Projekt

Buchhändler und Büchermarkt im nationalsozialistischen Deutschland

Eckdaten

Ort/Bundesland: Berlin
Institution: Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz
Autorin: Lore Kleiber
Altersgruppe: 18 Jahre und älter

Bibliografie

  • Benecke, Hans: Eine Buchhandlung in Berlin, Frankfurt am Main 1995
  • Das war ein Vorspiel nur... Bücherverbrennung Deutschland 1933. Voraussetzungen und Folgen, Akademie der Künste (Hg.), Berlin - Wien 1983
  • Landshoff, Fritz: Amsterdam, Keizersgracht 333. Querido-Verlag. Erinnerungen eines Verlegers, Berlin - Weimar 1991

Weiterführende Links

Projekt Kontakt

Lore Kleiber
Am Großen Wannsee 56-58
D-14109 Berlin
Tel.: +49 (0) 30 80 50 01 36
Fax: +49 (0) 30 80 50 01 27
Mail: education [at] ghwk [dot] de

Angehende Buchhändler rekonstruieren 1997 in der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz die Rolle des Buchhandels und des Buchmarkts in der Nazizeit. Sie erarbeiten die Formen des Antisemitismus, der politischen Vereinnahmung und der propagandistischen Zensur im eigenen Berufsfeld. So erfahren sie, warum und wie sich Buchhändler damals ideologisch einbinden ließen.

Einleitung

In der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz ist die Entwicklung von berufsspezifischen Seminaren für Auszubildende und Berufstätige im öffentlichen Dienstes und in der Privatwirtschaft ein Schwerpunkt der Bildungsarbeit. Für die Berufsgruppe der Bibliothekare und Bibliothekarinnen an öffentlichen Bibliotheken fanden bereits Seminare zur Literaturpolitik im Dritten Reich statt. Auf dieser Grundlage wurde das vorliegende Projekt mit Auszubildenden im kommerziellen Buchhandel angeboten. Die Gruppe wurde auf den experimentellen Charakter dieses Studientages aufmerksam gemacht, da dies der erste Versuch war, einen berufsspezifischen Ansatz für die Branche des Buchhandels zu konzipieren.

In der Einführung wurde diese Zugangsweise zu einem historischen Kontext als eine Methode erklärt, die im Haus der Wannsee-Konferenz für unterschiedliche Berufsgruppen entwickelt wurde. Dies ließ sich verbinden mit Erläuterungen zur Geschichte des Hauses, in dem das Seminar stattfand (siehe pdf-Dokumente). Im Zentrum unserer Arbeit stand die Frage nach den Mechanismen der gesellschaftlichen Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen sowie nach der Art und Weise, wie die Zustimmung zu einem solchen Vorgehen erreicht wurde. Daraus resultierten gemeinsame Überlegungen, wer Täter oder Mittäter werden konnte bzw. sich durch seinen Beruf ideologisch einbinden ließ. Es überraschte nicht, daß die eigene Berufsgruppe - in diesem Fall die Buchhändler - zunächst nicht unmittelbar als Mitträger der NS-Politik begriffen wurde. Dennoch entstand durch diese Einführung und die Verknüpfung mit dem historischen Ort und den politischen Folgen bis zur Endlösung eine gewisse Spannung und ein gesteigertes Interesse daran, wie ergiebig die Fokussierung auf das eigene Berufsfeld sein würde.

Zur Gruppe

An dem Studientag nahmen 18 Auszubildende im dritten Lehrjahr für den Beruf des Buchhändlers teil. Sie absolvierten ihre Lehre in unterschiedlichen Fachbuchhandlungen, z.T. in namhaften, großen Geschäften, Kettenläden, aber auch kleinen Buchhandlungen in U-Bahnhöfen. Dreiviertel der Auszubildenden hatten als Schulabschluss das Abitur. Die Klasse besaß gute fachspezifische Kenntnisse durch die ausführlich im Unterricht behandelten Themen "Bücherverbrennung" und "Exilliteratur". Etwa ein Drittel der Schüler kannte bereits das Haus der Wannsee-Konferenz. Die Hälfte der Gruppe ist in der DDR aufgewachsen und dort zur Schule gegangen. Bei allen Schülern bestand ein ausgeprägtes persönliches Interesse an Literatur und am Umgang mit Büchern, was sich auch in einem sehr differenzierten Sprachvermögen der Teilnehmer/innen bei der späteren Plenumsdiskussion niederschlug. Ein Teil der Schüler plante, nach Abschluss der Lehre ein Studium aufzunehmen.

Verwendete Medien

Als atmosphärische Einführung wurde der Film "Deutsche Literatur im Exil" (Regie: A. Fuhrmann, BRD 1985, 30 Min.) benutzt, der mit vielen Zeitzeugenberichten die Situation deutscher Verlage im Exil - speziell in Amsterdam - beschreibt und u.a. den Akzent auf die Probleme der Wirtschaftlichkeit, der Auflagenhöhe und der Vermarktung für die dort entstandene, von den Nazis unterdrückte Literatur legt. Ein zentrales Problem für die Exilverleger bestand darin, die deutschsprachige Literatur wieder zu ihren potentiellen Lesern zu bringen, d.h. sie auf Umwegen nach Deutschland zu schmuggeln bzw. sie in anderen europäischen Ländern zu verkaufen.

