1848 und die Erinnerung an den Aufstand der Frauen
Kerstin Wolff
„[...] aber als Schmach empfand ich es doch, daß Frauen nach wie vor von politischen Versammlungen ausgeschlossen waren [...]“, schrieb Louise Otto 1848 über die Damengalerie in der Paulskirche (Ludwig 2014: 175). Die Enttäuschung darüber, dass sie als Frau auch in der nationalen Erhebung der 1848er Jahre von politischen Versammlungen ausgeschlossen blieb, saß tief. Sie konnte weder einen Abgeordneten für die Paulskirche wählen, noch konnte sie selbst als Abgeordnete einziehen. Ihr Geschlecht bestimmte ihren politischen Ausschluss. Kein Wunder, dass bis heute die Geschichte der Demokratie – die zu Recht mit der 1848er Revolution verknüpft wird – häufig auf mutige Männer und ihre Taten verkürzt wird. So sind es vorzugsweise Revolutionäre, Parlamentarier und angehende Politiker, an die erinnert wird, wenn es um die Demokratiegeschichte des 19. Jahrhunderts geht.
Dass diese Geschichtsdeutung so lange schon fast ungebrochen erzählt wird, kann und muss erstaunen. Denn bereits vor 25 Jahren, als das 150. Jubiläum der 1848er Revolution anstand, entstanden Publikationen, die belegen, dass die Revolution von 1848 auch von einigen Frauen dazu genutzt wurde, um Geschlechtervorstellungen und vor allem Geschlechterordnungen in Frage zu stellen (Paletschek 1991; Bublies-Godau 1999). Warum also, so ist zu fragen, ist es auch zum 175. Jubiläum der 1848er Revolution immer noch nicht selbstverständlich, auch an weibliche Revolutionäre genauso zu erinnern wie an männliche?
Das liegt – und das soll in diesem Artikel verdeutlicht werden – auch an der Art und Weise, wie an diese Revolutionärinnen erinnert wird. Sie werden nämlich selten als strahlende Heldinnen, hoch zu Ross oder mit schwingendem Säbel erinnert, was das stereotype Bild eines Revolutionärs ist. Revolutionärinnen erscheinen gebrochener, ihre zeitgenössischen Handlungsoptionen sind eingeschränkt und ihre Unterstützung der Revolution wird – auch und gerade von Zeitgenoss:innen – nicht als solche erkannt. Oder aber sie werden kriminalisiert, um damit ihr revolutionäres Handeln und die Reformbewegung an sich zu diskreditieren. Diesen Mechanismen möchte ich im Folgenden an einigen Beispielen nachgehen.
DIE SCHIRMSCHWINGENDE MEGÄRE
Dass Frauen, die die Revolution unterstützten, teilweise strenger verurteilt wurden als Männer, vermuteten bereits die Zeitgenoss:innen (Gerhard 1983: 203). Zu offensichtlich stellten sie die Vorstellungen der unpolitischen und friedlichen Frau in Frage. Besonders deutlich kann man das am Beispiel von Henriette Zobel zeigen, die als „schirmschwingende ‚Megäre‘, ‚Furie‘ und mutmaßliche Fürstenmörderin in die Frankfurter Geschichte“ einging (Eichstaedt 2023). Sie hätte mit ihrem Regenschirm – der inzwischen als historisches Objekt im Historischen Museum in Frankfurt am Main ausgestellt ist – auf die beiden Abgeordneten Hans Adolf Auerswald und Fürst Felix von Lichnowsky eingeprügelt und so deren Tod mit verursacht. Die Tat trug sich am 18. September 1848 zu; bereits am 24. September wurde Zobel verhaftet, aber erst 1853 wegen Teilnahme an einem Komplott zu 16 Jahren Zuchthaus verurteilt. Die sieben Jahre bis zu diesem erstaunlich schweren Urteil verbrachte sie in Untersuchungshaft. Es ist im Nachhinein nicht zu rekonstruieren, ob und wie Henriette Zobel in die Ermordung der beiden Abgeordneten verwickelt war und ob der Regenschirm sowie die von ihr angeblich noch geworfenen Steine für den Tod der beiden Männer verantwortlich waren. Entscheidender an dieser Geschichte ist die Deutung der Tat, wie sie vor Gericht vorgetragen wurde. Denn hier spielte es eine große Rolle, dass Henriette Zobel in der Paulskirche den politischen Verhandlungen gefolgt war. Die Ausführungen des Gerichtsgutachters Köstlin, der versuchte die Abläufe zu rekonstruieren, zeigen deutlich, dass er den Besuch in der Paulskirche als Grenzüberschreitung deutete und darauf hinweisen wollte, was nach seiner Meinung passiert, wenn Frauen sich mit Politik beschäftigen (Köstlin 1853). Dadurch wurde Zobel nicht zu einer an Politik interessierten Bürgerin, sondern zu einer radikalisierten Mörderin mit einem Regenschirm.
