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Resümees der Tagung "Lernen mit Sachquellen" aus museums- und gedenkstättenpädagogischer Sicht

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Anka Bolduan hat Geschichte, Arbeitslehre/Textiles Gestalten und Kunst auf Lehramt studiert. Bis Dezember 2014 war sie Programmleiterin für Bildung und Vermittlung im Bereich Kinder, Jugendliche, Familie, Schule am Übersee-Museum Bremen. Sie arbeitet als freiberufliche Museumsberaterin. Gottfried Kößler ist ausgebildeter Lehrer für Geschichte, Deutsch und Politik für Gymnasien und Berufliche Schulen. Er arbeitet als pädagogischer Mitarbeiter am Pädagogischen Zentrum des Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen Museums Frankfurt und ist stellvertretender Direktor des Fritz Bauer Instituts.

Redaktionelle Anmerkung: Anka Bolduan und Gottfried Kößler haben während der Tagung „Lernen mit Sachquellen“ die Aufgabe übernommen, die Veranstaltung zu kommentieren. Entsprechend dem Tagungskonzept stammen ihre Perspektiven aus der Museums- und der Gedenkstättenpädagogik. 

Resümee – Mit der Brille der Museumspädagogik

Ein Blick über den Tellerrand der eigenen Fachdisziplin

Von Anka Bolduan

Museumspädagogik lohnt sich immer dann, wenn wie bei dieser Tagung schon im Konzept der Tagung die aktuellen Themen für die Arbeit der Mitarbeiter_innen der Gedenkstätten und Museen anvisiert sind. Im Mittelpunkt beider Einrichtungen stehen Sachquellen als authentische Objekte, Bau- und Kunstwerke eines historischen Zeitraums. Die digitale Entwicklung, das (Konsum-)Verhalten der Besucher_innen und geänderte Bildungsziele stellen die Museen vor neue Aufgaben.

So wies Dr. Thorsten Heese (Universität Osnabrück) auf Trends zum „fiktiven Museum der Zukunft“ hin, wo Besucher_innen mit 3D-Helmen durch leere Räume wandern, aber auch dem Gegentrend zur Neuentdeckung des analogen Raums, in dem materielle Hinterlassenschaften Basis historischen Lernens sind.

Im Panel „Vielfalt der Sachquellen“ bezogen sich die Referent_innen aus den Gedenkstätten auf die Vermittlung vor Exponaten und baulichen Relikten. Der Fokus auf Bauwerke bzw. das Räumliche als Vermittlungsgegenstand ist ein Aspekt, der in der museumspädagogischen Arbeit bisher zu selten thematisiert wird. Besonders Freilichtmuseen, Museen in archäologischem Gelände oder mit historischer Fassade, Industriemuseen bieten sich dafür an, aber auch Museumgebäude selbst und ihre Ausstellungen. Weiterführend für diesen Ansatz berichteten Prof. Dr. Sebastian Barsch und Dr. Jens Rönnau (Uni Kiel/Mahnmal Kilian e.V.) über ihr pädagogisches
Konzept zum subjektorientierten Lernen an Gedenkstätten. In dem ehemaligen
Kieler Flandernbunker werden unterschiedliche Projekte mit Jugendlichen und
Erwachsenen durchgeführt. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen waren die Thesen, dass „Sachquellen wie Bauwerke und Exponate wichtige Stützen der Erinnerungskultur sind und bleibende Bilder im Alltag hinterlassen“. „Lernen aus der Geschichte“ kann nur erfolgreich sein, wenn Rezipient_innen Möglichkeiten erhalten, plausible subjektive Geschichten vor Ort zu kreieren. Imaginationsfähigkeit und affektiv-kognitives Nachdenken der Lernenden spielen eine herausragende Rolle für historisches Lernen.

