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"Davon hat man ja nichts gewusst.“

Die Bevölkerung Oranienburgs und das Konzentrationslager Sachsenhausen

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Beitrags-Autor: Ingolf Seidel

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Stefan Boberg und Frederic Bonnesoeur sind Mitarbeiter der pädagogischen Dienste der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen. 

Von Stefan Boberg und Frederic Bonnesoeur

Neben den konkreten, historischen Ereignissen in Konzentrationslagern interessieren sich Besucher/innen der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen (GMS) häufig auch für das Verhältnis der Stadt Oranienburg und ihrer Bewohner/innen zum Konzentrationslager. Innerhalb des dezentralen Ausstellungskonzeptes der GMS können sich Besucher/innen in der Ausstellung „Die Stadt und das Lager“ über den Kontakt zwischen den Bewohner/innen der Stadt Oranienburg und den Gefangenen des Konzentrationslagers Sachsenhausen informieren. Diese Ausstellung in Turm E der ehemaligen Lagermauer beleuchtet das Thema Kontakte und Kontaktmöglichkeiten schlaglichtartig. Zu Fragestellung des Wissens der Bevölkerung über das Konzentrationslager wird zurzeit ein Studientagsmodell entwickelt.

Für einen zunächst 6-stündigen Studientag in der GMS wurden Quellen aufgearbeitet und Arbeitsblätter erstellt, mit denen dieses Thema für Jugendgruppen (Sekundarstufe 1+2) behandelt werden kann. Der Studientag besteht in der aktuellen Fassung aus 3 Teilen. a.) einer Führung durch die Gedenkstätte, b.) der Arbeit in Kleingruppen und c.) einer Diskussionsrunde, in der die Teilnehmenden auf Grundlage ihrer erarbeiteten Erkenntnisse über die Frage diskutieren, was die Bevölkerung Oranienburgs von Behandlung und Lebensbedingungen der Gefangenen im Konzentrationslager wissen konnte. Das Material besteht aus sehr heterogenen Quellen: SS-internen Quellen, Zeitungsartikeln, Karten sowie Selbstzeugnissen ehemaliger Häftlinge.

Die Teilnehmenden arbeiten in vier thematischen Gruppen:

  • In der AG „Ankunft der Gefangenen in Oranienburg“ arbeitet die Gruppe mit Selbstzeugnissen ehemaliger Gefangener, die von ihrer Ankunft in Oranienburg berichten, sowie Zeitungsartikeln aus dem Niederbarnimer Kreisblatt, in denen die Bevölkerung u.a. in drastischer Sprache auf die Ankunft von Gefangenen vorbereitet wird. Sichtbar wird hier zum einen wie öffentlich die Deportation erfolgte, zum anderen aber auch deren propagandistische Einbettung. Neben den Kontaktmöglichkeiten der Bevölkerung zu den Gefangenen, werden auch Möglichkeiten des Handelns für die Bevölkerung diskutiert.
  • Die AG „Reaktionen der SS auf internationale Berichterstattung“ zeigt auf, dass immer wieder Informationen über Verbrechen in Konzentrationslagern an die internationale Öffentlichkeit gelangten. Mitunter reagierte die SS darauf. In einzelnen Fällen kam es sogar zu Ermittlungen und Verfahren gegen SS-Männer. Anhand von Zeitungsberichten, SS-internen Anweisungen beschäftigen sich die Teilnehmenden mit diesen Fällen um Einblick in Möglichkeiten und Grenzen internationaler Einflussnahme auf die SS zu ermitteln.
  • Die AG „Zwangsarbeit in Oranienburg“ arbeitet u.a. mit einer Karte der Stadt Oranienburg und Umgebung, die sämtliche 2007 bekannten Arbeitseinsatzorte  von Gefangenen sowohl der KZ Oranienburg und Sachsenhausen als auch von Kriegsgefangenen und zur Zwangsarbeit Verpflichteten zeigt. Thema ist hier somit neben den Kontaktmöglichkeiten zwischen Gefangenen und der Bevölkerung auch die Sichtbarkeit der Gefangenen im Stadtbild.
  • Die letzte AG „KZ Sachsenhausen als Vorzeigelager“ arbeitet zu Besuchern im Konzentrationslager Sachsenhausen. Auch hier wird SS-Quellen der Bericht eines ehemaligen Gefangenen gegenübergestellt sowie die Eindrücke eines australischen Journalisten, der im Oktober 1943 an einer Führung durch das KZ teilgenommen hat. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung soll hier das Bild stehen, das die SS der Öffentlichkeit von den Lagern vermitteln wollte und die Frage in wie weit sie hierin erfolgreich war.

Die Aufgabenstellung an die Teilnehmenden ist es im Rahmen des Erprobungsseminars, Argumente zu sammeln, um anschließend mögliche Kontakte der Bevölkerung zum System Konzentrationslager und sich ergebende und wahrgenommene Handlungsoptionen zu diskutieren. Bei dem bisher durchgeführten Studientag war die Aufteilung des Arbeitsmaterials auf die Gruppen von Bedeutung, da die thematische Perspektive der einzelnen AG-Materialien jeweils gewisse Schlussfolgerungen nahe legte. Der stärkste Kontrast ergab sich dabei zwischen den Ergebnissen der Gruppen, die zu Sachsenhausen als Vorzeigelager arbeiten und jenen, die sich mit der Zwangsarbeit in Oranienburg beschäftigen. Zeigt doch das Material der ersten, dass die SS sich bemühte, das KZ soweit wie möglich zu isolieren und Informationen über die Praxis im Lager zu steuern, während die zweite Gruppe feststellt, dass Gefangene seit 1933 im Stadtbild präsent waren, etwa während der Zwangsarbeit.

Die Stärke dieses Formates - der mit Quellenarbeit vorbereiteten Abschlussdiskussion - liegt darin, dass die moralisch-ethischen Probleme der Thematik erst von den Teilnehmenden selber in der Diskussion formuliert werden. Ihnen wird somit in starkem Maße die Möglichkeit gegeben, eigene Interpretationen und damit einen eigenen Zugang zu den Geschehnissen zu entwickeln. Dies zeigte sich konkret in einer sehr angeregten Diskussion der Teilnehmenden.

Die GMS plant auf den gewonnenen Erfahrungen aufbauend das Konzept sowie das Arbeitsmaterial zu überarbeiten und auszuweiten. Mittelfristig sollen weitere AGs zu Aspekten des Themas sowie Vor- und Nachbereitungsübungen erarbeitet werden, die entweder als eigenständiger Studientag oder als Modul im Rahmen von mehrtägigen Seminaren (z.B. in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Haus Szczypiorski) gebucht werden können. Das Arbeitsmaterial liegt sowohl in deutscher, als auch in englischer Sprache vor.

 

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