DIE TREUSORGENDE EHEFRAU
Es waren aber nicht nur reaktionäre Zeitgenoss:innen, die politisches Handeln von Frauen durch ihre Deutungen unsichtbar machten. Auch die Revolutionärinnen selbst arbeiteten an ihrer eigenen Unsichtbarmachung mit. Besonders deutlich wird dies durch den Bericht von Emma Herwegh, den diese bald nach der Niederschlagung der Revolution verfasste (Herwegh 1894). Herwegh ging es in ihrer Schrift vorzugsweise darum, die Entscheidungen ihres Mannes – Georg Herwegh, der Vorsitzender der Deutschen Demokratischen Legion war und mit einer kleinen bewaffneten Gruppe im April 1848 den Heckerzug unterstützen wollte – zu erklären und den von konterrevolutionärer Seite ‚verfälschenden‘ Darstellungen entgegenzutreten. In ihren Erinnerungen agierte sie dabei ‚typisch‘ weiblich, indem sie die Handlungen ihres Mannes erklärte und sich selbst zurücknahm. Die zugeschriebene weibliche Charaktereigenschaft der ‚Unterstützung des geliebten Mannes‘ wurde auch in ihren Nachrufen präsentiert. So etwa im Neue[n] Wiener Journal, in dem anlässlich ihres Todes 1904 eine Passage aus den Erinnerungen des Otto von Corvin, der zusammen mit den Herweghs das Gefecht bei Dossenbach erlebt hatte, zitiert wurde:„Für sich fürchtete, für sich sorgte sie nie, nur für ihren Mann, den sie mit außerordentlicher Zärtlichkeit liebte und auf dessen Talent und Ruf sie mit Recht stolz war“ (Herwegh 1904: 3). Die Liebe zu einem Revolutionär war das zeitgenössische Argument, sich das politische Handeln von Frauen zu erklären. Es ist spannend zu sehen, dass dies sogar von der unerschrockenen Revolutionärin Emma Herwegh in ihren Erinnerungen selbst so vorgebracht wurde. Mit dieser Diskursfigur, so die Forscherin Marion Freund, „unterschätzte oder verkannte sie [...] die Bedeutung einer spezifisch weiblichen Interessensvertretung“ und „vertrat damit im Grunde eine Position, mit der sie zwar ihrem partnerschaftlichen Ideal von den Geschlechterbeziehungen verhaftet blieb [...] aber eine Verrechtlichung der weiblichen Gleichstellung offenbar nicht, jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt, in Erwägung zog“ (Freund 2004: 334f.). Und langfristig arbeitete sie so mit an der Unsichtbarkeit weiblichen revolutionären Handelns und entzog es der aktiven Erinnerung, denn persönliche Zugewandtheit oder sogar Liebe gelten als ‚private‘ Entscheidungen, die selten historiographisch untersucht werden.
DIE UNPOLITISCHE SALONNIÈRE
Einer erfolgreichen Erinnerung steht auch im Weg, dass spätere Generationen das Handeln von Frauen in der Revolution nicht als solches erkannten. Das kann besonders gut an den Briefen der politischen Salonnière Clotilde Koch-Gontard gezeigt werden. Die in den Revolutionsjahren 1848 und 1849 geschriebenen Briefe wurden 1969 von Wolfgang Klötzer herausgegeben (Koch-Gontard 1969). Die Unternehmergattin beschrieb hier ihr leidenschaftliches Engagement für die Verhandlungen in der Paulskirche. Sie hatte den „Deidesheimer Kreis“ kennengelernt, in dem führende Vertreter des rheinisch-südwestdeutschen Liberalismus und der deutschen Einheitsbewegung zusammengeschlossen waren. Mit diesen und mit deren Familienangehörigen (v. a. den Ehefrauen) stand Koch-Gontard in einem lebhaften brieflichen Austausch. Neben sehr dezidierten politischen Stellungnahmen, die sie als Besucherin der Paulskirche abgab, schilderte sie aber auch ihren Haushalt, den Gesundheitszustand von Familienangehörigen und andere scheinbar ‚private‘ Angelegenheiten. Dass diese Passagen nicht als das erkannt wurden, was sie sind, nämlich der gesellschaftliche ‚Klebstoff‘, der die Beziehungen zusammenhielt, zeigt die Tatsache, dass der Herausgeber diese Passagen nicht wortgetreu in seine Briefsammlung aufgenommen hat, sondern sie lediglich zusammenfasste: „Familienverhältnisse Gagerns; Ausflug nach Eppstein; Besuch in Hornau; dankt für Pfirsiche und Trauben“ (Koch-Gontard 1969: 69). Diese Auslassungen verkennen die lebenspraktischen Bezüge, die zwingend für jede Art von (politischer) Handlung notwendig sind, so z. B. die Frage nach Unterbringung und Verpflegung. Im Hause Koch-Gontard wohnte fast der gesamte Deidesheimer Kreis und wurde hier auch verpflegt. Damit wurde für diese Männer praktische Politik in Frankfurt unkompliziert möglich – ein Umstand, auf den viel zu selten hingewiesen wird. Die editorische Entscheidung, das scheinbar Uninteressante, das normale Leben Schildernde, lediglich zusammenzufassen, kann heute nur verwundern, ist aber typisch für eine Zeit, in der davon ausgegangen wurde, dass lediglich das ‚öffentliche‘, das ‚politische‘, von historischem Interesse ist. Dabei wurde übersehen, dass diese Trennung nicht der damaligen Gesellschaftsstruktur entsprach und dass damit das Handeln von Frauen in den ihnen zugeschriebenen Bereichen unsichtbar gemacht wurde (Hausen/Wunder 1992; Lipp 1992).
