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Vorwort. Die Straße als Ort der Demokratiegeschichte

David Barth ist Projektförderreferent bei der Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte.

von David Barth

 

Liebe Leserinnen und Leser,

die Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte begrüßt Sie sehr herzlich zur Dezemberausgabe des LaG-Magazins, dass die Straße als Aushandlungs- und Gestaltungsort demokratischer Werte und Traditionen in den Blick nimmt. Die Straße ist nicht nur ein physischer Raum. Sie ist ein symbolträchtiger Schauplatz von Freiheit und Ohnmacht, von Protest und Repression. Sie ist ein Ort der gelebten Grundrechte, an dem Meinungs- und Versammlungsfreiheit sicht- und hörbar werden. Seit Jahrhunderten wird auf Straßen Geschichte geschrieben: von den revolutionären Idealen der Französischen Revolution, die auch in Deutschland Widerhall fanden, bis zur friedlichen Revolution von 1989, die das Ende der DDR und die Vereinigung brachte. Doch Straßen waren auch Orte staatlicher Gewalt und Unterdrückung – Orte, an denen aufkeimende Hoffnungen brutal erstickt wurden, wie im Vormärz und während der Revolution von 1848/49.

Die Frage, wie Straßen in unserer Demokratie genutzt und gestaltet werden, ist auch heute aktuell. Ist die Protestfreiheit in Deutschland gefährdet? Was bedeutet es, wenn Klimaaktivistinnen und -aktivisten als „Straftäter“ aufgrund ihrer Klebaktionen diffamiert oder gar in Präventivhaft genommen werden und andererseits den Straßensperrungen im Zuge der Bauernproteste im Dezember 2023 mit Verständnis begegnet wird? Wie lässt sich Protest von Hass und Gewalt abgrenzen, etwa bei Demonstrationen, die als antisemitisch wahrgenommen werden? Und wie gehen wir als Demokratie mit diesen Herausforderungen um, ohne in die Muster autoritärer Systeme wie im Iran oder Russland zu verfallen?

Ein Blick in die Vergangenheit

Der Kampf um demokratische Rechte ist seit jeher eng mit der Straße verbunden, sie war stets ein wichtiger Ort des demokratischen Diskurses. Im Vormärz wurde sie zum Raum revolutionärer Forderungen – einer neuen Verfassung, politischer Teilhabe, der Pressefreiheit. Während der Revolution von 1848/49 wurden Straßen zu Barrikaden und machte sie zum Symbol der Hoffnung, aber auch der Niederlage: Als die Hoffnungen der Revolutionärinnen und Revolutionäre durch die Konterrevolution zerschlagen waren, wurde klar, dass Demokratie kein Selbstläufer ist.

In der Kaiserzeit eroberten vor allem die Arbeiterbewegungen die Straßen, um politische Gleichheit einzufordern. Ihr Kampf für ein demokratisches Wahlrecht prägte die Auseinandersetzungen im Deutschen Kaiserreich und legte den Grundstein für die Weimarer Republik.

Doch auch die Weimarer Zeit war von einem Spannungsverhältnis geprägt: Straßenproteste waren allgegenwärtig, wurden aber oft von staatlicher Gewalt begleitet, wie beispielsweise im sogenannten „Blutmai“ von 1929. Der Kampf um die Straße spiegelt die politische Fragilität jener Zeit.

In einer beispiellosen Mobilisierung der Bürgerinnen und Bürger der DDR wurde die Straße 1989 erneut zum Ort eines demokratischen Aufbruchs – diesmal erfolgreich. Bürgerinnen und Bürger nahmen sich das Recht zur Versammlung auf öffentlichen Plätzen und Straßen und leiteten damit den Übergang zu einem parlamentarischen Regierungssystem und für die deutsche Einheit ein. Die Friedliche Revolution zeigte, dass Protest nicht nur ein Recht, sondern auch eine transformative Kraft ist.

Einblicke in die aktuelle Ausgabe

Vor diesem Panorama möchte die LaG-Ausgabe Beispiele für die Straße als demokratischen Aushandlungsort des demokratischen Diskurses aus unterschiedlichen Zeitabschnitten zusammenführen, um zu verdeutlichen, wann die Straße von wem, mit welchem Ziel und Erfolg genutzt wurde, um Anliegen der Demokratie und Widerstände gegen sie zu verhandeln. Der historische Bogen wird breit gespannt: von den sozialdemokratischen Großdemonstrationen Anfang des 20. Jahrhunderts für das gleiche, direkte und geheime Wahlrecht, über die Militanz am Übergang der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus, durch das geteilte Deutschland bis in die bundesrepublikanische Gegenwart. Streiterinnen und Streiter für demokratische Anliegen sollen ebenso vorgestellt werden wie ihre Gegnerinnen und Gegner und staatliche Reaktionen.

Demokratie braucht die Straße

Die Geschichte der Demokratie in Deutschland zeigt, dass die Straße ein Ort des Aushandelns ist – ein Ort, an dem Freiheit erkämpft, aber auch bedroht wird. Sie ist kein neutraler Raum, sondern spiegelt die Kräfteverhältnisse ihrer Zeit wider. Als Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte sehen wir es als unsere Aufgabe, daran zu erinnern, dass Demokratie niemals selbstverständlich ist. Sie lebt davon, dass Menschen für demokratische Werte und Rechte eintreten – auch und gerade auf der Straße. Wir freuen uns daher besonders, diese Ausgabe des LaG-Magazins zu fördern.

Mit dieser Ausgabe lädt das LaG-Magazin dazu ein, die Straße in ihrer ganzen Ambivalenz zu betrachten: als Ort des Widerstands, des Aufbruchs, aber auch der Unterdrückung. Lassen Sie uns gemeinsam lernen, wie wir Protest und Demokratie stärken können – für eine Gesellschaft, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit und die transformative Kraft des Protests nicht nur schützt, sondern als unverzichtbare Bestandteile ihres Wesens begreift.

Ihr
David Barth 

Projektförderreferent, 

Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte

 

 

 

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