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Vorbereitung im Unterricht
Zur Vorbereitung hatten wir im Deutschunterricht die Biographie von Shoshana Rabinovic "Dank meiner Mutter" gelesen, hatten uns das Theaterstück von Ilan Hatsor "Vermummte" angesehen, in dem es um das Schuldigwerden im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern geht, waren in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz sowie in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen und hatten Referate zu verschiedenen Fragestellungen erarbeitet - neben der im Geschichtsunterricht der 9. Klasse durch das Curriculum vorgegebenen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust.
Dennoch: unsere Schülerinnen und Schüler haben ganz schön Mut bewiesen, sich dieser Fahrt zu stellen. Wird uns ständig die Nazizeit vorgehalten werden? Wie wird es in der Familie sein? Wird man mich akzeptieren, obwohl ich Deutscher bin? Für die beiden türkischen Jungen kam - wie bei Michaela, deren Vater Palästinenser mit deutschem Pass ist und deren väterliche Familie sie im Süd-Libanon häufig besucht - die bange Frage nach der Akzeptanz der moslemischen bzw. palästinensischen Identität hinzu: Wird man mich ablehnen?
Aufnahme in der Gastfamilie
Die Offenheit, die umwerfende Herzlichkeit und Freundlichkeit, mit der alle Schülerinnen und Schüler von den Gastgeberfamilien auch real in die Arme genommen werden, zerstreut innerhalb kürzester Zeit jedes Bedenken. Sie werden mitgenommen, eingeladen, man trifft sich nach dem Programm hier oder dort, spielt zusammen Volleyball oder Basketball, sitzt am Strand zusammen, geht Pizza essen und versteht sich, auch wenn die Zensuren im Englischunterricht nicht immer erfreulich gewesen waren. Neu für die Schülerinnen und Schüler ist der Umgang miteinander sowohl in den Familien als auch in der Gruppe: Freude und Trauer werden ausgedrückt und nicht zurückgehalten. Sie erfahren eine größere körperliche Nähe im Gegensatz zu der gewohnten Distanz. Mit Freude nehmen wir wahr, wie sich ihr Verhalten unbewusst ändert, sie eine größere Offenheit im Umgang unter sich und mit uns entwickeln.
Höhepunkte unseres Programms (siehe pdf-Dokumente) waren sicherlich die Tage in Jerusalem und die Fahrten in den Süden und den Norden, bei denen wir von den gastgebenden Schülerinnen und Schülern begleitet wurden: Nach dem Sonnenaufgang über Massada und dem obligatorischen Bad im Toten Meer bei En Gedi folgt eine typische israelische "outdoor activity": die Wanderung durch das Bett des Nahal Arugot - eine völlig neue Erfahrung für unsere Schülerinnen und Schüler, dass man nicht darauf achten muss, wenn die Kleidung nass wird. Kinder, die sonst nach kurzer Wegstrecke maulen, legen begeistert die nicht einfache Strecke über Felsen und durch Wasser zurück. Beim gegenseitigen Helfen wird schon hier deutlich, dass sich die Gruppengrenzen zu verwischen beginnen.
Die Wanderung wird ohne Unfall beendet: Eine Maxime der israelischen Erziehung ist, den jungen Menschen Herausforderungen zu bieten, an denen sie wachsen können, die das Gemeinschaftsgefühl stärken, die jedoch immer im Bereich des kalkulierbaren Risikos bleiben. Unter diesem Gesichtspunkt werden Aktivitäten geplant - an erster Stelle steht nicht die Überlegung, was alles passieren könnte und was Eltern, Dienstherr und Gericht dazu sagen würden. Diese Vorgehensweise setzt jedoch ein hohes Maß an Verantwortungsgefühl und ein ebenso hohes Maß an Selbstdisziplin der einzelnen Mitglieder der Gruppe voraus, zwei Prinzipien, die in der israelischen Erziehung offensichtlich einen höheren Stellenwert als bei uns einnehmen. Diese erste gemeinsam überstandene Strapaze wirkt sich positiv auf die Beziehungen zwischen den israelischen und unseren Jugendlichen aus. Für unsere Gruppe sind die Eindrücke überwältigend: Die Freundlichkeit und Offenheit der israelischen Jungen und Mädchen, das gemeinsame Erleben, die ungewohnte Landschaft - unsere Schülerinnen und Schüler werden gelöster und sind in der Lage, auch ihre Gefühle auszudrücken.
