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Historische Perspektiven der deutsch-griechischen Beziehungen

Von Gerit-Jan Stecker

Faust und Helena zeugten in arkadischen Hain ihren Sohn Euphorion, 1832 besteigt Prinz Otto von Bayern den Thron des unabhängigen Griechenlands, im Zuge des Wirtschaftswunders entdecken Deutsche ihr Urlaubsparadies in den Ägäis – Philhellenismus und Sehnsucht nach dem Balkanstaat hat in Deutschland eine gewisse Tradition. Auch viele der Wehrmachtsoffiziere, die 1941 Griechenland brutal unterwarfen, waren humanistisch gebildet; Wehrmachtssoldaten fotografierten sich vor der Akropolis. Die Nationalsozialisten betrachteten sich jedoch, in den Worten Alfred Rosenbergs, als wahre Erben der „herrliche(n) Rassenseele, die einst die Pallas Athene und den Apoll schuf“. Die modernen Griechen seien dagegen zu einem „Sauvolk der Schieber, Nichtstuer und Korrupteure“ geworden (zit. n. M. Gogos), ein Bild, das nicht weit entfernt scheint von jenem der „Pleitegriechen“, deren grausame Wirtschaftskrise in den Augen vieler Deutscher durch Faulheit und Korruption selbst verschuldet, und deren EU-Mitgliedschaft durch gefälschte Zahlen erschlichen sei. „Betrüger in der Euro-Zone“ titelte etwa das Magazin Focus im Oktober 2010. Umgekehrt sehen manche Griechen Deutschland als „ewigen Besatzer“, einst durch militärische, in Zeiten der griechischen Staatsschuldenkrise durch wirtschaftliche Stärke. So begrüßt die auflagenstarke griechische Sonntagszeitung Proto Thema Kanzlerin Merkel im Oktober 2012 mit einem „Heil!“.

Im Unterricht der Sozialkunde, Politik, Geschichte und Deutsch ließen sich verschiedene historische Fragen nach deutsch-griechischen Beziehungen stellen. Von der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus aus könnte seine Auswirkung und Bedeutung in der Gegenwart diskutiert und Bezüge zu aktuellen, breit rezipierten Themen hergestellt werden. Die Europäische Union, die Euro-Zone und deren Krisenpolitik wäre mit Blick auf ihre historischen Grundlagen zu behandeln. Auch im Rahmen beispielsweise einer Faustlektüre böte es sich an, Fragen nach Kontinuität, Bruch und Relevanz des historischen Verhältnisses zwischen Deutschen und Griechen zu entwickeln.

Kontinuitäten und Brüche

Die Bundeszentrale für politische Bildung hat 2014 ein Online-Dossier mit dem Titel „Deutsch-Griechische Beziehungen“ veröffentlicht. Die Texte im Pfad Zeitgeschichte behandeln verschiedene Aspekte in einer grob chronologischen Reihenfolge: vom Philhellenismus und der Entstehung des griechischen Staates zu Beginn des 19. Jahrhunderts über die wechselseitigen literarischen Beziehungen, die deutsche Besatzungszeit und das sephardische Saloniki, die griechische Arbeitsmigration, den Kampf gegen die Obristendiktatur in den Sechziger- und Siebzigerjahren und den Griechenlandtourismus bis zur sozialen Realität im heutigen Griechenland einschließlich der erbärmlichen Situation von Migrant_innen. Eingebettet werden diese Beiträge in zwei Essays von Manuel Gogos, in denen er zeigt, wie heute Wandel, Grausamkeiten, aber auch ein hoffnungsvoller Blick in eine gemeinsame europäische Zukunft die deutsch-griechischen Perspektiven prägen.

Deutsche Besatzungszeit und Kriegsverbrechen

Die Erfahrung der deutschen Besatzungszeit beschreibt Hagen Richter, Prof. für Neue Geschichte an den Universitäten Kreta und Athen. Im April 1941 eilt die Wehrmacht dem Achsenpartner Italien zu Hilfe, das trotz seiner militärischen Überlegenheit Griechenland nicht unterwerfen konnte. Den ungebrochenen Widerstand konfrontieren die Deutschen mit brutalen so genannten Sühnemaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung, „die in nicht-slawischen Ländern unerreicht bleibt“ (Richter). Ortsnamen wie Kommeno, Klissura und Distomo stehen für Massaker an Frauen und Kindern. Zehntausende wurden in Konzentrationslager wie Chaidari oder als Sklaven ins „Reich“ deportiert und dabei akribisch von den Nazis gelistet – nicht in diesen Listen erfasst sind die 60.000 ermordeten griechischen Juden und Jüdinnen, die weit über 100.000 Hungertoten, die Opfer sich ausbreitender Epidemien.

