Von Lucas Frings
Mit seiner Dissertation „Staatsschutz in Westdeutschland – Von der Entnazifizierung zur Extremistenabwehr“ hat Dominik Rigoll bereits 2010 – publiziert 2013 – einen ausführlichen Überblick über die (Wieder)-Einstellungspolitik in den Staatsdienst der BRD bis 1979 vorgelegt. „Staatsschutz“ bezieht sich dabei nicht ausschließlich auf den Verfassungsschutz, sondern auf die Verteidigung der Verfassung und Demokratie in Ministerien, der Justiz, Strafverfolgungsbehörden und anderen Zweigen des Beamtentums.
Die zentralen Fragen der Studie widmen sich den Gründen für Einstellung und Ausschluss in bzw. aus dem Staatsapparat, den dahinterliegenden Motivationen, den Prozessen und den Folgen, den diese Einstellungspolitik auf verschiedenen Ebenen hatte. Anhand von Behördendokumenten und Gerichtsurteilen, die Rigoll gesichtet hat, entsteht ein Bild der Veränderungen in der Ausrichtung von staatlichen Einrichtungen innerhalb der dreißig untersuchten Jahre.
Die Alliierten erstellten 1945 Listen, um zum einen zu verhindern, dass schwerbelastete Nationalsozialist*innen Einstellung erhielten, führten jedoch auch auf, wer als besonders geeignet schien, ein neues, demokratisches Land zu gestalten.
Diese Gruppe der „45er“, so auch u.a. von Eugen Kogon bezeichnet, waren ab 1933 ins Exil Geflohene oder Verfolgte sowie „ältere Weimarer Demokraten“ (S. 23), denen der Aufbau einer Demokratie am ehesten zugetraut wurde und die in Spitzenpositionen von Behörden und Justiz installiert wurden.
Mit der Gründung der Bundesrepublik wurden vielen von ihnen degradiert bzw. durch NS-Belastete verdrängt. Diese neu Eingestellten, auch als „49er“ bezeichnet, waren Beamte, die nach 1945 wegen ihrer Betätigung im Nationalsozialismus vom Dienst ausgeschlossen worden und dann ab 1949, ab 1951 auch anhand Artikel 131 des Grundgesetzes, eine Wiedereinstellung in den Staatsdienst erlangten.
Prominentestes Beispiel dürfte Hans Globke sein, der als Mitverfasser der Nürnberger Rassengesetze und der antisemitischen Namensänderungsverordnung ab 1949 im Bundeskanzleramt bis an dessen Spitze aufstieg. Die Regierung unter Adenauer sah die NS-Belastung nicht als ausschlaggebend um das Verfassungsbekenntnis der Beamt*innen anzuzweifeln. Im Gegenteil, so Adenauer, sei die Gefahr, die von NS-Eliten ausgehe am ehesten durch Pensionen zu bannen, als sie durch Anprangerung in neonazistische Parteien zu drängen. Die Idee eines Bündnisses „der demokratischen Minderheit mit der belasteten Mehrheit“ (S. 12) wurde von den Alliierten akzeptiert. Es wurde jedoch festgehalten, dass die Staatsdiener*innen sich nicht in als verfassungsfeindlich angesehenen Zusammenhängen betätigen dürfen.
Der sogenannte Adenauererlass vom 19. September 1950, ein Paragraph des Bundespersonalgesetzes, regte Maßnahmen gegen Mitarbeiter*innen des öffentlichen Dienstes an, die Mitglied oder Unterstützer*innen bestimmter Organisationen waren. Unter den 13 explizit genannten Organisationen fanden sich drei neonazistische Gruppen wie die Sozialistische Reichspartei und zehn linke Organisationen, unter anderem die KPD und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Darin zeigte sich schon im zweiten Jahr der BRD, wo die Verfassungsfeinde gesehen wurden.
Rigoll bezieht sich dabei mehrfach auf Eugen Kogon, der neben der moralischen Fragwürdigkeit einer Wiedereinstellung von NS-Belasteten vor allem ein daraus entstehendes Sicherheitsproblem und die Gefahr der „Renazifizierung“ des Staatsdienstes ausmachte.
Aus der Einstellungspolitik folgte die inhaltliche Ausrichtung der staatlichen Institutionen. Ihre eigene Wiedereinstellung konnten NS-belastete Juristen, Polizisten und Ministerialbeamte – anders als die von ihnen verfolgten – schwerlich als Gefahr für die junge Demokratie werten, deren Verteidigung ihnen aufgetragen wurde. Rigoll führt dafür eine Reihe von Beispielen an, etwa der erstinstanzliche Freispruch gegenüber dem Bundestagsabgeordneten Wolfgang Hedler, der in einer Rede Widerständler als „Landesverräter“ beschimpfte, durch zwei NS-belastete Richter. Im Berufungsverfahren wurde er zu neun Monaten Haft verurteilt.
Folgt man Rigoll fehlte die Perspektive und Erfahrung der während des Nationalsozialismus Diskriminierten und Verfolgten. Die maßgeblichen Stimmen, die der Eignung der NS-Belasteten widersprachen, wurden durch die antikommunistische Verfolgung mundtot gemacht, die Staatsbediensteten sicherten sich durch entsprechende Rhetorik und Repression ihre eigenen Positionen.
Rigoll argumentiert, dass in keinem anderen westlichen Land die Verfolgung von Linken derart umfassend erfolgt sei.
Einen zentralen Moment der Einstellungspolitik der BRD stellt der Radikalenerlass von 1972 dar, mit dem die Einstellung von Verfassungsfeinden in den Staatsdienst verhindert werden sollte. Hier argumentiert Rigoll, dass dieser nicht nur als Reaktion auf 1968 und dem von Rudi Dutschke angekündigtem „Marsch durch die Institutionen“ zu werten sei, sondern maßgeblich in der antikommunistischen Haltung begründet liege, die NS-Täter und –Mitläufer mit denjenigen verband, die als Jugendliche im NS geprägt worden waren.
Von 1973 bis 1978 erfolgten 1,3 Millionen Überprüfungen von Bewerber*innen durch den Verfassungsschutz. 1000 Bewerber*innen wurden aussortiert, aber der Einschüchterungseffekt auf alle Anwärter*innen, so Rigoll, sei nicht zu unterschätzen.
Zwar wurden die Berufsverbote als antitotalitäre Maßnahmen bezeichnet, die Praxis zeigte jedoch, dass beinahe ausschließlich linke Kontexte ins Visier genommen wurden.
Für die Betrachtung der Praxis der Wiedereinstellungs- und weiteren Personalpolitik setzt Rigolls Untersuchung Maßstäbe, ist ein großer Wissenszugewinn um die Entwicklung des Staatsapparates in den ersten dreißig Jahren seines Bestehen und reiht sich ein in die Studien zu staatlichen Einrichtungen, die in den 2010er Jahren veröffentlich wurden. So bietet etwa „Die Akte Rosenburg“ zur Geschichte und Kontinuitäten des Bundesjustizministeriums zu diesem Thema nur wenige weitere Informationen. Rigoll nimmt bekanntere Ereignisse, wie die Amnestie gegenüber Mitarbeitern des Reichssicherheitshauptamtes 1969 und weniger prominente Urteile in den Blick. Diese verknüpft er mit politischen Aussagen zu einem differenzierten Bild des Prozesses von Entnazifizierung zum „antitotalitären Konsens“ ab Ende der 1960er und beleuchtet auch Interpretationen, die über eine „Kalte Krieg“-Begründung für das antikommunistische Bild des Staatsapparates hinausgehen.
- |
- Seite drucken
- |
- 25 Nov 2020 - 06:59