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Eine Erzählung von Kids Guernica

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Dr. Hatto Fischer ist Projektkoordinator von Kids Guernica und lebt in Athen. Kontakt: hfischer [at] poieinkaiprattein [dot] org  
Von Hatto Fischer

Als Schulkinder im Jahr 2006, von Fatema Nawaz angeleitet ein Friedensbild für ihre Schule in Kabul, Afghanistan malen wollten, wussten sie noch nicht, was ihnen bevorstand. Bis dahin hatten sie noch nie einen Pinsel in der Hand gehabt. Außerdem ahnten sie noch nicht, welch eine Herausforderung die Bildfläche darstellt. Sie hat nämlich dieselbe Größe wie Picassos Guernica (7,8 mal 3,5m). Jeder Künstler würde sich damit überfordert fühlen. Dennoch machten sich die Kinder an die Arbeit. Es sprach sich schnell in der Schule herum. Alle wollten malen. Letztlich wusste Fatema Nawaz sich nur zu helfen, indem sie eine begrenzte Zahl auf einmal in den Raum ließ; der Rest stand geduldig Schlange. So entstand das Bild von Afghanistan, also von jenem Land, in dem seit 2001 der Krieg gegen den Terrorismus andauert und wo heute noch NATO Soldaten gegen die oftmals unsichtbare Armee der Taliban vorgehen. Interessant ist darum das Bild. Auf der einen Seite ist ein Flugzeug, das Bomben auf Häuser abwirft, zu sehen; auf der rechten Seite ist dagegen eine friedliche Landschaft mit Bergen im Hintergrund gemalt .Davor stehen Kinder, die sich die Hand geben und in diese Landschaft schauen. Ein weiteres Detail ist ganz oben in der Mitte des Bildes zu bemerken. An dieser Stelle wird eine Fleisch-Maschine gezeigt. Es werden Waffen hineingeworfen, aber heraus kommen Werkzeuge, die für die Erziehung nötig sind u.a. Bleistifte. So gesehen entspricht das Bild dem Wunsch der Kinder: „Aus Krieg wird Frieden“ und sie können ungestört in die Schule gehen, um zu lernen. Noch eines ist dem Bild anzumerken - und das spricht für die gesamte Auffassung der Kinder - es wird kein Feindbild dargestellt. Dem Flugzeug fehlt jegliches Erkennungszeichen, somit weiß keiner, ob es ein amerikanisches oder ein deutsches ist. Es ist nur ein Flugzeug, aber als solches eine Waffe und darum ein Symbol der Gewalt.

Auf diese Weise steht das Bild in Verbindung mit Picassos Guernica. Er malte sein Bild, nachdem Guernica 1937 von der Luft aus bombardiert wurde und unzählige unschuldige Zivilisten getötet wurden. Wolfram Freiherr von Richthoven aus Breslau, heute Wrocław in Polen, organisierte diesen Bombenangriff. Es war in Wirklichkeit ein Angriff von drei Flugzeugschwadronen. Die erste warf große Bomben ab, um die Leute aus ihren Häusern zu treiben. Dann kam die zweite Schwadron aus mit Maschinengewehren ausgestatteten Flugzeugen, um die Menschen auf offener Straße niederzumetzeln. Als die Menschen das sahen, flohen sie zurück in die Keller der noch stehenden Häuser. Alsbald kam die dritte Schwadron dessen Flugzeuge Brandbomben abwarfen. Es ist leicht vorstellbar, was mit den in die Keller geflüchteten Menschen geschah. Der Angriff auf Guernica wurde so zu einem grausamen Angriff auf Zivilisten. Die neue Technologie hatte das möglich gemacht, aber auch das dahinter steckende Kalkül, welches die Reaktionen der Menschen miteinbezog und dementsprechend die Zerstörung vorbereitete.

Im Mai dieses Jahres haben Kinder in Wrocław damit begonnen, ein Friedensbild zu malen. Jedes Kids Guernica Bild hat seine eigene Geschichte. Es gibt inzwischen ungefähr 250 solcher Friedensbilder in der ganzen Welt.

Angefangen hat Kids' Guernica in Japan im Jahre1995, also fünfzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Wie jeder weiß, wurden auf Japan die ersten Atombomben abgeworfen: eine in Hiroshima, die andere in Nagasaki. Kein Wunder, wenn dann das erste Friedensbild von Nagasaki den Titel trägt: „Wiederaufbau der Stadt nach der Bombe“. Und wie jeder heute weiß, ist diese Wunde noch längst nicht vernarbt. Dabei erleben die Japaner heutzutage, seit dem 11. März eine neue Welle der Zerstörung. Es gibt ein Bild, das in Sendai einen Monat zuvor entstanden ist. Fukushima wird also noch neue Herausforderungen stellen, zugleich besagt es die Technologie, vor allem die der Atomkraft, kann eine absurde Selbstzerstörung bewirken. Damit stellt sich Kids' Guernica nicht nur der Gewalt des Krieges, sondern auch der Gewalt in der Stadt und vor allem dem, was durch die Zerstörung der Natur ausgelöst werden kann. In allen Fällen ist es wichtig, einen Dialog mit der anderen Seite zu praktizieren, um durch ein von unten kommendes Verstehen neue Lernprozesse auszulösen. Frieden bedingt internationale Freundschaft, die auf Vertrauen und Offenheit basiert. So gesehen ist Kids Guernica auch eine weltweite von unten kommende Diplomatie.

