Online-Modul: Spanischer Bürgerkrieg

3.3.3 Interview mit der Schweizerin Clara Thalmann

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Beitrags-Autor: Constanze

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Clara ThalmannDie Anarchistin Clara Thalmann spricht im Interview mit Karin Buselmeier im August 1976 von den Veränderungen der spanischen Frauen und von ihrem Kampf als Frau in Spanien.

 

Standbild aus der 3sat-Kulturzeit-Dokumentation „Clara Thalmann und die späte Rehabilitation“, 2009 (Foto aus Familienbesitz)

Karin Buselmeier: Es gibt mittlerweile auch in der Bundesrepublik viele Publikationen zum Spanischen Bürgerkrieg und speziell zum spanischen Anarcho-Syndikalismus. Aufgefallen ist mir, dass in all diesen Büchern wenig oder nichts über die Rolle der Frauen in der Sozialen Revolution von 1936 zu finden ist. Könntest du über Deine Erfahrungen berichten, gerade auch in dieser Hinsicht. […]

Ankunft in Spanien

Clara Thalmann: […] Als wir am 18. Juli 1936 an der Grenze ankamen, da war eine große Aufregung: es ist etwas passiert in Spanien, man wusste noch nicht genau was. An der französischen Grenze waren natürlich die französischen Polizisten und Grenzposten, aber bei den Spaniern Arbeiter und Bauern mit schwarz-rotem Band: CNT. „Ja, bei uns ist die Revolution. Jetzt geht's los!“ Die Eisenbahnen fuhren nicht, es war Generalstreik. Aber ich wollte nun ja erst recht nach Spanien hinein: „Ich will doch zur Spartakiade“, sagte ich. „Spartakiade, Spartakiade. Jetzt spielt sich die Spartakiade in den Straßen ab.“ Wir wurden durchgelassen. Wir haben natürlich nicht gesagt, dass wir Marxisten sind. Dass die bei der CNT nicht angesehen sind, das wusste ich schon. Pavel und ich waren ja 1932 lange in Spanien gewesen […] Dann sind wir empfangen worden im ayuntamiento, im Bürgermeisteramt. Aber da gab es keinen Bürgermeister mehr, den hatten sie zum Teufel gejagt, die Großgrundbesitzer ebenso, oder andere waren geflohen. Es gab nur Arbeiter und Bauern, nur noch companeros (Genossen). Jeder mit einem Jagdgewehr, alle waren sehr aufgeregt; sie haben diskutiert: was wird jetzt geschehen, wie organisieren wir uns. Jetzt wird das richtige Leben anfangen, wir werden eine Kollektivität aufbauen, wir wollen eine neue, eine freie Gesellschaft. Im ersten Dorf nach der Grenze! Eine völlig veränderte Situation. Und einfache Bauern!

Karin Buselmeier: […] Wenn du sagst: im Bürgermeisteramt waren nur Männer, dann bedeutet das doch: diese Separierung blieb unangetastet. Man diskutierte, wie das Gemeinwesen neu gestaltet, wie alles anders werden sollte – und die Hälfte der Bevölkerung blieb ausgeschlossen. Ich finde es doch merkwürdig, dass nicht wenigstens versucht wurde, die Frauen in die Diskussion der zentralen Fragen, wie sie auf dem Bürgermeisteramt geführt wurden, einzubeziehen.

Clara Thalmann: Das ist gar nicht so merkwürdig. Was hatte die Frau denn bis jetzt zu sagen in Spanien? Sie hatte zu gehorchen. Ihr Gebiet war eben das Haus, waren die Kinder. Zu Hause, da ist die Mutter die Regierung. Sie entscheidet über alles. Sie ist die angebetete Mutter, la madre, das ist das Höchste, da gibt es keinen Widerspruch. Wenn die madre sagt: das und das muss gemacht werden, so sagt auch der Mann nichts dagegen. Höchstens z.B. wenn ein Mädchen heiratet, da spricht der Mann natürlich auch sein Wort. Die Frauen mussten mitarbeiten auf dem Feld, und selbstverständlich waren sie gegen die Grundbesitzer. Die hatten ja riesige Latifundien, und die Bauern mussten immer abliefern. Da waren die Frauen schon einverstanden, dass gestohlen wurde oder sonst sabotiert, auch schon lange vorher. Aber jetzt waren die Frauen insgesamt doch eher verängstigt. Sie sind ja erst allmählich aufgewacht. Und diese Diskussionen im ayuntamento, das war ja noch keine festgesetzte Sache, alles war noch in der Entwicklung. Die Hauptsache war: der Priester ist weg, der Bürgermeister ist weg, der Großgrundbesitzer ist weg. Darum ging es doch. Jetzt konnte man alles neu organisieren, die Leute hatten einen ungeheuren Enthusiasmus.