Auch in dem Vortrag von Katja Anders (Museum und Gedenkstätte Sachsenhausen) wurde deutlich, dass Projekte, die bauliche Spuren im Rahmen von praktischen Restaurationsarbeiten, kreativer Gestaltung und lokalgeschichtlicher Spurensuche in den Mittelpunkt stellen, auf unterschiedliche Weise individuelle Reflexionen über die Bedeutung und den Umgang mit den Relikten ermöglichen. Das Authentische führt zur emotionalen Nähe, wird gestört und dann entsteht ein Erkenntnisprozess. Sie stellte zwei gedenkstättenpädagogische Angebote dazu vor. 

Im Panel „Sachquellen ausstellen“ wies Cornelia Siebeck (Universität Bochum)darauf hin „dass museale und didaktische 'gestures of exposing' (Mieke Bal) immer auch eine heikle Praxis der (Selbst-)Ermächtigung darstellen: einen ordnenden und vereindeutigenden Zugriff auf eine irreduzibel unordentliche und vieldeutige historische Wirklichkeit.“ Vielmehr gelte es „Überlegungen zu einer musealen und pädagogischen Praxis zur Diskussion zu stellen, die nicht auf hierarchisch strukturierte Lernprozesse über Dinge abzielt, sondern zunächst einmal darauf, einen partizipativ angelegten Explorationsraum mit Dingen zu schaffen.“ Räume können Anlass für Fragen, Interaktion und (Mit-)Gestaltung werden. Ihr Potenzial vor Ort kann so weit darüber hinausweisen, als bloße Sachquellen zu fungieren. 

Die Vermittler_innen in der Gedenkstättenpädagogik stellten im Panel „Mit Sachquellen arbeiten“ digitale Angebote vor in Form einer Tablet-Application, mit denen Besucher_innen der Gedenkstätte Bergen-Belsen das Gelände und seine Bauten selbst erkunden können. Übertragbar auf die Vermittlungsarbeit der Museumspädagog_innen waren außerdem Methodenbausteine wie die Arbeit mit Fotoaufträgen und der Veröffentlichung auf Instagram, Objektbiografien mit Methoden des kreativen Schreibens oder „Murmel“gespräche zu selbst gewählten Gegenständen des Alltags aus der Vermittlungsarbeit von Steffen Jost (Max Mannheimer Studienzentrum, Dachau).

Aus Sicht der Museumspädagogik hat die Tagung „Lernen mit Sachquellen in Gedenkstätten und Museen“ eine intensive Beschäftigung mit den aktuellen Themen der theoretischen und praktischen musemspädagogischen Arbeit und viele Anregungen ermöglicht. Ein Austausch zwischen den Arbeitsfeldern der Gedenkstätten und den Museen wäre daher auch für die Zukunft äußerst sinnvoll.

 

Schüler_innen und Objekte in die Manege! 

Lernen mit Sachquellen in Gedenkstätten und Museen. Resümee aus gedenkstättenpädagogischer Sicht

Von Gottfried Kößler

Beim Rückblick auf die Tagung in Celle ist die Dominanz der gedenkstättenpädagogischen Sicht im Plenum ein wichtiger Aspekt. Die Diskussionen brachten eine Annäherung zwischen den Praxisfeldern Museum und Gedenkstätte, wobei deutlich wurde, dass es große Ähnlichkeiten in den Anforderungen an die Vermittlung des jeweiligen Themas gibt. Zugleich blieb aber eine Fremdheit bestehen. Diese liegt in der Aufladung jeder Annäherung an ein Objekt mit der Erinnerung an die Verbrechen des Holocaust begründet, die gedenkstättenpädagogische Arbeit und Reflexion prägt – und die andererseits auch eine Unsicherheit auf Seiten der Museumspädagog_innen zur Folge hat.