Ähnlich wie Deutschland versucht Japan seit 1945 eine Lehre aus dem Krieg zu ziehen. Doch welche wird wirklich befolgt? Oftmals ist es nicht die Richtige, und das trotz des Gebots „Nie wieder Krieg“, das von allen 1945 ausgerufen wurde. Heute stehen deutsche Soldaten in Afghanistan, Libyen wird von der NATO aus der Luft bombardiert, und im Irak wütet seit 2003 der Krieg. Er wurde begonnen, um einen Regierungswechsel per Waffengewalt zu erzwingen und das, obwohl die westliche Welt stets Demokratie gepriesen hat, d.h. freie Wahlen als eine gewaltfreie Infragestellung von Macht. Das dies möglich ist, zeigten jüngst Tunesien und Ägypten.

Angesichts solch einer Welt wäre es naiv zu meinen, Kids' Guernica könne den Frieden in der Welt nachhaltig sichern. Aber Kids' Guernica bedeutet ein Weg dorthin, besonders wenn Kinder und Jugendliche das Erzählen ihrer Geschichten fortsetzen. In Nepal mussten die Kinder Frontlinien überqueren, um ihren Dialog zwischen Stadt- und Dorfkindern zu beginnen. In Libanon malten sie ein Bild nach dem Krieg von 2006, das eine Realität wiedergibt, die mit dem Afghanistan-Bild verwandt ist. Denn einerseits gibt es den Krieg, anderseits sehnen sich die Menschen und insbesondere die Kinder nach Frieden, d.h. nach echten Freundschaften, tollen Spielen, Erfahrungen in der Natur, die aber als Strand erst dann zugänglich wird, wenn dort keine Minen mehr liegen. Ja, diese Welt nennen die Kinder im Libanon eine 'Schizophrenie des Friedens'. Da können Jugendliche vom Surfen zurückkehren, um Musik in einer Disko zu hören, während drei Straßen weiter Bomben nahe dem Flüchtlingslager für seit 1948 ausgewiesenen Palästinenser hochgehen. Wichtig bei allem ist der Mut zur Ehrlichkeit und noch mehr, die Phantasie zu bewahren, weil erst dann die grausame Realität in Frage gestellt werden kann. Das haben die Kinder in Haifa bewiesen, als sie ein Kids' Guernica Bild malten. Es zeigt, wie Israel und Palästina als Fahnen versuchen, sich die Hand zu geben. Noch sind sie voneinander getrennt, aber zumindest gehen sie aufeinander zu. Darum wurde das in Libanon entstandene Bild 2007 mit dem Titel versehen: 'Genug! Wir wollen leben.' Dieser Aufschrei hat inzwischen die ganze Arabische Welt ergriffen.

Was Kids' Guernica lehrt, ist eine andere Art, in Kontakt mit der Realität der anderer Menschen zu kommen. Denn das Verstehen der anderen Wirklichkeit setzt eine freie Phantasie voraus, wovon Kinder sehr viel, Erwachsene oftmals sehr wenig haben. Phantasie ist aber die Voraussetzung für eben diese Empathie. Sie erlaubt es einem, die Ängste aber auch die Bedürfnisse der anderen zu begreifen. Darum ist ein Ziel von Kids' Guernica, Erwachsene in ihrer Phantasie zu befreien. Erst dann kann solch eine kulturelle Aktion Dialog ermöglichen und zwar durch das Hineinwachsen in die ganze Gemeinde bis alle am Malen des Bildes teilnehmen.

Genannt wird dieser kollektive Mal-Prozess „kollaboratives Lernen“. Nicht ein Künstler bestimmt wie das Bild sein soll, sondern es entsteht aus einer Zusammenarbeit, die eben aus einer Vielfalt an Partnerschaften entstehen kann. Einmal malen fünf Kinder zusammen, während ganz am anderen Ende des Bildes Gruppen von jeweils zwei Kindern malen. Es wird dabei nicht nur gemalt. Viele Gedanken und Ideen werden mit den anderen besprochen. Die Phantasie liefert andauernd einen Erzähl-Stoff. Was die Kinder geben können und wollen, ist vor allem Farbe. Sie entkommen dadurch einer Schwarz-Weiß-Malerei, die Erwachsene oftmals mit einem klaren Standpunkt verwechseln und dabei die moralische Lehre in eine Ideologie verwandeln. Würden die Kinder dem folgen, kämen sie nur auf die alten Feindbilder zurück. Darum war bezeichnend, was Kinder aus der Gemeinde von Gezoncourt in Frankreich machten. Sie reisten mit Erwachsenen nach Verdun, um diesen Kriegsschauplatz des Ersten Weltkrieges aufzusuchen. Einmal dort diskutierten sie mit einem Historiker diesen grauenhaften Krieg, der aus Grabenkämpfen bestand, wodurch tausende Soldaten einfach per Befehl von Generälen geopfert wurden, um zu sehen, ob es gelingen würde, den Graben fünf Meter weiter nach vorne zu rücken. Als die Kinder nach Gezoncourt zurückkehrten, malten sie ein Bild zum Thema „Der Andere: Feind oder Freund?“ Das kann noch heute auch eine Lektion für die deutsch-französische Beziehung sein.

Mit anderen Worten, Kids' Guernica ist eine Übertragung von Erinnerungen an gemachte Erfahrungen, die die Kinder von heute erst aufspüren, wenn sie mit Phantasie ihrer Empathie freien Lauf lassen, um so Wege hin zum Frieden zu finden. Das ist eine besondere Erinnerungsarbeit und basiert auf neu entstandenen Freundschaften. Als griechische und türkische Kinder gemeinsam ein Bild malten, entdeckten sie ihre gemeinsame Sprache: Es waren die Farben, die für ihr neues Verständnis füreinander sprachen.

Mehr Informationen zu dem Projekt finden Sie auf der Homepage von Kids´Guernica.

 

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