Doppelt heimatlos? Re-Watch: „Bruderland ist abgebrannt“ (Dokumentarfilm von Angelika Nguyen)
von Katharina Trittel
1989 hielten sich ca. 60.000 Vietnames*innen in der DDR auf. Als Vertragsarbeiter*innen per Regierungsabkommen aus dem „sozialistischen Bruderland“ angeworben, lebten sie in separaten Wohnheimen; die Kontakte zur Bevölkerung sollten auf ein Minimum reduziert werden. Sie sollten arbeiten – Teil der sozialistischen Gemeinschaft waren sie nicht.
Nach dem Zusammenbruch der DDR blieben ca. 14.000 dieser Vertragsarbeiter*innen in Deutschland, obwohl sie überwiegend arbeitslos wurden. Da sie auf Grundlage von Staatsverträgen, die über Nacht ihre Gültigkeit verloren hatten, in Deutschland waren, lebten sie hier mit einem rechtlich weitgehend ungeklärten Status. Bis zum Auslaufen der nicht mehr gültigen Verträge durften diejenigen bleiben, welche die 1.600 US-Dollar „Abfahrtsprämie“ ablehnten, die bei einer Ausreise in bar ausgezahlt wurden. Wer blieb, war sozial oft isoliert und heftiger als zuvor rassistischen Anfeindungen ausgesetzt. Erst 1997 wurde ein Bleiberecht für die ehemaligen Vertragsarbeiter*innen erstritten.
Die Situation dieser Menschen beschreibt der Film „Bruderland ist abgebrannt“ von Angelika Nguyen aus dem Jahr 1991. Nguyen ist Filmemacherin und Publizistin. Sie wurde als Tochter eines vietnamesischen Vaters und einer deutschen Mutter in Ost-Berlin geboren und wuchs in der DDR der 1960er und 1970er Jahre auf. Aufgrund ihrer Herkunft wurde sie bereits als Kind ausgegrenzt und angefeindet, wobei sie betont, dass diese rassistischen Erfahrungen nicht DDR-spezifisch seien. Als Nguyen nach Vietnames*innen suchte, die bereit waren, für ihren Film Auskunft zu geben, gereichte ihr, so berichtet sie im hörenswerten Podcast „Projekt Umbruch: Das Erbe des Ostens“, ihre Herkunft erstmals zum Vorteil: Ihr wurde Vertrauen entgegengebracht und viele vietnamesische Interviewpartner*innen erzählten ihr ihre Geschichten.
Wie Max Frisch für die sogenannten Gastarbeiter Westdeutschlands, beschreibt es auch Nguyen: „Wir holten Gastarbeiter und es kamen Menschen.“ Wie Menschen behandelt wurden sie nicht. Nguyens Film berichtet von brutalen Überfällen, ausbleibenden juristischen Konsequenzen und ungeschriebenen Ausgangssperren: Viele Vietnames*innen mieden öffentliche Verkehrsmittel, gingen im Dunkeln nicht alleine auf die Straße und schliefen oftmals nach ihrer Schicht in den Betrieben, um sich auf dem nächtlichen Heimweg nicht der Gefahr eines Übergriffs auszusetzen.
Auch Angelika Nguyen macht doppelte Ausgrenzungserfahrungen: als Nicht-Weiße und als Ostdeutsche. In einem Gastbeitrag in der Zeit wirft sie die Frage auf, ob ihr zweifacher Migrationshintergrund sie „doppelt heimatlos“ mache: „Ich wurde als Ost-Deutsch-Vietnamesin immer wieder daran erinnert, dass ich irgendwie nicht dazu gehörte, obwohl ich genauso ein Ostbrot hätte sein können wie alle anderen. Die Erfahrung machte mich wachsamer. Und sie stand in absurdem Gegensatz zu den Solidaritätsbekundungen mit dem ‚tapfer kämpfenden vietnamesischen Volk‘ jener Zeit. […] Es ist komplizierter mit dem Ossisein, wenn man auch noch einen nicht-weißen und nicht nur so einen gerade entdeckten Ossi-Migrationshintergrund hat. Die Grenzen verliefen und verlaufen ja nicht nur zwischen Ost und West, sondern auch mittendrin“ (Nguyen 2018).
Literatur und Quellen
#12 Das Erbe des Ostens. Gespräch mit Angelika Nguyen, Podcast vom 29.11.2021, URL: https://projektumbruch.podigee.io/15-erbe-des-ostens [14.06.2023].
Nguyen, Angelika: Bruderland ist abgebrannt, 1991, URL: https://www.bpb.de/mediathek/video/317607/bruderland-ist-abgebrannt/ [14.06.2023].
Nguyen, Angelika: Doppelt heimatlos?, in: Zeit Online, 4.7.2018, URL: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-05/ostdeutschland-heimat-ddr-filme-das-schweigende-klassenzimmer/komplettansicht [14.06.2023].
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- 28 Jun 2023 - 09:12