Zur Diskriminierung von zugewanderten Roma im Bildungssystem
Von Isidora Randjeloviić
Zugewanderte Roma bilden in Deutschland heterogene Gruppen, die sich voneinander sehr unterscheiden: kulturell z.B. hinsichtlich der Sprache oder Religion, soziokulturell z.B. betreffs des Habitus oder der Schichtzugehörigkeit, politisch z.B. hinsichtlich erlebter Assimilationspolitik in Osteuropa oder mangelnder Anerkennung in Deutschland, historisch z.B. bezüglich Aufnahmepolitik und Ausgrenzung und selbstverständlich individuell z.B. hinsichtlich subjektiver Identifizierungen oder der Familiensituation.
Zudem erleben migrierte Roma in Deutschland eine weitere Differenzierung und darüber hinaus eine legalisierte Hierarchisierung, je nach aufenthaltsrechtlichem Status. Mittlerweile haben einige Zugewanderte zum Teil die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, andere sind als Werkarbeitsnehmer in den 60er Jahren oder im Rahmen der Familienzusammenführung eingereist und verfügen über einen festen Aufenthalt.
Eine große Gruppe Roma sind jedoch als Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland gekommen und halten sich hier als AsylbewerberInnen, Geduldete oder gar Illegalisierte auf. Ein kleinerer Anteil von ihnen hat in Deutschland nach der Verabschiedung des neuen Zuwanderungsgesetzes einen Aufenthalt erhalten. Der überwiegende Teil dieser Flüchtlinge wurde jedoch im Laufe der Jahre aus Deutschland abgeschoben.
Zur Illustration der Verflechtung von Aufenthaltsstatus und Ausgrenzungserfahrungen an der Schule nenne ich ein reales Beispiel aus meiner Arbeit: Nach § 3 Grundleistungen AsylbLG erhält eine Familie pro Kind (im Alter von 7-14 Jahren) 3,54 EUR am Tag. Für das Catering in der Schule müssen die Eltern pro Kind: 2,15 Euro/Tag Essensgeld bezahlen. Es bleibt ihnen also ein Restgeld von 1,39 für die restlichen Mahlzeiten des Tages. Die Neuköllner Familie, die ich betreute, konnte das Essensgeld, so wie viele andere Familien an der Grundschule, nicht bezahlen. Die Schulleiterin bestand jedoch darauf, dass bei Nichtinanspruchnahme des Catering die Kinder trotzdem am Tisch bleiben müssen. Den Vorschlag der nichtzahlenden Eltern ihre Kinder während der Mittagszeit im anderen Raum zu betreuen, wo sie ihr mitgebrachten Mahlzeiten essen könnten, lehnte die Schulleiterin ab. Diese Situation wurde noch verschärft, wenn Familien unter den §1a AsylbLG fielen und die Eltern nur Sachmittel erhielten. In diesem Fall liegen die Kostenübernahmen für das Essensgeld der Kinder im Ermessen der SachbearbeiterInnen vom Sozialamt, die unterschiedlich entscheiden.
Ein großes Problem stellt der eingeschränkte Zugang in die Weiterbildung und Ausbildung dar. Die Aufnahme einer betrieblichen Ausbildung ist aufgrund des faktischen Ausbildungsverbots wegen der Vorrangprüfung zur Erteilung einer Arbeitserlaubnis nur mit gesichertem Aufenthalt möglich. Die Möglichkeit einer Ausbildung ist nur auf schulische Angebote beschränkt. Außerschulische und Berufsvorbereitende Maßnahmen zur Integration benachteiligter Jugendlicher sind nahezu alle mit Mitteln der Arbeitsagentur gefördert und somit (§63 SGB III) jungen Flüchtlingen nicht zugänglich. Jugendhilfemaßnahmen in deren Rahmen zumindest berufsvorbereitende Maßnahmen gefördert wurden, sind in den letzten Jahren erheblich reduziert worden, genauso wie schulische Maßnahmen wie das MDQM1 und MDQM2 überlaufen sind. Es bleiben nur wenige vom Europäischen Fond finanzierte Qualifizierungsprojekte (Abschluss nur mit Zertifikat), also kein Vergleich zur regulären Ausbildung. Vielen Jugendlichen ist diese Ungleichbehandlung und der Mangel an Perspektiven bewusst und wirkt sich demotivierend auf die Gestaltung ihres schulischen Werdegangs aus.
Neben den Flüchtlingen leben auch Roma-MigrantInnen mit einem gesicherten Aufenthaltsstaus in Berlin. Die Diskriminierungen dieser Gruppen sind weniger ausländerrechtlich und mehr gesellschaftspolitisch gestaltet. Hier sind die klassischen Probleme der MigrantInnen im Bildungssystem zu nennen: geringere Anzahl von Schulabschlüssen, geringerer Eingang in betriebliche Ausbildungen insbesondere im öffentlichen Dienst, geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Bei Roma-MigrantInnen kommt die gesellschaftliche Unsichtbarkeit der erfolgreichen und qualifizierten Menschen hinzu. Es werden nur diejenigen wahrgenommen, die in direkten Zusammenhang mit Romaarbeit oder gängigen Klischees stehen z.B. Musiker, Entertainer etc. Hinzu kommt dass im Ausland erworbene Qualifikationen regelmäßig nicht anerkannt werden oder auch hier erworbene Qualifikation nicht zu einer entsprechenden Anstellung führen. Daher fehlen sowohl für die Mehrheitsgesellschaft aber auch für die Minorität positive Vorbilder.
