrkräften und Trainer/innen der außerschulischen Bildung geraten werden, im Einzelfall die Herkunft der Quellen wenigsten im Internet zu recherchieren.
Die weiteren Module befassen sich mit folgenden Themen
Modul 3: Interreligiöses Lernen 1 (Primarstufe, Haupt- und Realschule)
- Vermittlung erster Islam-Kenntnisse für jüngere Altersgruppen
Modul 4: Interreligiöses Lernen 2 (Sek I, Klassenstufen 10/11)
- Einblick in die interreligiöse Erziehungsarbeit
Modul 5: Islam in Europa (Sek II, Erwachsenenbildung)
- Gegenwärtige Entwicklung der muslimischen Zuwanderung in Europa
Modul 6: Islam Länderbeispiel Iran
- Entwicklung des Iran zum islamischen Staat
Modul 7: Interreligiöses Lernen – Bibel und Koran
- Teil 1: Josef und Abraham (Primarstufe und Klassen 5/6)
- Teil 2: Der historische Jesus nach dem Bericht der Bibel; Jesus und der Islam (Sek II und Erwachsenenbildung)
Modul 8: Muslimische Zuwanderung und Integration (Klasse 10, Sek II und Erwachsenenbildung)
- Die Diskussion um den Integrationsbegriff
Modul 9: Islam – Länderbeispiel Türkei
Modul 10: Christentum und Islam
Die Module sind bei der Bundeszentrale für politische Bildung zu beziehen.
Zur Vertiefung
Wir möchten Sie ferner auf drei Schulbücher hinweisen, die sich mit Aspekten des Islam beschäftigen. Das erste Buch mit dem Titel „Mein Islambuch“ ist für den Einsatz in der Grundschule konzipiert worden. Auf den Seiten des Oldenbourg-Verlags können Sie einige Beispielseiten lesen, um sich einen Eindruck zu verschaffen. Vertiefend finden Sie auf der Webseite des Fachportal Pädagogik eine ausführliche Rezension von „Mein Islambuch“.
Die verbliebenen beiden Schulbücher haben wir schon einmal besprochen. Deshalb finden Sie die Rezensionen zu Saphir. Ein religionspädagogisches Schmuckstück und zu Die schöne Quelle auf unserem Webportal zur erneuten Lektüre.
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- 12 Okt 2011 - 13:35