Nicht mit uns
"Nicht mit uns" ist die unglaubliche Geschichte vom Überleben der jüdischen Familie Frankenstein in Nazi-Deutschland. Sie widersetzten sich der mörderischen Verfolgung und gingen in den Untergrund. Sie erlebten ohne Papiere, ohne Geld, ständig auf der Flucht von Versteck zu Versteck, zuletzt unter dem Bombenhagel in den Trümmern Berlins mit Mut und der Solidarität und Hilfe anderer Menschen das Kriegsende mit ihren zwei kleinen Söhnen.
1941 begegnen sich im Auerbach’schen Waisenhaus, in der Schönhauser Allee im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg die gerade zwanzigjährige Leonie Rosner und der siebzehnjährige Walter Frankenstein. Walter Frankenstein aus dem westpreußischen Kleinstadt Flatow ist Halbwaise und lebt, seit er 1936 als Jude die Schule verlassen musste, im Auerbach’schen Waisenhaus. Nach einer Lehre als Maurer arbeitet er als Handwerker für die Jüdische Gemeinde im Berliner Osten.
Leonie Rosner wächst in Leipzig auf, begeistert sich für die Idee der Auswanderung nach Palästina, schließt sich einer sozialistisch-zionistische Jugendgruppe an und nimmt als vierzehnjährige an einem Vorbereitungskurs für ein Leben im Kibbuz teil. Ihr Wunsch, eine Ausbildung als Kindergärtnerin zu machen, bleibt ihr verwehrt, weil sie Jüdin ist. Sie geht nach Berlin und besucht für ein Jahr die Jugend-Alija-Schule, wandert aber dann nicht mit ihrer Gruppe aus, sondern bleibt in Deutschland, weil sie sich eine Trennung von ihrer Mutter, die Deutschland nicht verlassen will, nicht vorstellen kann.
Als Leonie und Walter im Herbst 1941 aufeinandertreffen, verlieben sie sich sofort heftig ineinander und heiraten im Februar 1942. 1943 wird ihr Sohn Peter-Uri geboren. Als ihre Deportation in den Osten droht, tauchen die Frankensteins mit ihrem sechs Wochen alten Baby unter, entschlossen, sich ihr Leben nicht nehmen zu lassen. Das nicht Vorstellbare gelingt ihnen: Leonie, Walter, Peter-Uri und der 1944 geborene zweite Sohn Michael erleben das Kriegsende und die Befreiung Ende April 1945.
Doch danach ist ihre Odyssee nicht beendet. Sie wollen Deutschland verlassen und ein neues Leben in Israel beginnen. Walter Frankenstein wird beim Versuch, nach Palästina einzuwandern, von der britischen Mandatsmacht interniert. Erst nach fast zwei Jahren findet die Familie wieder zusammen. Es folgen die Jahre, in denen die Frankensteins in Israel eine neue Existenz zu gründen versuchen, der Unabhängigkeitskrieg 1948, die schwierigen Aufbaujahre des jungen jüdischen Staates. Wieder ist es ein Leben voll Entbehrungen und harter Arbeit.
Sie finden Freunde und fühlen sich heimisch in Israel trotz beruflicher Schwierigkeiten und dem verbreiteten Unverständnis der Alteingesessenen gegenüber den Überlebenden aus Europa. Die 1952 von der Bundesrepublik Deutschland zugesagten Entschädigungszahlungen, die Leonie und Walter Frankenstein für ihre Verfolgung beantragen und 1954 nach einer langwierigen und entwürdigenden Prozedur erhalten, können die schwierige finanzielle Situation der Familie nicht verbessern.
Die Schwerstarbeit beim Bewässerungsbau im Jordantal ruiniert Walter Frankensteins körperliche Gesundheit, so dass die Familie 1956 mit der Hilfe eines Freundes aus dem Auerbach’schen Waisenhaus auf eine bessere Zukunft in Schweden setzt. 1965 werden sie schwedische Staatsbürger, doch wird ihnen das Land bis heute nicht wirkliche Heimat. Sie besuchen dann erstmals auch wieder Deutschland und seitdem immer wieder. Sie beschäftigen sich mit der NS-Zeit, ihrer Geschichte und den Hintergründen des Holocaust.
„Leonie und Walter Frankenstein sind, ob sie es nun wollen oder nicht, jüdische Deutsche im Exil geblieben“, so der Autor am Ende dieses von der ersten bis zur letzten Seite fesselnden, brillant geschriebenen Geschichtsbuches. Bei der Lektüre lernt man anhand der Biografien von Leonie und Walter Frankenstein jeweils im Zusammenhang der Ereignisse ohne belehrenden Unterton alle wichtigsten Fakten, Daten und Hintergründe der Verfolgungsgeschichte der deutschen Juden, der Juden in Berlin und Geschichten von „Stillen Helden“, den Menschen, die trotz Gefahr und eigener Notlage den Frankensteins halfen zu überleben. Das passende Buch in diesen Tagen der Erinnerung an den Novemberpogrom und die Folgen, und ebenso passend zur Eröffnung der neuen Gedenkstätte "Stille Helden" in Berlin.
Der Autor des Buches, Klaus Hillenbrand, geboren 1957, lebt in Berlin. Er arbeitet als Journalist für die taz.
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- 24 Dez 2009 - 02:23