[…] Auf dem Dorf – auch wenn die Männer sehr revolutionär waren – ist doch eine sehr strenge Tradition gewesen, von der Kirche aus vor allem. Die Priester haben doch die Frauen beherrscht. Da konnten die Männer mit ihren anarchistischen revolutionären Ideen sehr wenig ausrichten. Die Frauen hätten doch nicht gewagt, gegen den Mann oder gegen die Kirche irgendetwas zu machen. Die Männer rannten doch gegen eine Mauer. Du musst dir das vorstellen, was das ist: ein Dorf. Das ist nicht nur so in Spanien, sondern genauso im katholischen Italien, in Süditalien, in allen katholischen Ländern. Da kannst du von der Bauersfrau nicht erwarten, dass sie nun auch mit auf die Straße geht oder auf politischen Versammlungen mitdiskutiert. Mit der Zeit hat sich das dann geändert, mit der praktischen Arbeit, mit dem praktischen Kollektivieren, und auf dem Lande doch sehr langsam […]

In Barcelona

Clara Thalmann: Wir sind dann noch einmal zur Grenze gegangen – inzwischen waren ja auch die anderen Teilnehmer der Spartakiade angekommen. Die meisten wollten zurück nach Hause, aber einige von den Sportlern wollten nun in Spanien bleiben wie wir. Es war nun klar, dass etwas ganz Außergewöhnliches im Gang war. Wir hörten Radio-Nachrichten über Kämpfe in Barcelona. Aber wie dahin kommen? Die Eisenbahnen fuhren nicht; die Autos der reicheren Leute waren beschlagnahmt, aber es gab nicht sehr viele. Schließlich wurden wir mitgenommen. An jeder Dorfgrenze eine Kontrolle. Wir hatten den Passierschein von der CNT, und so kamen wir immer durch, ohne Schwierigkeiten. Je weiter man ins Land kam, desto mehr hat man gespürt, dass eine neue Welt angebrochen ist […]

In Barcelona, da war ein ganz anderes Bild gegen früher – ich kannte die Stadt ja schon. Früher war es ausgeschlossen, dass eine Frau allein auf die Straße ging. Sie musste immer begleitet sein von der halben Familie: die behütete Frau, das behütete Mädchen. Das war sicher noch der maurische Einfluss, zusätzlich zu der katholischen Tradition. Jetzt sah man die Frauen – was nie passiert wäre früher – im Cafehaus sitzen, diskutieren, mit dem Gewehr zwischen den Knien.

[…] Das waren Arbeitermädchen, zum Teil auch Dirnen. Frag einen Spanier, der würde verstehen. Die Frauen diskutierten: was machen wir, gehen wir an die Front? Was können wir tun? Und hier hat jeder mit jedem gesprochen, kein Unterschied ob Mann oder Frau. Man hat immer gedacht, die Probleme würden in Spanien vor allem von den Männern diskutiert. Aber hier war für jeden die Frage: wie werden wir das weiterführen? Wo sind wir am nützlichsten für die Revolution? […] Die Frauen waren so urplötzlich frei. Auf einmal hast du gemerkt: die interessiert sich ja auch für alle Fragen. Die Fenster, die ganzen Straßen entlang, waren mit schwarz-roten Fahnen behängt. Einzelne Frauen standen am Fenster und winkten den Männern zu und riefen herunter: von da ist geschossen worden. – Es gab ja noch Scharmützel, aber das Wichtigste war erledigt, und es war klar, dass die Putschisten geschlagen waren, in Barcelona.

In der Miliz

Clara Thalmann: Für uns stand nun die Frage: was machen wir? Die Miliz hatte sich schon gebildet, in den verschiedenen Organisationen. Wir haben also Kontakt aufgenommen zur POUM – wir wussten, dass das die kommunistische Opposition zur KP war. Und wir haben Kontakt aufgenommen zu CNT und FAI, also zur anarchosyndikalistischen Gewerkschaft mit ihrer langen Tradition in Spanien, und zur Iberischen Anarchistischen Föderation, die man aber – das muss ich doch noch einmal betonen – nicht als „Partei“ im sozialdemokratischen oder kommunistischen Sinn interpretieren darf, an deren „Linie“ die entsprechende Gewerkschaft sich zu halten hatte. Zu den Kommunisten gingen wir nicht – ich war ja auch schon Jahre zuvor ausgeschlossen worden aus der Schweizer KP – zu den Republikanern auch nicht.
Du konntest zu jeder Organisation gehen und dich informieren. Das war alles ganz offen.
[...]

Man hat uns gesagt, es wäre sehr interessant für uns, die Entwicklung auf dem Lande zu sehen. Auch kulturell brauchte man Leute. Die Freunde, die mit mir waren, waren geschulte Soldaten, konnten mit Gewehren und Maschinengewehren umgehen und kannten die technischen Details, wie man ein Gewehr auseinander nimmt, repariert und so. Und ich überlegte: Krankenschwester – Quatsch, Büro – auch Quatsch. Ich wollte an die Front. Ich war ja etwas ausgebildet im Umgang mit dem Gewehr. Ich hatte ja auch zuvor, bei der POUM, schon Schießkurse gegeben. Da kamen ja immer wieder Leute, die noch nie eine Waffe in der Hand gehabt hatten, aber die jetzt gegen die Faschisten kämpfen wollten.

