Michael Viebig ist Historiker und Leiter der Gedenkstätte ROTER OCHSE.

von Michael Viebig

 

Der historische Ort

Die Königlich-Preußische Straf-, Lern- und Besserungsanstalt zu Halle wurde 1842 eröffnet. Der Name Roter Ochse geht vermutlich auf die für den Bau verwendeten roten Steine und die Nutzung von Ochsenfuhrwerken für den Transport des Baumaterials und der ersten Gefangenen zurück. Im Zuge der Revolution von 1848/49 wurden hier erstmals aus politischen Gründen Verurteilte eingeliefert.

Das Gebäudeensemble, zu dem auch die heutige Gedenkstätte gehört, erfuhr zahlreiche bauliche Veränderungen; der größte Teil wird heute als Justizvollzugsanstalt des Landes Sachsen-Anhalt genutzt. Die Gedenkstätte befindet sich im ehemaligen Lazarettgebäude der Anstalt, das der NS-Justiz von 1942 bis Kriegsende als Hinrichtungsstätte diente. Ab Sommer 1945 nutzte die Sowjetische Militäradministration in Deutschland die gesamte Haftanstalt. Nach deren Übergabe an das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR fungierte das ehemalige Hinrichtungshaus als Wirtschafts- und sogenanntes Vernehmergebäude.

Konzeption der Gedenkstätte

Die historische Spurensuche am Bau und in den Archiven zeigt den Roten Ochsen als Ort politischer, mit Mitteln der Justiz vollzogener Verfolgung in den Diktaturen von 1933–1945 und 1945–1989. Anhand zahlreicher Gerichts- und Verwaltungsakten, Geheimdienstdokumente und privater Unterlagen lassen sich die Lebenswege tausender Menschen nachzeichnen, die hier dem jeweiligen Strafrechtssystem ausgeliefert waren. Das korrespondiert mit dem biografischen Ansatz der Dauerausstellungen. Die Bezugsebenen der politischen Strafjustiz 1933–1945 und 1945–1989 werden in zwei getrennten Bereichen dokumentiert. Die Ausstellungsräume zur NS-Diktatur gruppieren sich um den ehemaligen Hinrichtungsraum. Neben grundsätzlichen Informationen zum Freiheitsentzug im Strafgefängnis bzw. (ab 1935) Zuchthaus sowie zu den hier Inhaftierten und Beschäftigten werden die verschiedenen, mit der politischen Strafverfolgung befassten Gerichte gezeigt. Umfassend nimmt die Ausstellung die Hinrichtungen und den Umgang mit den Leichen der Getöteten in den Blick. Insgesamtstehen methodisch die Biografien der Opfer im Mittelpunkt, denen auch ein kleiner Leseraum gewidmet ist.

Im zweiten Obergeschoss werden zum einen der Gebrauch der Haftanstalt durch die sowjetische Besatzungsmacht dokumentiert und Beweggründe für Inhaftierungen und die Verbringung der Gefangenen in Speziallager oder das System des GULag aufgezeigt. Zum anderen wird die Nutzung eines Teils der Anstalt durch den Staatssicherheitsdienst der DDR ab 1950 thematisiert. Mehr als 10.000 Untersuchungsgefangene durchliefen bis Dezember 1989 das „MfS-Objekt Am Kirchtor“. Die Ausstellung fokussiert hier anhand verschiedener Verfolgtengruppen auf die Entwicklung der DDR und deren Sicherheitspolitik, die zunehmend gegen das eigene Volk gerichtet war. Zeitzeugenaussagen, die verschiedene Haftsituationen erläutern, und ein „Raum der Biografien“ erlauben ein Eintauchen in die Lebenswege der Betroffenen. Darüber hinaus informiert die Exposition über die Organisationsstruktur des MfS und das in Halle eingesetzte Personal.

Kooperationen

Ein Großteil der Besucherinnen und Besucher sind Schulklassen und Studierende. Die Gedenkstätte bietet Lehrveranstaltungen an der Fachhochschule der Polizei des Landes Sachsen-Anhalt und spezielle Projekttage für Bundeswehrangehörige an. Weiterhin bestehen zahlreiche Kooperationen mit lokalen wie internationalen Institutionen, etwa zu den Themen Widerstand im Nationalsozialismus, Geschichte der Sinti*zze und Rom*nja sowie zum lokalen System der Zwangsarbeit, aber auch bezüglich der Erinnerung an die Akteurinnen und Akteure des Arbeiteraufstandes vom 17. Juni 1953 und der friedlichen Revolution von 1989. Die Gedenkstätte erarbeitete darüber hinaus federführend gemeinsam mit verschiedenen Kooperationspartnern eine Wanderausstellung zum Thema NS-Justiz auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Sachsen-Anhalt. Das aus inzwischen 150 Tafeln bestehende Konvolut bildet die Komplexität der verschiedenen Methoden der Strafverfolgung ab und stellt die daran Beteiligten vor. Es ermöglicht, für jeden Ausstellungsort optimale Themenkombinationen zusammenzustellen. Für jeden Ort wird ein spezielles Begleitprogramm angeboten. Ähnlich strukturiert ist eine Wanderausstellung zur Justiz der sowjetischen Besatzungsmacht und der frühen DDR, die gemeinsam mit der Gedenkstätte Moritzplatz erarbeitet wurde und seit 2021 auf Reisen ist.

Das wichtigste Projekt der Gedenkstätte ist jedoch die internationale Wanderausstellung „Das Reichskriegsgericht. Justiz im Einsatz zur Kriegssicherung und zur Bekämpfung des europäischen Widerstandes 1939 bis 1945“, die gemeinsam mit Partnerinstitutionen in Polen, Frankreich, Norwegen, Belgien und der Tschechischen Republik konzipiert wurde. Sie zeigt anhand zahlreicher Biografien das Wirken des Reichskriegsgerichtes, des militärischen Pendants zum Volksgerichtshof, und arbeitet die Bandbreite der Widerstandsformen in Deutschland und den besetzten Ländern Europas heraus. Die Ausstellung soll 2023 in Berlin eröffnet werden.

 

Gedenkstätte ROTER OCHSE Halle (Saale)

Am Kirchtor 20b

06108 Halle

Tel.: 0345 470698337

Homepage: https://gedenkstaette-halle.sachsen-anhalt.de/

 

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