Zugleich stärken die Besatzer antikommunistische nationalistische Kräfte, die im Gegensatz zur kommunistisch dominierten Befreiungsfront EAM stehen. Damit sind der auf den Zweiten Weltkrieg folgende Bürgerkrieg und die griechische Militärdiktatur wesentlich von der deutschen Okkupation beeinflusst.

Trotz ihrer Schreckensbilanz, trotz massiver Raubwirtschaft und Zerstörung durch die Deutschen plädiert die neue Athener Regierung für die Integration Westdeutschlands in NATO und Europarat, um den Kampf gegen den Kommunismus zu verstärken; als erste Regierung laden sie Bundespräsident Heuss zum Staatsbesuch. Bevor Deutschland sich 1961 von den so genannten Weststaaten zu 115 Mio. DM pauschale „Wiedergutmachung“ gegenüber einem Teil der griechischen Opfer gezwungen sieht, erklärt sich die Bundesrepublik nur zu einer Anleihe bereit. Die Bedingung: Der griechische Staat muss den Rechtsanspruch auf die Verfolgung deutscher Kriegsverbrecher an Westdeutschland übertragen. Dieses klagt daraufhin keinen einzigen an. Weitere Reparationsforderungen will die Bundesrepublik offiziell erst zahlen, wenn der Friedensvertrag mit einem vereinten Deutschland unterzeichnet wird; inoffiziell arbeitet das Auswärtige Amt auf die Verjährung dieser Forderungen hin. Die Rückzahlung der von den Nazis erhobenen Zwangsanleihe berechnete ein Expertenteam auf ca. 10 Mrd. Euro. Mit der deutschen Verdrängungsstrategie gegenüber der Kriegsverbrechen bricht erst 1987 Bundespräsident von Weizsäcker, gefolgt von Gaucks Bitte um Verzeihung für die Besatzungsverbrechen im Jahr 2014. Dennoch steht der politische Druck, den die Bundesrepublik heute auf Griechenland ausübt, noch immer in kaum vermittelten Gegensatz zu den vielfältigen Hinterlassenschaften der deutschen Besatzung in Griechenland.

Saloniki, eine verlorene Welt

Zu diesen gehört das Auslöschen des sephardischen Saloniki. 1492 sind die spanischen und portugiesischen Juden, die „Sephardim“, gezwungen, das Land zu verlassen. Der Osmanische Sultan heißt sie willkommen, die Sepharden bringen vielfältige Erfahrungen im Handwerk mit. Im 16. Jahrhundert deckt das Osmanische Reich seinen Bedarf an Stoffen weitestgehend durch jüdische Webereien aus Saloniki. Saloniki wächst zum zentralen Knotenpunkt des Balkanhandels und zu einem Zentrum jüdischer Dichtung und Wissenschaft. Juden bilden die Bevölkerungsmehrheit der multiethnischen Großstadt. David Ben Gurion, der Staatsgründer Israels, berichtet 1910/11: „Ich sah etwas Außergewöhnliches, (…) eine jüdische Stadt“, in der eine vor allem auf dem mittelalterlichen Kastilisch basierende Sprache gesprochen wurde. Diese Welt ist untergegangen. Zwischen März und August 1943 deportiert ein SS-Sonderkommando 46.000 Juden aus Saloniki in die Vernichtungslager Treblinka und Auschwitz-Birkenau. Im heutigen Thessaloniki leben noch 1.200 Juden; die Grabsteine des jüdischen Friedhofs wurden zum Wiederaufbau der zerstörten Stadt verwendet, nirgends im Stadtbild findet sich ein Hinweis darauf.

Implementierung im Unterricht

Das bpb-Dossier „Deutsch-griechische Beziehungen“ bietet sinnvolle Anregungen insbesondere für Diskussionen im Unterricht, die historische Dimensionen aktueller politischer Kontroversen nicht ausblenden oder herunterspielen wollen. Die unterschiedlichen, zum Teil besser durch politische und ökonomische Interessenlagen als durch nationale Befindlichkeiten zu begreifende Sichtweisen werden gut herausgearbeitet. Die ans Dossier angeschlossenen Debattenbeiträge können den Unterricht unterstützen, wenn etwa unterschiedliche Positionen zur Rolle Deutschlands und Griechenlands in der Euro-Krise herausgearbeitet werden sollen.

Web: http://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/griechenland/ 

 

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