Ablauf des Projekts

1. Nach einer Vorstellungsrunde und der Klärung der Erwartungen wird in der Einführung die Geschichte des Hauses der Wannsee-Konferenz und dessen Entwicklung zu einer Bildungs- und Gedenkstätte erläutert. Beim Besuch der Ausstellung mit ausgewählten Schwerpunkten werden die konkreten historischen Fakten zur Wannsee-Konferenz sowie zur Tätercharakteristik und den Folgen der Konferenz für den Völkermord an den europäischen Juden skizziert.

2. Der ausgewählte Film und die anschließende Diskussion bieten die Chance, die politische Situation in Deutschland nach 1933 und deren Auswirkung auf verlegerische Initiativen, die nicht mehr systemkonform waren, ebenso wie die Schwierigkeiten des Emigrantenstatus und die Vermarktung von Literatur aus dem Exil zu diskutieren.

3. Die Angebote der verschiedenen AG-Themen werden einschließlich der Möglichkeiten der Vertiefung ausführlich erklärt. Die Materialien werden ohne Arbeitsfragen mit dem Ziel ausgegeben, entdeckendes Lernen und die Entwicklung eigenständiger Fragestellungen zu fördern. Auswahl und Zusammenstellung der Texte und Dokumente berücksichtigten den Perspektivenwechsel von Tätern und Opfern. (siehe pdf-Dokumente)

Im anschließenden Plenum, das nach einer zu verabredenden Zeit (ca. zwei Stunden) stattfindet, werden mosaikartig alle Einzelbeiträge zu einem Überblick über die Situation des Buchhandels und der in dieser Branche Beschäftigten zusammengetragen und kritisch ausgewertet. Wo es sich anbietet, werden die Erfahrungen mit staatlicher Zensur in der DDR einbezogen. Die Teilnehmer entscheiden selbst über die Form der Präsentation ihrer Arbeitsergebnisse. Sie werden ermutigt, Hilfsmittel und Materialien für eine kreative Gestaltung der Präsentation ihrer Arbeitsergebnisse einzubeziehen, z.B. durch großformatige Papierbögen, Collagen oder selbstgestaltete Overhead-Folien. Das im Archiv der Gedenkstätte vorhandene vielfältige Material, wie etwa die Fachzeitschriften

  • "Der Buchhändler im neuen Reich"
  • "Der deutsche Buchhandlungsgehilfe"
  • "Bücherkunde, Organ des Amtes für Schrifttumspflege" oder der
  • "Bericht der Reichsschule" des Deutschen Buchhandels zu Leipzig über das Schuljahr 1936/37

erlauben eine Konfrontation der Seminarteilnehmer/innen mit unbekannten Quellen, die die Neugierde wecken und einen direkten Bezug zum eigenen Berufsfeld unter den Bedingungen der NS-Diktatur herstellen. Als Basisinformation erhalten alle Seminarteilnehmer/innen:

  • die "Medienchronik Drittes Reich" (Frei, Norbert/Schmitz, Johannes 1989), aus der das Zusammenspiel der verschiedenen NS-Institutionen bei den einschneidenden Verboten und Eingriffen in die Meinungsfreiheit seit 1933 sowie die Verdrängung jüdischer und politisch widerständiger Verleger und Autoren aus dem Literaturbetrieb abzulesen ist
  • "Das Sofortprogramm des deutschen Buchhandels" aus dem Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel vom 3. Mai 1933
  • den Fragebogen zur Eingliederung in die Fachschaften im Bund Reichsdeutscher Buchhändler e.V. von 1935 (Benecke 1995), hier wird der lückenlose Nachweis der arischen Abstammung rückwirkend bis 1800 gefordert

(siehe pdf-Dokumente) Das Arbeiten in Kleingruppen erfordert aufmerksame Betreuung durch die Seminarleitung, damit Rückfragen schnell geklärt werden können und auf lexikalische Hilfsmittel sowie Unterstützung der Bibliothek verwiesen werden kann.

Themen der Arbeitsgruppen:

  • Zwangsmaßnahmen gegen die Berliner Buchhandlung "Amelang": Strategien der Selbstbehauptung
  • Das Profil des Buchhändlers im Nationalsozialismus im September 1938: Das Umdefinieren seiner Aufgaben in der Gesellschaft, Aufruf zur Ausgrenzung seiner jüdischen und nicht konformen Kollegen, Verschiebung der Ausbildungsinhalte
  • "Säuberung" im Buchhandel: Die Phase nach der Bücherverbrennung, Gestapo- und Polizeiberichte landesweiter Durchsuchungen im Buchhandel, in Antiquariaten und Leihbüchereien, "Gift im elterlichen Bücherschrank" - Aufruf in der Schülerzeitung "Hilf mit" zur Bespitzelung der Eltern
  • Kinderbücher als Medium: Empfehlungen an den Buchhändler, Normensetzung, Geschlechtsspezifik und Rassismus anhand konkreter Beispiele
  • Die "Frontbuchhandlung": Ein integrierter Bestandteil im Krieg zur kulturellen Abgrenzung im besetzten Land, Berichte von sogenannten Frontbuchhandlungen in Nordfrankreich und Paris

 

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