Gemeinsames Gedenken
In der zweiten Woche fuhren wir zusammen mit einem Teil der Schülerinnen und Schüler aus Ashdod zur Gedenkstätte Yad Vashem. Im "Tal der Gemeinden" werden wir von zwei Kolleginnen (Tova Perlmutter und Chaya Ostrower) aus Tel Aviv begrüßt. Beide hatte ich im Vorjahr beim Deutsch-Israelischen Seminar von GEW und Histadruth Hamorim kennen gelernt. Sie hatten mir versprochen, uns durch Yad Vashem zu führen. Tovas Eltern lebten nach der Befreiung aus dem Konzentrationslager als Displaced Persons in einem Lager in der Nähe von Frankfurt, wo Tova auch geboren wurde. Nun erleben die Schülerinnen und Schüler, wie uns die Vergangenheit einholt, wie schwer verletzt die Seelen mit dem Wissen um das Grauen des Völkermords sind. Tova kann nicht weitersprechen, sie hatte nicht erwartet, dass es ihr vor einer deutschen Gruppe so schwer fallen würde. Sie entschließt sich aber, uns weiter durch die Ausstellung zu begleiten. Ihr fällt es schwer, wie es mir immer schwerer wird, zu übersetzen.
Von Station zu Station fühle ich, wie bei den Kindern das Eis von den Herzen schmilzt, die anerzogenen oder prophylaktisch aufgebauten Barrieren wegbrechen. Das Mitleiden mit den geschundenen und ermordeten Menschen läßt die Tränen fließen - und in dieser Trauer treffen sich die Jungen und Mädchen aus Ashdod und Berlin. "Dieses hat mich mehr berührt als die Unterrichtseinheiten im Laufe der 10 Schuljahre", bekennt später eine Schülerin. Die "Halle der Erinnerung" ist uns für eine gemeinsame Zeremonie reserviert. Die von unseren Schülern vorbereiteten Texte von Brecht können nicht vorgetragen werden - Deutsch ist hier nicht erlaubt. Carine aus Ashdod und Peter aus Spandau betätigen gemeinsam den Hebel für die ewige Flamme, Lior liest ein Gedicht, ich spreche die englische Übersetzung eines Brecht-Gedichtes und darüber, dass sich für unsere Klasse an diesem Tag ein Kreis geschlossen habe - von der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, über die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen zu Yad Vashem, von unserer Hoffnung, dass das Aufwachsen in einem demokratischen Schulsystem die kommenden Generationen davor beschützen möge, wieder Täter oder auch nur Zuschauer zu werden, und ich danke der israelischen Gruppe, dass sie uns an diesem Tag nicht allein gelassen hat. Ravit aus Ashdod und Ilona aus Spandau legen den Blumenkranz nieder, dessen Schleifen nun die Inschriften tragen "Makif Gimel and Bertolt-Brecht- Oberschule, Ashdod and Berlin". Ilan, unser Kollege aus Ashdod, spricht das Kaddisch.
Am Denkmal von Janusz Korczak legen wir den zweiten Kranz nieder. Die Halle der Kinder - durch den scheinbar unendlichen, sternenbedeckten Raum, mit dem aus dem Nichts kommenden Namen der ermordeten Kinder, treten wir hinaus in das hoffnungsvolle Grün, sehen auf das neu entstehende Jerusalem, auf die Zukunft. Ich empfinde es als ein besonderes Zeichen der Verbundenheit, dass Carine heute, wie unsere Schülerinnen und Schüler, das T-Shirt der Bertolt-Brecht-Oberschule aus Berlin trägt. Sie hat dies mit Bedacht getan.
Zum Abschluss besuchen wir das Grab Rabins auf dem Herzlberg. Schulklasse um Schulklasse kommt zum Grab, dessen schwarzer Marmorstein aus dem Norden und weißer Kalkstein aus dem Süden das gesamte Land Israel symbolisieren. Die israelischen Jungen und Mädchen zeigen ihre Trauer - kaum vorstellbar für uns beim Besuch eines Politikergrabes bei uns. Rabin verkörperte die Hoffnung vieler auf Frieden in der Region. Später hören wir, dass an diesem Abend in vielen Familien über Yad Vashem, über die Erfahrungen des heutigen Tages gesprochen worden ist. Wir haben das Gefühl, dass dieser gemeinsame Tag, die gemeinsame Trauer den wichtigsten Abschnitt dieses Aufenthaltes markieren: Der Zusammenhalt der beiden Gruppen wird fester als zuvor.
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- 13 Mai 2010 - 11:33