Empfehlung Ausstellung

„Gemeinsam sind wir unerträglich“: Wanderausstellung zur unabhängigen Frauenbewegung in der DDR

Sabrina Pfefferle ist studentisches Redaktionsmitglied des LaG-Magazins und studentische Mitarbeiterin im Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ).

von Sabrina Pfefferle

Die Wanderausstellung „Gemeinsam sind wir unerträglich“ zur unabhängigen Frauenbewegung in der DDR eröffnet einen Einblick in ein oft übersehenes Kapitel: Sowohl in Dokumentationen der Geschichte der deutschen Frauenbewegung als auch bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte wurde die feministische, systemkritische Bewegung in der späten DDR bisher wenig berücksichtigt. Die Ausstellung füllt diese Leerstelle und beeindruckt mit einer Vielfalt an Materialien, historischer Tiefe und einem kritischen Blick auf die bisherige Darstellung der politischen Landschaft der DDR. Sie ermöglicht – in ihrer Form als Gesamtschau erstmalig – ein umfassendes Verständnis der Entstehung, von Herausforderungen und Erfolgen dieser Frauenbewegung.

Frauenforum der Lila Offensive in der Winterkirche der Gethsemanegemeinde Berlin-Prenzlauer Berg, 23. November 1989. © RHG_Fo_GZ_1859 / Robert-Havemann-Gesellschaft / Kerstin Baarmann

Quellen                                                                                                                

Die Kuratorinnen der Ausstellung Ulrike Rothe, Rebecca Hernandez Garcia und Judith Geffert konnten bei ihren Recherchen aus einem breiten Fundus schöpfen: In verschiedenen Archiven, unter anderem dem Bestand GrauZone der Robert-Havemann-Gesellschaft, im Archiv Bürgerbewegung Leipzig, dem Thüringer Archiv für Zeitgeschichte „Matthias Domaschk“ sowie dem feministischen Archiv FFBIZ wurde nach Dokumenten und Bildern als Grundlage für die wissenschaftliche Aufbereitung recherchiert. Eine weitere wichtige Quelle waren lokale und regionale Aufarbeitungsinitiativen: Die Ausstellung stellt nicht nur Gruppen aus Ost-Berlin oder den großstädtischen Zentren Thüringens und Sachsens vor, sondern auch Frauengruppen aus kleineren Städten wie etwa Eisenach, Weißenfels oder Schwerin. Das ermöglichten ehemalige Akteurinnen der DDR-Frauenbewegung, die Materialien aus ihren persönlichen Archiven zugänglich machten. Sie bereichern diese schriftlichen und bildlichen Quellen auch um ihre Erinnerungen an den eigenen politischen Aktivismus. Zudem flossen Pionierarbeiten einzelner Wissenschaftler*innen und an Universitäten entstandene Qualifikationsarbeiten in die Aufarbeitung ein. Zusätzlich bezieht die Ausstellung kirchliche und staatliche Dokumente ein, vor allem solche aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv im Bundesarchiv. Der begleitende Katalog zur Ausstellung enthält eine ausführliche Übersicht der genutzten Archive sowie begleitender Literatur.

Aufbau

Die Ausstellung ist in vier thematische Abschnitte unterteilt, die die Entwicklung der Frauenbewegung in der DDR von der Bildung der ersten Gruppen Anfang der 1980er Jahre bis zur politischen Wende 1989/1990 beleuchten.

Der erste thematische Abschnitt „Impulse“ zeigt die Anfänge der Frauenbewegung. Hier werden verschiedene Gruppen und Initiativen vorgestellt sowie einzelne Aktivistinnen, die sich trotz ihres arbeitsreichen Alltags politisch engagierten. Beschrieben wird unter anderem die Entstehung der Gruppe Frauen für den Frieden, die sich gegen das 1982 erlassene Wehrdienstgesetz zur Einberufung von Frauen im Falle einer Mobilmachung wehrte. An ihrem Beispiel wird deutlich, wie vielfältig und dennoch verschränkt die DDR-Frauenbewegung war, und welche Bedeutung die Verschränkungen von Friedens-, Umwelt- und Frauenpolitik in der Genese der neu entstehenden Bewegung haben. Die Ausstellung beleuchtet verschiedene lokale Frauen für den Frieden-Gruppen – zum Beispiel in Ost-Berlin und Eisenach – anhand von Texten, Bildern und Zitaten, hier führen QR-Codes zu Interviews mit ehemaligen Akteurinnen. In einem dieser Interviews spricht etwa die Zeitzeugin Ulrike Quentel, die sich in einem Frauenkreis engagierte, über die Gründung der Frauen für den Frieden in Eisenach. Dieser Struktur folgend werden weitere kirchliche Initiativen, lokale Frauen- und Lesbengruppen sowie das feministische Engagement einiger Künstlerinnen und Forscherinnen vorgestellt. Die Breite der vorgestellten Gruppen und Akteurinnen macht die verschiedenen Kontexte, aus denen die Akteurinnen stammen, sichtbar und ebenso ihre inhaltlichen Anknüpfungspunkte.