Ebenfalls kann die Schule als Institution auf mehreren Ebenen eine Ungleichbehandlung von Roma SchülerInnen bedingen: Als zentrales Problem bei der Bewältigung schulischer Erfordernisse sind die Fehlzeiten zu nennen, die mit dem Alter der Jugendlichen ansteigen. Der Wechsel von Grund- zur Oberstufe markiert auch einen Übergang zu einer erhöhten Fehlquote. Die Schulabbruchsquote ist ab der 7. Klasse als hoch einzuschätzen. Ohne formale Schulabschlüsse ist diesen SchülerInnen der Zugang zu Ausbildungsplätzen erschwert oder unmöglich.
Wie die europäische Kommission in ihrem Bericht zur schulischen Situation von Roma ausführt, dürfen keinesfalls die Ursachen mit den Folgen verwechselt werden. Die Schule spiegelt die Lebenssituation dieser Jugendlichen nicht wieder, nicht nur, dass Roma als Thema in den Rahmenplänen und Unterrichtseinheiten in Geschichte, Literatur, Kunst oder Politik gar nicht oder kaum vorhanden sind, auch die Lebensbedingungen von MigrantInnen oder Minderheitengruppen in Berlin finden kaum oder keine Erwähnung. In der Schule werden sie überwiegend nicht als Roma und wenn doch, dann defizitär wahrgenommen und schulische Misserfolge als kulturelles Problem identifiziert. Dabei finden Roma Kinder und Jugendliche im Schulalltag und im Unterricht selten einen positiven Rahmen in dem sie ihre Herkunft einbringen können, da sich viele Schulen durch vordergründige Nichtbeachtung und Nichtberücksichtigung sprachlicher, kultureller, sozialer, struktureller Differenzen auszeichnen.
Diese Dethematisierung des interkulturellen Alltags führt teilweise zu einer starken Kulturalisierung der Jugendlichen durch die pädagogischen Fachkräfte, so dass immer wieder mit der vermeintliche Bildungsunwilligkeit als kulturelles Phänomen der Roma argumentiert wird . Die sozialen Verhältnisse in denen Familien eingebettet sind, werden systematisch übersehen. Aufgrund einer mangelnden interkulturellen Öffnung der Schulen ist häufig auch die Kommunikation zwischen Eltern und Lehrpersonal erschwert. Nicht nur SchülerInnen, sondern auch viele Eltern erleben sich in der Schule häufig als defizitär, weil sie überwiegend in die Schule eingeladen werden, wenn es Probleme gibt und Sie Mitteilungen empfangen und sich kritisieren lassen müssen. Es gibt kaum eine Öffnung der Schule in der die Eltern auch Gelegenheit erhalten als Experten gegenüber den LehrerInnen aufzutreten.
Darüber hinaus kommt es regelmäßig vor, dass SchülerInnen, wenn sie als Roma bekannt sind auch direkt diskriminiert werden: zum einen über vorurteilshafte Vorannahmen, Bilder, Interpretationen z.B. sprechen LehrerInnen und PädagogInnen häufig über kulturell bedingte Schuldistanz und Bildungsunwilligkeit und über Zwangsverheiratungen sowie Promiskuität der Frauen. An einer Neuköllner Schule hat eine Lehrerin ihre Schülerin als Zigeunerin beschimpft. Die gleiche Lehrerin hat dem Vater eines Roma-Jungen die Unterschrift zur Genehmigung des subventionierten Schulbusses verweigert, mit der Begründung der Vater sei arbeitslos und könnte den Jungen täglich zur Schule bringen.
Der Vater hat eine Behindertenausweis mit 100%, aber auch auf die Argumentation des Elternvereins hat die Lehrerin mit weiteren diskriminierenden Äußerungen reagiert wie z.B. die Familie sollte nach Großbritannien ziehen, da es dort keine Schulpflicht gebe. Ebenso beschweren sich Jugendliche über Diskriminierungen durch Mitschülerinnen. Auf vielen Schulhöfen sind mittlerweile die als Beleidigungen gemeinten Begrifflichkeiten „Zigeuner“, „Jude“, „Schwuler“, „Opfer“ fest etabliert. Ohne die Beteiligung von Roma Selbstorganisationen, ohne größerer Zusammenschlüsse und einer engagierten Lobbyarbeit wird es eine Befreiung aus diesem „Klientelstatus“ schwerlich geben. Dabei bleibt eine Grundbedingung für die Erreichung einer größeren Selbstvertretung, die Erhöhung der Bildungschancen für Roma und deren tatsächlicher Eingang in gesellschaftlich relevante Berufsfelder.
Dieser Beitrag ist zuvor in der Dokumentation der Tagung "Sinti und Roma. Bürger-/innen unseres Landes", herausgegeben vom Antidiskrimminierungsnetzwerk Berlin, 2007, erschienen.
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- 20 Jan 2010 - 13:38