Dokumentationszentrum für die Opfer der Diktaturen in Deutschland (Schwerin)
von Christian Glüer
Fiel die Ortsbezeichnung „Demmlerplatz“, lief es vielen Schweriner*innen jahrzehntelang kalt den Rücken herunter. Noch heute berichten Anwohner*innen, sie hätten zwar gewusst, dass hier „irgendetwas mit der Stasi“ und wohl auch ein Gefängnis gewesen sei – was aber genau, das wollten die meisten nicht wissen. Der fragliche Gerichts- und Gefängniskomplex am Demmlerplatz beherbergt heute auch das Dokumentationszentrum für die Opfer der Diktaturen in Deutschland.
Geschichte des historischen Ortes
Das gesamte Gebäudeensemble wurde bereits im Deutschen Kaiserreich errichtet. Nach seiner Fertigstellung im Herbst 1916 wurde der Komplex einschließlich des sogenannten Gerichtsgefängnisses an die Justiz übergeben und diente der ordentlichen Gerichtsbarkeit: zunächst der kaiserlichen Justiz, später, in weitgehender personeller Kontinuität, der Justiz der ersten deutschen Republik.
Mit Machtantritt der Nationalsozialisten wurde der Ort zu einem Ort des Unrechts. Diese richteten bereits im Frühjahr 1933 ein NS-Sondergericht ein, welches sogenannte „Heimtückefälle“ bearbeitete. Daneben existierte auch im heutigen Landgerichtsgebäude mit dem Erbgesundheitsgericht ein weiteres Spezialgericht. Auf der Grundlage des neu erlassenen „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ wurden hier unzählige Zwangssterilisationen angeordnet.
Im Juli 1945 zog die Rote Armee in Schwerin und in das Gebäude am Demmlerplatz ein, wo ein sowjetisches Militärtribunal installiert wurde. Auf Grundlage des berüchtigten Paragrafen 58 des russischen Strafgesetzbuches, der definierte, wer als Klassen- bzw. Volksfeind galt, kam es zu massenhaften willkürlichen Verhaftungen und Prozessen gegen tatsächliche oder vermeintliche Gegner*innen. Bei diesen Verhandlungen ging es weniger um die Klärung von Tatsachen als vielmehr um das Verlesen von Geständnissen. Das das Gefängnis betreibende Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten der Sowjetunion (NKWD) erpresste diese Geständnisse bei den in den völlig überbelegten Zellen einsitzenden Menschen. Ihnen erschien dies oft als einziger Ausweg, auch wenn es im Regelfall in den sowjetischen GULag und damit häufig in den Tod führte.
Nach dem Ende der sowjetischen „Rechtssprechung“ zog 1954 die Justiz vorübergehend aus; stattdessen wurde die Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) Hausherrin. Das Hafthaus wurde zu einem Untersuchungsgefängnis der DDR-Geheimpolizei. Die Haftbedingungen waren berüchtigt: Wegen des grünen Anstrichs der Zellen wurde das Gefängnis auch als „grüne Hölle“ tituliert.
An der Tagesordnung waren vom NKWD übernommene Methoden wie Schlafentzug, Dauerverhöre, vor allem aber die völlige Isolation der Inhaftierten. Der letzte Häftling wurde erst im November 1989 entlassen und der gesamte Baukomplex nach der Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit (Nachfolgeinstitution des MfS) wieder der Justiz und dem Rechtsstaat übergeben.
Entstehung und Konzeption der Gedenkstätte
Nach längeren Diskussionen beschloss 1998 die damalige und bundesweit erste rot-rote Landesregierung, in der ehemaligen MfS-Untersuchungshaftanstalt einen Gedenkort zu etablieren. Als Einrichtung der Landeszentrale für politische Bildung wurde am 6. Juni 2001 in einem Teil des Hafthauses das Dokumentationszentrum des Landes für die Opfer der Diktaturen in Deutschland eröffnet. Der historische Ort blieb dabei weitgehend erhalten. Kernstück des Dokumentationszentrums ist eine zeitlich und räumlich dreigeteilte Dauerausstellung, in welcher den Besucher*innen insbesondere Einzelschicksale nähergebracht werden und es ihnen ermöglicht wird, sich am authentischen Ort mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts auseinanderzusetzen. Neben Schüler*innen, Student*innen, Bundesfreiwilligen, Angehörigen der Bundeswehr und anderen Gruppen besuchen viele Tourist*innen und Einzelbesucher*innen den Gedenkort.
Dieser hat eine Doppelfunktion zu erfüllen: einerseits als Ort des Gedenkens und Erinnerns, andererseits als Stätte politischer Bildung. Beide Aspekte sind in der Arbeit des Dokumentationszentrums nicht voneinander zu trennen. Themenfelder der politischen Bildungsarbeit sind u.a. der Missbrauch politischer Strafjustiz, die Strukturen von Unrecht (gerade im Hinblick auf die Unterschiedlichkeit der Epochen) sowie die Bedeutung von Grundrechten und Rechtsstaatlichkeit. Diese werden in unterschiedlichen Formaten (Führungen, Projekttage, Zeitzeugengespräche u.v.m.) aufbereitet, die dazu ermuntern, den historischen Ort selbständig, allein oder in Kleingruppen, zu entdecken.
Dokumentationszentrum des Landes für die Opfer der Diktaturen in Deutschland
Obotritenring 106
19053 Schwerin
Tel.: 0385 745299-11
E-Mail: dokuzentrum-schwerin [at] lpb [dot] mv-regierung [dot] de
Homepage: www.dokumentationszentrum-schwerin.de
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- 25 Jan 2023 - 10:22