Das zweite Kapitel „Begrenzte Öffentlichkeit“ beleuchtet die Herausforderungen, mit denen die Frauengruppen in der SED-Diktatur konfrontiert waren. Jede Form des systemkritischen, politischen Aktivismus galt in der DDR als Bedrohung und wurde verfolgt. Und als Systemkritik galt bereits die Abweichung vom offiziellen Gleichstellungspostulat – die Frau in der DDR sei vollständig gleichberechtigt –, dem die staatliche Frauenorganisation Demokratischer Frauenbund Deutschland (DFD) ohne Widerspruch folgte. Das führte dazu, dass die Engagierten ihre politischen Forderungen in privaten Zusammenkünften abseits einer breiten Öffentlichkeit entwickeln mussten. Aber auch auf die Bemühungen, einen legalen politischen Aktionsraum zu schaffen, reagierte der Staat repressiv. Das Kapitel beschreibt einerseits die staatlichen Repressionsmaßnahmen, andererseits die Aktionen und Strategien des Widerstands der Frauengruppen dagegen. Die konkreten Auswirkungen, die die staatliche Kriminalisierung ihres politischen Engagements auf die Akteurinnen der Frauenbewegung hatte, werden in der Ausstellung durch die Erinnerungen dieser Akteurinnen – in Zitaten und Interviews – greifbar. Die Besucher*innen werden so dazu eingeladen, nachzuvollziehen, was feministisches Engagement unter den Bedingungen dieser Diktatur im Konkreten bedeutete.

Der Redaktionskreis der Lesbenzeitschrift „frau anders“ in Bärbel Klässners Küche 1989. © RHG_Fo_GZ_1775 / Robert-Havemann-Gesellschaft / Kerstin Baarmann

Das dritte Kapitel „Eine Bewegung entsteht“ beschreibt die Vernetzungen der Frauengruppen sowie ihre thematische Ausrichtung ab 1985. Es entstehen neue Netzwerke. Eine Karte visualisiert die zahlreichen Feste, Seminare, Foren und Werkstätten, die in der ganzen DDR, von Hanstorf bis nach Wilkau-Hasslau, veranstaltet werden. Besonders gelungen ist die Darstellung der diversen Themenkomplexe, die zu dieser Zeit in der DDR-Frauenbewegung verhandelt werden. Sie sind, ebenso wie einzelne Gruppen, miteinander verflochten: Positionen zu Abrüstung, Umweltschutz, Erziehung und Geschlechterrollen werden formuliert, und die patriarchale Struktur der DDR von der unzureichenden Ahndung von Gewalt gegen Frauen bis zur sprachlichen Manifestation struktureller Diskriminierung kritisiert. Gerade durch diese Verflechtung von Akteurinnen und Themen gewinnt die politische Organisierung der Frauengruppen an Dynamik. Eine landesweite Bewegung formt sich.

Das vierte Kapitel „1989: Aufbruch und Wandel“ zeigt die Initiativen der Frauengruppen zur Mitgestaltung der Umbruchszeit. Mit der offiziellen Gründung des Unabhängigen Frauenverbandes (UFV) 1990, deren Stellvertreterinnen mit am Zentralen Runden Tisch saßen, bildeten etwa 60 Frauengruppen eine politische Vertretung. Der UFV lehnte die Wiedervereinigung ab und plädierte für eine reformierte Gesellschaft, in der Frauen vollständig – und nicht nur dem staatlichen Postulat nach – gleichgestellt sein sollten. Das ausgewählte Quellenmaterial und einordnende Texte ermöglichen einen detaillierten Einblick in die konkreten Vorstellungen der UFV von dieser neuen Gesellschaft, in ihre Erfolge und Niederlagen.

Mit einem Blick auf die Entwicklung der Frauenbewegung nach der politischen Wende von 1990 beschreibt die Ausstellung die Neuausrichtung der Akteurinnen auf neue Räume des politischen Engagements und neue Allianzen – sowie die damit verknüpften Hürden und Veränderungen. Sie bietet so die Gelegenheit, zu reflektieren und zu verstehen, wie die Aktivitäten und Ideale der Frauenbewegung in der Post-DDR-Ära fortbestanden oder modifiziert wurden.