DIE MUTIGE SCHRIFTSTELLERIN UND GRÜNDERIN DER FRAUENBEWEGUNG
Dass es auch anders gehen kann, zeigt die nach wie vor aktive Erinnerung an die 1848er Revolutionärin Louise Otto(-Peters). Sie ist als Schriftstellerin, Zeitungsherausgeberin und unermüdliche Streiterin für die Ideale der bürgerlichen Revolution bekannt und hat ihre Berühmtheit vor allem der bürgerlich-liberalen Frauenbewegung zu verdanken (Wolff 2019). Dadurch, dass sie 1864 den Allgemeinen Deutschen Frauenverein in Leipzig gründete und dieser sich als Mutterverein einer Vielzahl von Frauen(bildungs)vereinen erwies, schuf sie eine Institution, die künftig alles daran setzte, ihre Gründerin und deren Engagement in der 1848er Revolution nicht zu vergessen. Ein aktives institutionelles Gedächtnis erweist sich damit als eine Möglichkeit, dem Vergessen entgegenzuarbeiten.
Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass sowohl zeitgenössische als auch nachträgliche Diskursstrategien dafür zuständig sind, ob Erinnerungen erfolgreich sind oder nicht. Dass das Geschlecht der zu erinnernden Person dabei durchaus eine Rolle spielt, konnten – so hoffe ich – die oben aufgezeigten Beispiele zeigen.
LITERATUR
Bublies-Godau, Birgit: „Von der Revolution zu den Revolutionen“ – Zur 150. Wiederkehr der Revolution von 1848/49 in Deutschland und Europa. Eine Zwischenbilanz zum Forschungsstand und zu den aktuellen Forschungstendenzen im Spiegel der neu erschienenen Literatur, in: Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung, Jg. 11 (1999), S. 219–256.
Eichstaedt, Andreas: Henriette Zobel, geb. Pfaff (1813–um 1865), in: Frankfurter Frauenzimmer, 2023, URL: http://www.frankfurterfrauenzimmer.de [eingesehen am 16.12.2024].
Freund, Marion: „Mag der Thron in Flammen glühn!“ Schriftstellerinnen und die Revolution von 1848/49, Königstein/Taunus 2004.
Gerhard, Ute: Über die Anfänge der deutschen Frauenbewegung um 1848: Frauenpresse, Frauenpolitik und Frauenvereine, in: Hausen, Karin (Hrsg.): Frauen suchen ihre Geschichte: historische Studien zum 19. und 20. Jahrhundert, München 1983, S. 196–220.
Hausen, Karin/Wunder, Heide (Hrsg.): Frauengeschichte. Geschlechtergeschichte, Frankfurt a. M./ New York 1992.
Herwegh, Emma: Geschichte der deutschen demokratischen Legion aus Paris. Von einer Hochverräterin, Grünberg 1849.
Herwegh, Emma, in: Neues Wiener Journal, 31.03.1904, S. 3.
Koch-Gontard, Clotilde: Clotilde Koch-Gontard an ihre Freunde. Briefe und Erinnerungen aus der Zeit der deutschen Einheitsbewegung 1843–1869, bearbeitet von Wolfgang Klötzer, Frankfurt a. M. 1969.
Köstlin, Reinhold C.: Auerswald und Lichnowsky. Ein Zeitbild, nach den Akten des Appellations-Gerichtes zu Frankfurt am Main. Mit Genehmigung dieses h.Gerichtshofes, Tübingen 1853.
Lipp, Carola: Das Private im Öffentlichen. Geschlechterbeziehungen im symbolischen Diskurs der Revolution 1848/49, in: Hausen, Karin/Wunder, Heide (Hrsg.): Frauengeschichte. Geschlechtergeschichte, Frankfurt a. M./New York 1992, S. 99–116.
Ludwig, Johanna: Eigener Wille und eigene Kraft. Der Lebensweg von Louise Otto-Peters, Leipzig 2014.
Paletschek, Sylvia: Frauen im Umbruch. Untersuchungen zu Frauen im Umfeld der deutschen Revolution 1848/49, in: Fiesler, Beate/Schulz, Birgit (Hrsg.): Frauengeschichte gesucht – gefunden? Auskünfte zum Stand der historischen Frauenforschung, Köln 1991, S. 47–64.
Wolff, Kerstin: Erinnerungswege. Über die Erinnerung an Louise Otto-Peters in der Frauenbewegung, in: ApuZ, Jg. 69 (2019), H. 8, S. 18–24.
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- 26 Feb 2025 - 10:10