Ein Beispiel: Es liegt zwischen diesen beiden Fachperspektiven nichts näher, als sich über die Chancen und Probleme im Umgang mit großflächigen archäologischen Funden auszutauschen. Der Vortrag von Nicola Brauch und Christof Berns (beide Universität Bochum) hatte Fragen der Wissensvermittlung an der archäologischen Stätte von Milet in Kleinasien zum Gegenstand. Es stellt sich dort die Frage, wie die unterschiedlichen historischen Schichten für Besuchende erfahrbar gemacht werden können. Die Nachfragen aus dem Plenum blieben seltsam praxisfern, dabei ist die Frage, wie Wissen über den historischen Ort von Relikten her vermittelt werden, kann, die von sich aus nichts erzählen, aber mit kultureller Bedeutung aufgeladen sind, eine zentrale Frage der Gedenkstättenpädagogik. Es geht um Wege der Erschließung des Bodendenkmals – durch differenzierende Pflasterung wie in Milet oder durch den Einsatz von augmented reality wie in Bergen-Belsen. Und didaktisch ist „Fremdheitserfahrung“ bei der Annäherung an weit zurückliegende Epochen ein wichtiges Thema der Geschichtsdidaktik, das bislang weniger im Blick auf die Geschichte des Holocaust reflektiert wurde. Und: Die Aneignungsformen der Besucher_innen sind am archäologischen Ort divers, je nachdem, ob sie mit einem Original, einer Replik oder in der Werkstatt arbeiten. Das sollte in Gedenkstätten genauso sein.

Katja Anders (Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen) erweiterte diese Einsichten mit ihrem Hinweis, dass die von Besuchenden mitgebrachte Authentizitätserwartung in Konflikt gerät mit den am historischen Relikt ablesbaren Schichten und Überformungen.

Das Panel „Sachquellen ausstellen“ eröffnete die Potentiale, die darin bestehen, den Objekten und Räumen eine Funktion im Lernprozess zu überlassen, die nicht von vornherein durch enge Frage- und Aufgabenstellungen oder exakt definierte Lehrziele verschlossen werden. Cornelia Siebeck (Berlin) verwendete dafür das Bild von den in Vitrinen eingesperrten Objekten, das Udo Andraschke (Universität Erlangen) zu dem Szenario animierte, dass Schüler_innen und Objekte in der Manege – dem Ort der Auseinandersetzung – aufeinander losgelassen werden sollten. Für diese grundsätzliche Haltung gibt es einige Beispiele, sowohl in Museen als auch in Gedenkstätten.

Die Erwartung, dass Sachquellen für alle Fachleute dieser beiden Arbeitsfelder in jedem Fall historische Relikte sind, musste ich als Beobachter aufgeben. Sachquellen können auch reproduzierte Fundstücke sein, Installationen in den Ausstellungen, auf Medientischen präsentierte Archivalien. Diese Einsicht sollte die historisch-politische Bildung in ihre Diskussionen zum Thema Authentizität mitnehmen. Die Organisation der Aneignungsprozesse von Wissen ist das zentrale Thema. Es korrespondiert mit einem zweiten Thema, das gerade aktuell von politischer Seite in den gleichen Topf geworfen wird: Der Entwicklung demokratischer Haltungen und Kompetenzen. Auch wenn wir schon allen Politiker_innen erklärt hätten, dass eine Gedenkstätte kein KZ ist, wäre immer noch zu vermitteln, dass die Arbeit mit Sachquellen eine sorgfältige methodisch durchdachte Beschäftigung mit einem historischen Gegenstand ist. Dazu hat diese Tagung einige Argumente beigesteuert. Eine Fortführung des Gesprächs zwischen Kulturvermittelnden und Geschichtsvermittelnden ist mehr als wünschenswert. Einstweilen könnten alle Thorsten Heese (Kulturgeschichtliches Museum Osnabrück) zuhören, der beide Perspektiven in seinen Überlegungen zum autonomen Publikum und dazu, wie Kommunikation dem Konsumismus entgegengesetzt werden kann, zusammenbringt.

 

 

 

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