[…] Wir haben uns also eingeschrieben, bekamen unsere Papiere als milicianos, und dann wurde gruppiert, was sehr rasch ging. In zwei bis drei Tagen war die Hundertschaft zusammen. Wir waren eingeschrieben in der Columna Durruti. Wir mussten noch etwas warten, bis genügend Gewehre da waren. Es gab von Anfang an zu wenig Waffen, obwohl aus den Kasernen schon rausgeholt worden war, was drin war. Auch die Metallfabriken, die dann auf Kriegsproduktion umgestellt wurden, waren sofort sozialisiert worden. Trotzdem: die Waffen, das war immer ein Problem. Oft hatten wir uralte Gewehre, und die Munition passte auch nicht immer.
[...]

Clara Thalmann: Für mich war immer klar, dass die Frau sich ihre Freiheit selbst erkämpfen muss. Und in der Arbeiterbewegung ist immer gesagt worden, dass das eine lange Erziehung braucht, auch der Männer. Das war bei den Anarchisten, so wie ich sie gekannt habe, auch immer selbstverständlich, und sie haben sich – nicht alle – auch bemüht, das durchzusetzen. Aber wieder darfst du nicht vergessen: das ging ja durch die ganze bürgerliche Gesellschaft durch: die Frau ist das Tierwesen, die Mutter der Kinder usw. Das kennen wir ja zur Genüge. Aber dass die Anarchisten sich mehr um die Frage der Befreiung der Frau gekümmert haben als die anderen, die anderen Richtungen im Kampf gegen die Faschisten, das würde ich doch sagen. Und dass der Versuch da war, nicht nur der Versuch, sondern der Wille, dass die Frauen über ihr eigenes Bild springen. Und sehr viele haben das fertig gebracht, die Frauen sind viel bewusster geworden durch die Revolution, sie haben sehr viel Verantwortung übernommen – was vorher undenkbar gewesen wäre.

Karin Buselmeier: Besteht nicht die Gefahr, dass Du im Rückblick etwas idealisierst, in Bezug auf die spanische Revolution insgesamt?

Pavel: (Clara Thalmanns Lebensgefährte, der gegen Schluss des Gesprächs dazukam): Man darf die Anarchisten auch nicht idealisieren. Zwischen Theorie und Praxis bestanden auch bei ihnen sehr oft große Unterschiede.

Clara Thalmann: Gemessen an der Tradition in Spanien war der Fortschritt viel gewaltiger als in anderen europäischen Ländern, industrialisierten Ländern, wo die Frau schon sozial besser gestellt war. Dass die Frauen Riesenschritte gemacht haben, das war auch eine der großen Lehren der spanischen Revolution.
Und ich würde sagen, dass ich heute eher etwas kritischer bin als damals. Gerade die großen Fehler: dass die katalanische Regierung unter Companys, die ja gar keine Macht hatte, keine Basis, entgegen dem ganz alten anarchistischen Prinzip nicht abgesetzt wurde – man brauchte keine Regierung; oder dass die Anarchisten dann selbst in die Regierung gegangen sind, in der Hoffnung, sie kämen dann auch an die russischen Waffen ran. Und vor allem, dass Federica Montseny und Garcia Oliver im Mai 1937 zu der Bevölkerung von Barcelona gesagt haben: „Legt die Waffen weg, erst müssen wir die Faschisten besiegen, mit den Stalinisten werden wir dann schon fertig.“

[...]

Clara Thalmann: Natürlich war es auch ungeheuer wichtig, im Hinterland zu arbeiten, in Spitälern z.B. Da haben die Frauen sich wirklich aufgeopfert, viele Ausländerinnen auch. Aber wenn Frauen schon mit der Waffe kämpfen wollten, und dies auch verstanden, dann sollte man sie lassen. Das war ein Bruch mit den anarchistischen Traditionen, ein Einbruch dieser bürgerlichen Vorstellungen, der Einfluss des Auslandes auch: Frauen kämpfen mit – das ist ja furchtbar. Frauen gehören doch ins Hinterland. Aber: das Verbot konnte bei den anarchistischen Milizen nie ganz durchgesetzt werden. Und auch Mika – sie war so verwachsen mit ihrer Einheit, dass die Leute das einfach nicht akzeptiert haben: Wenn die weg muss, dann gehen wir auch. Sie war bis 1939 an der Front, ist zum capitaine ernannt worden. Aber dass sie bleiben konnte – das war dieser „resistance“ (Widerstand) der milicianos.

Literatur

  • Das Interview stammt aus: Cornelia Krasser u. Jochen Schmück (Hrsg.), Frauen in der Spanischen Revolution 1936–1939. Potsdam 1984, online gestellt bei www.sozialismus.info.

  • Das ganze Interview als PDF findet sich hier.

 

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