Vermittlung

Ein herausragendes Merkmal der Ausstellung ist die breite Palette an Quellen, die sie präsentiert: Von zeitgenössischen Fotos über Plakate bis hin zu Dokumenten wie Einladungen zu Tagungen, Zeitungsartikel und Stasi-Berichte bietet die Ausstellung einen tiefen Einblick in die Geschichte der DDR-Frauenbewegung. Die Besucher*innen sehen anhand dieser vielfältigen Quellen die soziale Bewegung aus verschiedenen Perspektiven. Das ist vor allem die Sicht der Akteurinnen – zum damaligen Zeitpunkt ebenso wie aus der heutigen Rückschau –, aber auch die Perspektive der Staatssicherheit sowie das Verständnis heutiger Forscher*innen, Künstler*innen und Kuratorinnen. Damit geht die Ausstellung über die bloße Darbietung von Materialien hinaus – sie erzählt Geschichten, gibt den Frauen der Bewegung eine Stimme und vermittelt einen spürbaren Eindruck von ihrem Lebensgefühl in einer Zeit politischer Unsicherheit.

Die Illustrationen von Laura Breiling verleihen dem historischen Material eine künstlerische Dimension. Die Verwendung von QR-Codes auf den Ausstellungstafeln, die zu Audio- und Videomaterial führen, schafft eine interaktive Dimension und ermöglicht den Besucher*innen, noch tiefer in die Geschichten der einzelnen Gruppen und Akteurinnen einzutauchen.

Deutungen und offene Fragen

Die Ausstellung befasst sich mit entscheidenden Fragen zur Deutung der Geschichte: Wieso wurde die DDR-Frauenbewegung in bestehenden Narrativen über die DDR-Geschichte vernachlässigt? Passt ihre Form des feministischen Widerstandes nicht in bisherige Deutungsstränge, weil sie die patriarchale Struktur der Bürgerbewegung kritisiert? Die Ausstellung geht zur Beantwortung dieser Fragen von den Selbstdeutungen der damaligen Protagonistinnen aus. Diese haben sich zumindest in Teilen – in Abgrenzung zur westlichen Begriffsprägung – nicht als „Feministinnen“, sondern zunächst als „Frauen“, später als „Frauen und Lesben verstanden. Von ihrer Perspektive ausgehend, hinterfragt die Ausstellung die bis heute dominierende Erzählung der erfolgreichen DDR-Karrierefrau, die die Ansprüche aus Beruf und Familie problemlos bewältigte – was nicht zuletzt die staatliche Doktrin der gleichberechtigten DDR-Frauen bestätigt. Sie schärft so den Blick für die politisch begründeten Benachteiligungen von Frauen und queeren Menschen in der DDR. Die Ausstellung zeigt jedoch auch, wie die in der DDR selbstverständlichen Rechte von Frauen und eine an zentralen Punkten liberalere Gesetzgebung für queere Menschen nach dem Ende der DDR rückgebaut werden. Zudem ergänzt sie die Erzählung über den Widerstand der DDR-Bürgerbewegung in der Phase des demokratischen Umbruchs um die Dimension der politischen Organisierung in Frauengruppen. Zuletzt wirft die Ausstellung weiterführende Fragen auf: Wie gestaltete sich das Verhältnis der unabhängigen Frauenbewegung in der DDR in Abgrenzung zur westdeutschen Frauenbewegung und war die Bewegung darüber hinaus international vernetzt? Wieso konnten die Frauengruppen in der Transformationszeit kein Bündnis bilden, das von der Bevölkerung breit unterstützt wurde? Welche inneren Konflikte spielten in der Bewegung eine Rolle? Wer fehlte in der DDR-Frauenbewegung und welche Akteurinnen sahen sich von ihr nicht repräsentiert?Die Ausstellung kann als Grundstein zur Beantwortung dieser und weiterer Fragen verstanden werden.

Fazit

Insgesamt bietet die unter der Leitung von Ulrike Rothe konzipiere Ausstellung eine bis dato einzigartige Gesamtschau über die Geschichte der unabhängigen Frauenbewegung in der DDR. Die präsentierten Dokumente, Fotos und Interviews erinnern an die eindrucksvollen Frauen, die inmitten politischer Unsicherheiten und Repressionen eine landesweite Bewegung formten. Die Ausstellung veranschaulicht eindrücklich, wie diese Frauen politische Leerstellen in der vorherrschenden Erzählung über die DDR-Bürgerbewegung und die Friedliche Revolution füllten – damals wie heute.

 

Weitere Informationen und die Ausstellungstermine und -orte finden sich auf der Projekt-Website.

Der begleitende Katalog zur Ausstellung „‚Gemeinsam sind wir unerträglich‘. Die unabhängige Frauenbewegung in der DDR“ (Hrsg. Ulrike Rothe und Rebecca Hernandez Garcia) ergänzt die Ausstellung um weitere ostdeutsche Stimmen. Er betrachtet in Beiträgen von Zeitzeuginnen und Historiker*innen vertiefend Hintergründe, Details und aktuelle Bezüge der sozialen Bewegung. Der Ausstellungskatalog ist über den Buchhandel erhältlich.

Mitteldeutscher Verlag, ISBN: 978-3-96311-872-2, 20 €

 

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